Ärzte-Streik:Tagebuch eines Wochenenddienstes

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Nach elfeinhalb Stunden eine kalte Pizza: Eine Anästhesie-Ärztin protokolliert ihren langen Arbeitstag.

Viel Arbeit - wenig Schlaf: Nachts und am Wochenende sorgen im Universitäts-Klinikum Großhadern jeweils sechs Anästhesisten für die Narkosen bei Notfall-Eingriffen, für den Schockraum und die akute Schmerztherapie. Außerdem übernehmen sie Transport und Betreuung von Intensivpatienten, während diese untersucht und behandelt werden. Von 17 Uhr an leisten sie "Bereitschaftsdienst", der mit 80 Prozent vergütet wird. Eine von ihnen ist Meike Lauchart, 29, Assistenzärztin. Für die SZ hat sie über ihrer ganz normalen 24-Stunden-Schicht am vergangenen Wochenende Tagebuch geführt.

8.10 Uhr: Ich verlasse die Wohnung. Am Samstag geht unser Dienst erst um neun los. U-Bahn-Fahrt, umziehen, gleich den grünen Kittel, denn zuerst muss ich auf Intensiv.

9.00 Uhr: Dort treffe ich den Kollegen vom Nachtdienst. Wir machen interne Dienstübergabe, zusammen mit den Neurochirurgen. Ich erfahre, dass wir einen Patienten mit einem blutenden Aneurysma, also einer Hirnblutung, sofort operieren müssen.

9.15 Uhr: Ich hänge am Telefon und organisiere mit den Anästhesieschwestern, dass sie im OP alles für die Narkose vorbereiten sollen. Außerdem Anruf auf Station. Sie können den Patienten bringen.

9.25 Uhr: Vor der OP, die stundenlang dauern wird, noch kurz die anderen von der Anästhesie treffen, die mit mir Dienst haben, und schnell noch eine Semmel holen. Die Cafeteria schließt am Wo-chenende schon mittags.

9.45 Uhr: Die Schwestern rufen an, alles ist bereit im OP, und der Patient ist da. Die Operation eines blutenden Aneurysmas ist ziemlich heikel. Es geht schließlich um ein kaputtes Gefäß im Kopf, sollte es platzen, kommt es zu einer Massenblutung im Gehirn. Das heißt für mich, der Blutdruck darf wirklich nie zu hoch sein, sonst könnte es zu schrecklichen Komplikationen kommen. Aufgeklärt ist der Patient, das hat der Kollege vom Nachtdienst gemacht. Ich stelle mich vor und versuche, während der üblichen Handgriffe beruhigend auf den Mann einzuwirken.

10.15 Uhr: Der Patient schläft. Wie immer bei solchen Operationen ist die Atmosphäre höchst konzentriert. Ich bin immer dabei, direkt an den Füßen des Patienten, am Kopf stehen die Operateure. Ich kümmere mich um die Aufrechterhaltung der Narkose und die Beatmung, und ich habe am Monitor den Blutdruck permanent und peinlichst genau im Blick. Gleichzeitig beobachte ich die Aktionen der neurochirurgischen Kollegen auf einem Bildschirm, der an ihr Mikroskop angeschlossen ist.

14.05 Uhr: Schon so spät. Gut, dass eine Kollegin kommt und mich für ein paar Minuten ablöst.

14.15 Uhr: Zurück im OP.

14.45 Uhr: Der Patient wacht auf und kann gleich wieder sprechen und sich bewegen. Ich bin immer wieder froh, wenn ein so riskanter Eingriff gut geklappt hat. Zusammen mit dem Neurochirurgen schiebe ich den Mann auf Intensiv, der Transportmonitor ist dabei, damit wir ihn ständig überwachen können. Übergabe an den Kollegen. Und keine Pause! Von einer anderen Station ist schon die nächste Patientin auf dem Weg in den OP. Sie hat einen hohen Bandscheibenvorfall im Halswirbelbereich mit extremen Schmerzen und Taubheitsgefühlen in den Händen. Wir können unmöglich warten. Womöglich könnte es sonst sogar zu einer hohen Querschnittslähmung kommen.

15.15 Uhr: Ich leite meine zweite Narkose dieses Tages ein. Auch diesmal ist es für die Anästhesistin aufregend, weil der Patient bei Halswirbelsäulenoperationen im Sitzen operiert wird. In dieser Haltung kann leicht Luft vom OP-Gebiet aus in den venösen Kreislauf gelangen. Wir legen deshalb einen Katheter bis in den Vorhof des Herzens. Die ganze Zeit wird das Herz mit einem Ultraschallgerät überwacht. Ich muss unentwegt hinhören, ob Luft in die Herzhöhle gelangt. Das lässt sich nicht immer vermeiden, aber wenn ich es rechtzeitig merke, kann ich die Luft absaugen, und es entsteht kein Schaden für den Patienten.

