Andere Sitten:Geknickte Manager

Wer in Japan einen Fehler macht, muss Reue zeigen und im 90-Grad-Winkel um Entschuldigung bitten. An dieser Geste kommt kein Manager vorbei - auch kein ausländischer.

Marco Kauffmann

Läuft in japanischen Firmen etwas schief, müssen die obersten Chefs dafür geradestehen. Oder vielmehr geknickt. Den Oberkörper im 90-Grad-Winkel zum Boden zu beugen ist die Geste der Reue und Entschuldigung, an der kein Manager vorbeikommt, wenn seine Firma für Ärger gesorgt hat. Und zwar egal, ob die Ursache ein Buchhalter war, der Geld veruntreut hat, eine Textilfaser, die sich auflöst, oder eine schlampige Passagierkontrolle, die die Flugsicherheit gefährdet.

Andere Sitten: Tiefe Verbeugung: Eine wichtige und unerlässliche Geste der Reue und Entschuldigung.

Tiefe Verbeugung: Eine wichtige und unerlässliche Geste der Reue und Entschuldigung.

(Foto: Foto: AP)

In den Medien wird sekundengenau Buch geführt. So berichtete die Tageszeitung Yomiuri, der Präsident des japanischen Heizkörperherstellers Paloma habe sich 20 Sekunden lang tief verbeugt, anschließend eine Entschuldigung ausgesprochen und sich nochmals 15 Sekunden verneigt. Seit Wochen ist der Paloma-Präsident auf Verbeugungstour: bei Kunden, Behörden, Opfern. Aus in Haushalten genutzten Gasöfen von Paloma waren giftige Dämpfe ausgetreten, Menschen wurden dadurch getötet.

Verursachen defekte Produkte tödliche Unfälle, wird in Japan erwartet, dass die Unternehmensleitung bei den Hinterbliebenen einen Kondolenzbesuch abstattet. In den Hauptnachrichten des Fernsehens wird dann gezeigt, wie die Mutter am Hausaltar um ihren getöteten Sohn weint, vor ihr kniend ein Spitzenmanager, der ihr nicht erklären kann, wieso der Produktmangel nicht früher aufgedeckt worden war.

Ausländische Firmen sind von den japanischen Bußritualen keineswegs befreit. Als die Finanzaufsicht die japanische Niederlassung einer amerikanischen Großbank gesetzeswidriger Verkaufsmethoden beschuldigte, reiste der oberste Chef aus New York an. Und er tat gut daran. Denn wer die Gepflogenheit nicht beachtet oder mit der Entschuldigung auch nur zu lange wartet, wird die versäumte Verbeugung fast sicher so bereuen, wie man das wohl inzwischen beim Schweizer Aufzugshersteller Schindler tut.

Ein 16 Jahre alter Junge war in Tokio von einem Schindler-Lift erdrückt worden, weil der sich trotz geöffneten Türen in Bewegung gesetzt hatte. Schindler sprach der Familie des Kindes zwar das Beileid aus, verließ sich im Übrigen aber auf den Rat seiner Juristen. Und weil in Schindlers Heimat Europa eine Entschuldigung mit Schuld gleichgesetzt wird, lautete der: Keine öffentliche Verbeugung. Hätte ja sein können, dass die Wartungsfirma schlampig gearbeitet hatte.

Dass sich Pietät jedenfalls in Japan nicht mit dem Hinweis auf Paragraphen umgehen lässt, lernte Schindler spätestens, als Japans sonst nicht besonders angriffslustige Medien Liftfahrer aufstöberten, die von traumatischen Erlebnissen in Schindler-Kabinen berichteten. Kommentatoren gifteten, dass eine Firma, die die Ansprüche der Öffentlichkeit so stur ignoriere, nicht für das Transportgeschäft mit Personen qualifiziert sei. Nach zehn Tagen flog ein Vorstandsmitglied nach Tokio und bekundete im Blitzlichtgewitter Reue. Zu spät.

Die Lehre aus Schindlers Geschichte? Gutes Krisenmanagement verlangt in Japan ein zügiges Reuebekenntnis ohne Rechtfertigungen. Das mag den eigenen Stolz verletzen, der Firma wird es wahrscheinlich nicht schaden. Japanische Gerichte jedenfalls werden den Anstandsregeln des Landes folgend eher diejenigen härter anfassen, die das Bußritual missachtet haben.

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