Ärztemangel in Neuseeland:Pistenzauber für Doktoren

Neuseeland hat viele Berge, aber zu wenige Mediziner. Sam Hazledine hat daraus ein Geschäft gemacht: Er vermittelt Ärzten einen Arbeitsplatz mit Skipiste.

Andreas Tazl

Wenn Sam Hazledine aus seinem Bürofenster in Queenstown blickt, schaut er auf Mittelerde, jene mystische Welt, in der der britische Schriftsteller J. R. R. Tolkien seinen Fantasy-Roman "Herr der Ringe" angesiedelt hat. Ein spiegelglatter See erstreckt sich vor Hazledine, dahinter sieht man die kahlen Berge Neuseelands mit ihren schneebedeckten Kuppen. Hier wurde gedreht, um den literarischen Stoff ins Kino zu bringen.

Ärztemangel in Neuseeland: Sam Hazledine war Arzt, später Skisportler. Heute verhilft er jungen Medizinern zu einem Arbeitsplatz, an dem sie mehr verdienen als im Krankenhaus - und ihren Hobbys nachgehen können. Bislang bietet er seine Dienste nur in Neuseeland an; nun versucht er, auch in Australien Fuß zu fassen.

Sam Hazledine war Arzt, später Skisportler. Heute verhilft er jungen Medizinern zu einem Arbeitsplatz, an dem sie mehr verdienen als im Krankenhaus - und ihren Hobbys nachgehen können. Bislang bietet er seine Dienste nur in Neuseeland an; nun versucht er, auch in Australien Fuß zu fassen.

(Foto: privat)

Und hier hat der studierte Mediziner Hazledine vor gut drei Jahren Med-Recruit gegründet, eine der am schnellsten wachsenden Firmen Neuseelands. "Ein Leben und eine Karriere - du kannst beides haben", heißt der Werbespruch von Med-Recruit. Der Arbeitsplatz mit filmreifem Ausblick scheint dieses Versprechen für die neun Angestellten der Internetfirma einzulösen. Dabei war der Slogan nicht für sie gedacht. Sam Hazledines Zielgruppe sind Ärzte. Er vermittelt ihnen Jobs, die auch zu ihrem Leben nach dem Feierabend passen.

Der Ärztemangel in Neuseeland und Australien macht das erfolgreiche Geschäftsmodell erst möglich - und Hazledines Datenbank so wertvoll. Umgerechnet zwischen 34.000 und 68.000 Euro verdient ein junger Arzt in Neuseeland während seiner ersten Jahre, wenn er an einem Krankenhaus festangestellt ist. Sam Hazledine verspricht den Jungmedizinern bei einem Wechsel in die freiberufliche Tätigkeit weniger Arbeit, ein Jahresgehalt von umgerechnet bis zu 168.000 Euro und einen Platz, an dem sie auch ihren Hobbys nachgehen können.

Egal ob Schwimmen oder Skifahren - die Möglichkeiten in Australien und Neuseeland sind vielfältig. "Der Arzt sagt uns zum Beispiel, dass er gerne surft und in einer großen Stadt leben will, und wir suchen ihm dazu die passende Stelle", erzählt Hazledine. Die Krankenhäuser sind offenbar bereit, für den richtigen Kandidaten tief in die Tasche zu greifen. Und Hazledine kann diesen fast immer vermitteln. "Wir haben die Hälfte aller Junior Doctors aus Neuseeland bei uns gespeichert", sagt er.

Hazledine war selbst Arzt, bevor er auf die Idee kam, Med-Recruit zu gründen. Aber er war nicht nur Mediziner, sondern auch begeisterter Extremskifahrer. Ein Hobby, das er nie mit seinem Beruf zusammenbringen konnte. Also kündigte er im Krankenhaus und tauschte den OP-Saal gegen die schneebedeckten Gipfel in Mittelerde ein. Er brachte es bis zum nationalen Skistar in Neuseeland, ehe ein Unfall seine Karriere beendete. Doch Hazledine wollte nicht zurück in seinen alten Beruf. So gründete er mit seiner Frau Med-Recruit. Umgerechnet 384.000 Euro setzten die beiden im ersten Jahr um. Und das mit einem Startkapital von nicht einmal 17.000 Euro. Sie klapperten Krankenhäuser ab und warben persönlich und übers Internet Mediziner an, die sich bei Med-Recruit kostenlos anmelden konnten, wenn sie ihren Lebenslauf bereitstellten. Mittlerweile verfügt Med-Recruit über eine Datenbank mit 10.000 Ärzten.

