Akademische Patente:Geschäft mit Geistesblitzen

Deutsche Hochschulen sollen Genialität vermarkten - unter anderem aus diesem Grund gehören ihnen die Erfindungen ihrer Professoren. Zwar ist der anfängliche Ärger vieler Wissenschaftler verflogen, seit diese Regelung in Kraft trat, doch bis heute gibt es viele Unsicherheiten für die Forscher.

Johann Osel

Alles Schweinische muss raus. Wie eine Aneinanderreihung großer Cocktail-Shaker sieht die Maschine aus, die Roman Breiter und Ludwig Körber im Labor stehen haben. Aus dem Meniskus eines Schweins soll hier ein Meniskus für den Menschen werden - als Bio-Implantat mit den gleichen Eigenschaften wie der ursprüngliche Knorpel, aber ohne gewisse Stoffe des Spendertiers, die im menschlichen Köper zu Abstoßungsreaktionen führen könnten. Deswegen wird geschüttelt, zehn Jahre lang haben die Bioverfahrenstechniker der Universität Erlangen-Nürnberg an der Erfindung gearbeitet.

Die Nachfrage nach ihrem "Xeno-Coll Meniskus" dürfte enorm sein, glauben Breiter und Körber. Unfälle beim Skifahren, Stürze, Abnutzung - jedes Jahr gebe es europaweit mehr als 400.000 Meniskusoperationen. Künstlicher Ersatz für den Knorpel schaffe nicht das, was sich die Medizin erhoffe. Mittlerweile haben sie ein Patent für den entschweinten Schweineknorpel angemeldet. Und sind voller Zuversicht.

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Forschen bis zum eigenen Patent: An den Hochschulen ist klar geregelt, wem die Erfindungen gehören.

(Foto: dpa)

Thomas Schöck sitzt in seinem Büro in der Erlanger Innenstadt. Der Kanzler der Uni, also Verwaltungschef und rechtlicher Vertreter, ist Laie auf dem Gebiet der Biotechnik. Und dennoch in seiner Position sozusagen Inhaber des Meniskus-Patents. Bis zum Jahr 2002 war es den Hochschulen gar nicht möglich, eine Übersicht zu erstellen, wie erfindungsfreudig ihr Personal ist. Seit zehn Jahren müssen alle Erfindungen der Hochschule gemeldet werden. Diese entscheidet dann über die weitere patentrechtliche Nutzung. Wenn die Verwertung von Ergebnissen nicht schon speziell geregelt ist, zum Beispiel im Rahmen von Auftragsforschung für Unternehmen, hat sie Zugriff auf die Idee. Eine Neuregelung des Arbeitnehmererfindungsgesetzes kippte das bis dahin existierende "Hochschullehrer-Privileg". Letzteres überließ den Forschern das Recht, ihre Erfindungen aus dem Job selbst zu verwerten.

Ein veralteter Ansatz, hieß es bei den Reformern: Was im Job gemacht werde, gehöre auch dem Arbeitgeber beziehungsweise Dienstherrn. Und eine konsequentere Patentierung und Nutzung von pfiffigen Ideen, möglichst viele Firmengründungen aus den Hochschulen heraus, ein Geschäft mit den Geistesblitzen - das wollte die rot-grüne Bundesregierung 2002 erreichen. Nach Ansicht von Kanzler Schöck funktioniert die Sache einwandfrei. 30 Prozent der Patenterlöse bekommen die Erfinder, "das ist auch jetzt noch ein Privileg", sagt er. Beide Seiten würden profitieren: Ohne den Erfinder ginge es natürlich nicht, aber auch nicht ohne die Hochschulen mit ihrem übergeordneten Blick.

Nach der Meldung eines Forschers hat die Uni vier Monate Zeit, darauf zu reagieren. Falls kein Interesse besteht, weil die Aussichten auf wirtschaftlichen Erfolg gering sind, kann sie die Erfindung freigeben - und es dem Professor überlassen, in Eigenregie seine Idee in die Welt zu tragen. Hat die Prüfung ein Potenzial aufgespürt, wird ein Patent angestrebt, das dann verkauft oder als Lizenz abgegeben wird - oder eine Firmengründung nach sich zieht. "Wir sind ja Gott sei Dank in einer Zeit angekommen, in der auch für die Wissenschaft Ausgründungen nicht mehr ein Werk des Teufels sind", so Schöck. Mit der Bayerischen Patentallianz, einem landesweiten Verbund, kann er sich Beratung ins Haus holen, zudem hat er ein kleines Team für Wissenschaftstransfer.

Gut 100 Patentdokumente gibt es an der Uni Erlangen-Nürnberg pro Jahr, etwa ein Viertel setzt man mit eigenen Kräften um, ein Viertel über die Patentallianz, ungefähr die Hälfte ist in Forschungen mit Drittmitteln entstanden - das heißt, dass Unternehmen Geld gegeben haben und die Uni dafür Rechte abgeben muss. 74 Firmenausgründungen habe man in den vergangenen zehn Jahren aufgrund einer Erfindung lanciert, schwärmt Schöck. Widerstand in der Wissenschaft erlebe er kaum - schließlich hätten die Professoren den großen Vorteil, dass sie kein Risiko mehr tragen müssten, keine Kosten für die oft auch internationalen Patentierungsverfahren.