18.50 Uhr: Die Patientin wacht auf, und die Schmerzen sind weg. Sie ist ganz begeistert, und ich freue mich mit ihr. Ich begleite sie in unseren Aufwachraum und übergebe sie dort einer Kollegin.

19.15 Uhr: Allmählich meldet sich der Hunger. Jetzt schaffen wir es, eine Pizza zu bestellen. In der Zwischenzeit gehe ich auf eine innere Station. Dort wartet schon eine Patientin, die auf die Warteliste für eine Lebertransplantation kommen soll. Sobald es ein Organ gibt, wird operiert. Das heißt, dass auch wir Anästhesisten vorher ein ausführliches Aufklärungsgespräch mit ihr führen. Ich arbeite ihre dicke Krankenakte durch und schreibe das Wichtigste raus, damit wir die Narkose und die anschließende Intensivtherapie planen können. Für einen solchen großen und komplizierten Eingriff finde ich es besonders wichtig, sich viel Zeit für das Gespräch zu nehmen. Eine Stunde ist da schnell um.

20.30 Uhr: Pizza funghi ist da und schon fast wieder kalt. Trotzdem esse ich sie mit Appetit. Schließlich bin ich mittlerweile seit elfeinhalb Stunden im Dienst - ohne halbwegs anständige Pause. Mit meinen Kollegen, die gerade Zeit zum Essen haben, reden wir über die Fälle. Aber nicht nur - wir sind ein gutes Team und verstehen uns auch privat.

21.30 Uhr: Der Piepser! Ein Patient auf Intensiv hat sich verschlechtert. Er muss schleunigst ins CT, um die Ursache zu suchen. Er ist beatmet, ich muss mich bei der Untersuchung und dem Transport um ihn kümmern. Da laufe ich nicht bloß nebenher. Während ich den Monitor am Fußende des Bettes beobachte, drücke ich mit einem Beatmungsbeutel Luft in die Lungen des Patienten und helfe beim Schieben. Echt ein Balanceakt!

22.25 Uhr: Der Patient ist wieder sicher auf Station. Und dann mache ich erst mal nichts! Jetzt merke ich, wie müde ich bin. Ich setze mich vor den Fernseher im Aufenthaltsraum der Anästhesisten. Deutschland sucht den Superstar, und ich schlafe ein.

23.45 Uhr: Ich ziehe ins Bett um. . .

0.45 Uhr: . . . leider nicht für lang. Der Piepser geht, mein Oberarzt ist dran. Eine Frau hat unter den Wehen starke Schmerzen. Wie ferngesteuert mache ich mich auf den Weg. Bis zum Kreißsaal bin ich wach und lege einen Peridural-Katheter zur Geburtserleichterung.

1.50 Uhr: Die Hebamme will, dass ich noch dableibe, weil mich vielleicht noch eine andere Patientin unter der Geburt braucht. Wenigstens kann ich am Automaten einen Kaffee holen.

2.15 Uhr: Nochmal eine PDA legen bei einer anderen werdenden Mutter.

3.55 Uhr: Zurück im Zimmer, im Bett. Ich schlafe wirklich bis um acht Uhr durch. Da hab ich heute Glück, ich hatte schon Dienste, in denen ich das Zimmer gar nicht gesehen habe!

8.00 Uhr: Vom Krach im Gang wache ich auf und beschließe, nochmal nach den beiden Frauen im Kreißsaal zu schauen. Es geht ihnen gut.

9.00 Uhr: Dienstübergabe im Aufenthaltsraum an die Sonntagsmannschaft.

9.15 Uhr: Schnell eine SMS an meine Freundin. Mit unserem Frühstück heute wird es nichts. Ich will schlafen. Aber abends treffen wir uns. Da bin ich nämlich als Theaterärztin im Prinzregententheater eingeteilt. Geld gibt's nicht dafür, aber zwei Karten. Ich mache es aus Spaß und sehr gern.

9.20 Uhr: Mit den Kollegen von der Nacht kurzes Frühstück in der Cafeteria. Manchmal fahren wir auch einfach nur schnell nach Hause ins Bett. 24 Stunden mit so wenig Schlaf und so viel Verantwortung spürt man, wenn's dann ruhig wird. In unserer Abteilung ist es in der Regel so, dass wir nach einer 24-Studen-Schicht heimgehen können.

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