Mit 30 Millionär

Die wachsende Datenbank machte sich auch im Umsatz bemerkbar: Im vergangenen Jahr erreichte er umgerechnet 3,75 Millionen Euro. Zudem ist das auf dem Internet basierende Geschäftsmodell äußerst rentabel: Sein Ziel, erzählt Hazledine, war es, bis zu seinem 30. Geburtstag einen jährlichen Gewinn von einer Million neuseeländischer Dollar zu machen. Er hat es im vorletzten Jahr erreicht, bereits ein Jahr früher, bevor er tatsächlich 30 wurde.

"30 bis 50 Prozent unserer neuen Kunden kommen über Empfehlungen", sagt Hazledine. Die restlichen lockt er über direktes Marketing und über Anzeigen auf der Internetseite der Suchmaschine Google. Der Geschäftsmann mit dem Doktortitel ist einfallsreich, wenn es darum geht, seine Internetplattform noch bekannter zu machen. So ließ er sich bei einer im Internet geführten Abstimmung dazu überreden, mitten im Winter das Büro zu verlassen und auf dem fünf Grad kalten Lake Wakatipu Wasserski zu fahren - nur mit einer Badehose bekleidet.

Hüllenlose Mediziner

Ein anderer Trick, seine Marke bei der Ärzteschaft in Neuseeland und Australien bekannt zu machen, ist ein Kalender mit nackten Doktoren. Was mit Feuerwehrmännern und Jungbauern klappt, muss doch auch für Ärzte funktionieren, dachte sich Hazledine und überredete einige Kollegen, die Hüllen fallen zu lassen. Die Aufmerksamkeit war Med-Recruit sicher. Eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem großen Vorbild Richard Branson, dem Selbstdarsteller und Gründer des Musikkonzerns Virgin, lässt sich nicht leugnen.

Extremskifahren in Wanaka

Ärzte, die auch Skifahren wollen, sind in Neuseeland richtig.

(Foto: Reuters)

Hazledine will weiter wachsen - über die Landesgrenzen hinaus. "Neuseeland ist bestens geeignet, um ein Geschäftsmodell zu testen", sagt er. "Der Markt ist klein und schnell zu erobern. Wenn es funktioniert, kann man es auf Australien ausweiten." Einen Fuß hat er bereits auf den fünfmal so großen australischen Markt gesetzt, doch der Anfang ist zäh. Während Neuseeland wenig Regulierung kennt, kämpft Hazledine in Australien mit der Bürokratie. "Ein schönes Beispiel", sagt er, "ist unsere kostenlose Telefonhotline. Es hat fünfmal so lange gedauert, und wir mussten fünfmal so viele Anträge ausfüllen, um die gleiche Nummer zu erhalten wie in Neuseeland."

Außerhalb des pazifischen Raums ist Med-Recruit nur aktiv, um die Ärztedatenbank weiter zu füllen: "Wir rekrutieren über Internetkampagnen auch viele Mediziner aus Großbritannien und Europa." Natürlich gibt es noch andere Berufe, in denen es den südpazifischen Ländern an Arbeitskräften mangelt, doch Sam Hazledine bleibt sich treu: "Wir könnten das Modell auf das Pflegepersonal ausweiten, aber die Ärzte sind eine sehr profitable Nische."

In Queenstown sind in der vergangenen Nacht 75 Zentimeter Neuschnee gefallen, der Himmel strahlt tief blau. Es wäre ein perfekter Skitag. Doch Sam Hazledine sitzt am Computer. Für den ehemals passionierten Skifahrer gilt längst nicht mehr das, was er mittlerweile erkauft: die perfekte Balance zwischen Leben und Arbeiten.

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