Das Modell hat nicht nur Nachteile

Ist dem wirklich so? Als das Gesetz 2002 auf den Weg gebracht wurde, war die Wissenschaft in Aufruhr. Zwar jubilierten die Hochschulrektoren angesichts der neuen Kompetenzen - auf dass sich die klammen Kassen füllen mögen. Der Deutsche Hochschulverband (DHV) aber, Standesvertretung der Professoren, witterte damals eine "Gleichschaltung der Professoren zu Arbeitnehmern", die Wissenschaftsfreiheit wurde angemahnt. Ein Göttinger Mediziner versuchte, sich juristisch zu wehren. Eine "Zwangsbewirtschaftung der Kreativität" sei die Novelle - und außerdem könne ja der Geistesblitz in der heimischen Badewanne und gar nicht im Labor seinen Ursprung gehabt haben. Bis zu den höchsten Gerichten nach Karlsruhe ging die Klage, doch der Kläger scheiterte. Deswegen vernimmt man heute, telefoniert man sich durch die Professorenschaftschaft, allenfalls noch ein sachtes Grummeln.

"Alle juristischen Bedenken sind durchgespielt worden, ohne Beanstandung. Man kann also von einer stabilen Rechtslage ausgehen", sagt der Bonner Wissenschaftsrechtler Wolfgang Löwer. Auch beim DHV heißt es heute: Die Sache ist entschieden, nun müsse man sich mit der "Realität auseinandersetzen". Nicht überall hätten Erfinder aber professionelle Partner aufseiten der Unis, es fehle an Know-how, die Kooperation komme oft nicht in Schwung.

Dies bekrittelt auch das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Die Entwicklung seit 2002 zeige nur einen geringen Anstieg der Patente an den Hochschulen. Die meisten Meldungen gibt es in den Naturwissenschaften an bayerischen Unis, dahinter folgen Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Im Verhältnis zur Anzahl der Wissenschaftler sind etwa die Sachsen recht erfindungsreich. Inzwischen, so schreiben die CHE-Autoren, seien Erfindungsmeldungen zu einem Indikator für Forschungsstärke geworden - ähnlich wie es zum Beispiel Promotionszahlen sind.

Aber: "Nach wie vor sind Patente aus deutschen Hochschulen eine Seltenheit." Im Jahr 2000 kamen nur 0,43 aller Patente bundesweit aus den Hochschulen, der Rest meist aus Unternehmen. Zuletzt waren es immerhin 1,4 Prozent. Die rechtliche Neuregelung habe die Unis zumindest "aus dem Dornröschenschlaf" erweckt. Zwar sollte die Fokussierung auf Wirtschaftliches nicht alleiniges Ziel sein; wohl aber sollte man erkennen, dass auch Patente die "akademische Würde" bereichern.

Die Erlanger Meniskus-Bastler Breiter und Körber, die zusammen mit einer dritten Kollegin ihr Patent auf den Weg brachten, befinden: 30 Prozent der Einnahmen sei schon relativ viel. Vor allem aber: "Ohne die Universität hätten wir nicht den Hauch einer Chance gehabt, wir hätten so ziemlich alles falsch gemacht", sagt Breiter in weichem Fränkisch. Er meint das langwierige und teure Verfahren, auf deutscher und europäischer Ebene, Einsprüche des Patentamts, die mit juristischem Sachverstand zu bearbeiten waren, einen amerikanischen Anwalt für das Patent in den USA.

Und da wären noch die Fallstricke, am Ende hätte ihnen ja jemand vielleicht die Idee geklaut, weil man gar nicht wusste, wie man sich zu verhalten habe. Relevant ist das zum Beispiel bei wissenschaftlichen Publikationen, Kerngeschäft jedes Forschers. Nun jedenfalls liegt das Meniskus-Patent seit Januar vor, die Gründung einer Firma steht an: Breiter verbleibt an der Uni, Körber und die dritte Kollegin wagen sich auf den freien Markt. Irgendwann sollen Schweineknorpel als Medizinprodukt zugelassen und implantiert werden.

Kanzler Schöck wird davon profitieren; wenn Industriepartner ins Boot kommen und das Patent veräußert wird. Oder durch Lizenzgebühren. "Ein Big Business ist das noch nicht, im letzten Jahr haben wir etwa durch Lizenzen bescheidene 90.000 Euro eingenommen", sagt er, eine "Cash-Cow" steht noch aus. "Wir haben kein regelrechtes Patent-Scouting, aber ein wachsames Auge und versuchen, ein Bewusstsein für die Vermarktung von Ideen zu schaffen. Trotzdem kommt es vor, dass jemand kurz davor steht, die tollsten Dinge auszutüfteln. Und mich bei der Patent-Frage ansieht, als käme ich vom Mond."

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