Agrarwissenschaften:Vom Stall ins Seminar

Studiengänge, die Landwirtschaft mit anderen Themen wie Nachhaltigkeit oder Management verbinden, sind bei jungen Leuten gefragt. Nach dem Abschluss gehen manche wieder auf den Hof, andere arbeiten für Unternehmen oder Verbände.

Von Joachim Göres

Die Zahl der landwirtschaftlichen Höfe sinkt in Deutschland seit Jahren, doch immer mehr junge Leute bewerben sich an Hochschulen und Universitäten um einen Platz für ein Agrarstudium. Für Uwe Latacz-Lohmann ist das kein Widerspruch. "Die landwirtschaftlichen Betriebe sind heute Hightech-Unternehmen. Früher ist man dort oft nach einer Ausbildung eingestiegen. Heute reicht das nicht mehr, denn es sind auch Kenntnisse aus den Bereichen Naturwissenschaften, Management und Ingenieurwissenschaft gefragt", sagt der Professor für landwirtschaftliche Betriebswirtschaftslehre und Produktionsökonomie an der agrar- und ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Uni Kiel.

Dort sind circa 2500 Studierende eingeschrieben. Zum Wintersemester hatten sich 650 junge Leute auf die 205 Plätze im Studiengang Agrarwissenschaften beworben. Für die Bachelor-Studenten stehen nicht nur Seminare über Nutzpflanzen und Nutztiere auf dem Programm, sondern sie setzen sich auch mit Themen wie Volkswirtschaftslehre und Landtechnik, Chemie, Statistik und Physik auseinander. "Die Abbrecherquote ist gering, die Motivation der Studierenden hoch", betont Latacz-Lohmann. Nach dem sechs Semester dauernden Bachelor machen mehr als die Hälfte der Absolventen im Masterstudiengang weiter, der vier Fachrichtungen anbietet. Vor allem der Schwerpunkt Agribusiness ist wegen der guten Berufsaussichten gefragt, der Master in Umweltwissenschaften ist dagegen weniger begehrt. Latacz-Lohmann sieht zwei etwa gleich große Gruppen von Studenten: Die einen kommen vom Hof, den sie nach dem Studium übernehmen wollen, die anderen sind an Themen wie Ernährung, Klimawandel und Nachhaltigkeit interessiert; sie arbeiten später bei Verbänden oder Unternehmen. 70 Prozent der Kieler Agrarwissenschaft-Studenten sind Frauen, Tendenz steigend.

Landwirtschaft boomt auch an der Uni Göttingen. "Wir hatten zuletzt 460 Erstsemester. In diesem Jahr werden wir nur noch 300 Bewerber aufnehmen, weil sich unsere Plätze erschöpfen. So eine starke Nachfrage gab es zuletzt in den Achtzigerjahren", sagt Studiendekan Christian Ahl. Damals kamen viele Studenten von den elterlichen Betrieben. "Diese Zahl ist zurückgegangen. Heute werden die Bewerber von den sehr guten Berufsaussichten in der Landwirtschaft gelockt, denn das Agrargeschäft wächst und Fachleute werden gesucht", erläutert Ahl. Insgesamt zählt das Fach Agrarwissenschaften in Göttingen inzwischen mehr als 2600 Studierende - neu ist dort das berufsbegleitende MBA-Studium Agribusiness. Es soll Agrar- und Wirtschaftswissenschaftler sowie Quereinsteiger innerhalb von sechs Semestern auf Managementaufgaben in Agrarunternehmen vorbereiten. Zudem bieten die an drei Standorten in Sachsen-Anhalt vertretene Hochschule Anhalt und die in Bayern ansässige Hochschule für Angewandte Wissenschaften Weihenstephan-Triesdorf einen MBA in Agrarmanagement an.

Mit dem Bachelor "Ökolandbau und Vermarktung" und dem Master "Öko-Agrarmanagement" gehört die Hochschule Eberswalde nördlich von Berlin neben der Hochschule Kassel-Witzenhausen zu den Anbietern eines Studiums mit Schwerpunkt Ökologischer Landbau. In den Seminaren geht es unter anderem um ökologischen Acker- und Pflanzenbau, um ökologische Lebensmittelverarbeitung sowie um Agrar- und Umweltpolitik. Im vierten Semester gewinnen die Studenten in einem Praxissemester Einblicke in die Arbeit eines ökologischen Landwirtschaftsbetriebs oder eines Bio-Lebensmittelunternehmens - dadurch ergeben sich häufig schon vor dem Bachelor-Abschluss Stellenzusagen. Anna Evertz studiert in Eberswalde Ökolandbau. "Bei uns gab es zuletzt 200 Bewerber auf 50 Studienplätze. Das Interesse von jungen Leuten an der ökologischen Bewirtschaftung ist sehr groß. Sie wollen damit einen Beitrag zur nachhaltigen Lebensweise leisten", sagt die 23-Jährige, die mal einen Betrieb mit Milchkühen und Ackerbau nach ökologischen Grundsätzen führen will.

Mit dem Studium entwickeln sich Perspektiven für die Arbeit in Unternehmen und Verbänden

Steffen Hönnies studiert an der Fachhochschule Südwestfalen in Soest Agrarwirtschaft. Zu seinen Pflichtmodulen gehören spezieller Pflanzenanbau, landwirtschaftliche Nutztierhaltung, Projektmanagement und Produktionsökonomie. Nach der Bachelorarbeit ist für ihn ein viersemestriges Masterstudium in Soest möglich. "Bei uns kommen derzeit auf 140 Studienplätze für Anfänger 500 Bewerber. Circa 30 Prozent der Absolventen arbeiten danach in einem landwirtschaftlichen Betrieb", sagt Hönnies. Er spricht von sehr guten Berufsaussichten, etwa im Handel, in der Industrie oder bei Versicherungen.

Die Praktiker an die FH, die Theoretiker an die Uni - von dieser weitverbreiteten Aussage hält Latacz-Lohmann nichts. "Wer an der Uni Kiel Agrarwissenschaften studieren will, muss vorab ein dreimonatiges landwirtschaftliches Praktikum nachweisen. Die Anwendung des erlernten Wissens steht bei uns früher im Mittelpunkt, als das vor Jahren noch üblich war", sagt er. Die starke Nachfrage nach seinen Absolventen sieht er mit einem weinenden Auge: "Die Berufschancen sind so gut, dass wir Probleme haben, gute Leute für eine Promotion bei uns zu halten."

Man muss nicht Agrarwissenschaften studieren, um später in einem Agrartechnikkonzern zu arbeiten - davon ist René Hüggelmeier überzeugt, als Personalleiter für 1800 Mitarbeiter bei den Amazonen-Werken zuständig. Ihr Sitz befindet sich in der niedersächsischen Gemeinde Hasbergen. Das Unternehmen stellt landwirtschaftliche Maschinen und Geräte her. "Man sollte aber Interesse an der Landwirtschaft haben und die Bereitschaft zur Mobilität mitbringen", sagt Hüggelmeier.

Weitere Informationen finden sich im Internet unter www.agrarwissenschaften.de

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