Alleinerziehend und berufstätig:"Ich wollte mehr vom Leben"

Die Alternative hieße Hartz IV: Wie eine alleinerziehende Mutter die Gratwanderung zwischen Kindern und Karriere bewältigt - und nebenbei zur Chefin einer Werbefirma aufstieg.

Rafael Buschmann

Sabine Lippert ist immer im Stress: Als Geschäftsführerin einer Werbefirma arbeitet sie mehr als 100 Stunden die Woche, und sie ist alleinerziehende Mutter zweier Kinder. "Mein Leben hatte bis heute mehr Berge als Flachetappen", sagt die 47-Jährige. Mit 18 Jahren wurde sie zum ersten Mal schwanger. Ohne Schulabschluss, ohne Perspektive: "Aber ich habe nicht eine Sekunde daran gedacht, das Kind nicht zu bekommen."

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gibt es mehr als 1,12 Millionen alleinerziehende Mütter in Deutschland, die berufstätig sind, 247.000 davon in Vollzeit. "Es ist ein täglicher Kampf. Man muss immer wieder Kompromisse eingehen", sagt Lippert. Sie ist eine der vielen Single-Mütter, die fast völlig auf sich allein gestellt sind. Kein Wunder, dass etwa 40 Prozent dieser Frauen Hartz IV beziehen.

Lippert versucht es zunächst mit Jobben: bei einer Versicherung, in der Gastronomie, dann eine früh abgebrochene Ausbildung zur Krankenschwester. "Ich war oft unzuverlässig, konnte nicht alles mit Hingabe machen. Mein Sohn musste zum Arzt und in den Kindergarten gebracht werden", sagt sie.

Sie räumt Teller ab und schmiert Brötchen: Die Nachtarbeit in Bars und Restaurants bringt das Geld, um die täglichen Bedürfnisse zu befriedigen. "Aber ich wollte mehr vom Leben." Lippert geht mit 21 Jahren noch einmal zur Schule. Eine Abendschule, selbst finanziert. "Meine Eltern und Freunde haben mich unterstützt, indem sie oft meinen Sohn betreut haben."

Ein Bekannter, der in der Filmproduktion arbeitet, bietet ihr einen Fahrerjob an. Von nun an fährt sie nach der Abendschule Uschi Glas durch die Republik. Irgendwann wird jemand aus der Assistenzleitung krank, und sie springt ein. Und mausert sich zur rechten Hand des Produktionschefs. "Man tut da eigentlich alles, vom Kaffeekochen bis zu Vertragsabschlüssen." Für Privates bleibt wenig Zeit. "Ich musste ein Kindermädchen engagieren", sagt Lippert.

Insgesamt 23 Prozent aller Alleinerziehenden nutzen laut Statistischem Bundesamt neben staatlichen Einrichtungen wie Kindergarten und Schule eine zusätzliche Kinderbetreuung.

Flucht in die Türkei

Lippert steigt weiter auf. Innerhalb eines Jahres wird sie Aufnahmeleiterin. "So hatte ich zwar mehr Verantwortung, konnte aber auch meine Arbeit flexibler regeln." Sie arbeitet weiter 14 bis 18 Stunden am Tag, fährt aber immer ihren Sohn selbst zum Kindergarten, nimmt ihn mit zum Set und isst dort gemeinsam mit ihm zu Mittag. "Wir hatten Rituale, auf die er sich verlassen konnte. Dadurch spürte er die Entfernung zwischen uns vielleicht gar nicht so sehr", sagt Lippert. Und obwohl ihre Situation "häufig Stress pur" ist, gelingt es ihr, ein Leben neben Job und Sohn zu haben: "Ich habe mich verliebt und bekam Emma, mein zweites Kind." Doch auch diese Beziehung hält nicht lange.

Der Job brennt sie aus, sie will mehr Zeit für ihre Kinder. "Wir packten und flogen in die Türkei - eine Art Flucht", erinnert sich Lippert. Eigentlich soll es ein Vier-Wochen-Trip werden, geblieben ist sie ein Jahr. "Wir haben bei einem Freund gelebt und uns einfach Zeit gelassen." Doch irgendwann geht das Geld aus. Lippert lässt alte Verbindungen in Deutschland neu aufleben und erhält erste Aufträge zur Organisation von Film- und Seriensets. "Dabei wollte ich nicht mehr in der Filmbranche arbeiten, weil die Arbeitszeiten dort brutal sind. Ich wollte in die Werbung. Die Drehs dort sind viel kürzer", sagt sie.

"Ich wusste, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen"

Sie hat Glück: Nur ein Jahr nach ihrer Rückkehr aus der Türkei erhält sie das Angebot, Produktionsleiterin in einer kleinen Hamburger Werbefirma zu werden. "Ich wusste da genau, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen", sagt Lippert. "Und Emma und Sebastian konnte ich fast immer mit zur Arbeit nehmen." Viele Drehs sind nach vier bis fünf Stunden zu Ende, die Planungsarbeit kann sie zu Hause erledigen.

Heute leitet Sabine Lippert die Neue Sentimental Film, eine Tochter eines der führenden europäischen Werbeunternehmen. "Ohne meine Kinder und die Kämpfe um Geld, Zeit, Ordnung und Struktur hätte ich niemals die Kompetenz entwickelt, so eine Verantwortung zu tragen", sagt sie.

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