Ärzte: Sonderstatus in der Gesellschaft:"Ich operiere nicht jeden"

Ein Arzt verweigerte einem Patienten die Behandlung, weil dieser ein Hakenkreuz-Tattoo hatte. Soll ihn deshalb ein Berufsverbot treffen? Für Mediziner gelten oft besondere Verhaltensregeln.

Christina Berndt

Die Ehefrau war empört. Was dieser Arzt getan hatte, wollte sie nicht akzeptieren. So rief sie bei der Bild an, Deutschlands Fachblatt für Empörung, und beklagte: Ihr Mann habe sich an der Schilddrüse operieren lassen wollen, aber der Arzt habe ihn einfach liegen lassen. Der ihr angetraute Lkw-Fahrer hatte schon narkotisiert im Operationssaal des katholischen Brüderkrankenhauses St.Josef in Paderborn gelegen, als der Operateur das Tattoo am rechten Oberarm des 36-Jährigen erblickte: Ein Reichsadler thronte da auf einem von Lorbeer umrankten Hakenkreuz. Der Chirurg sah es und ging. "Ich kann Ihren Mann nicht operieren. Ich bin Jude", sagte er der Ehefrau. Seinem Schicksal überließ er den Patienten aber nicht, sondern verständigte die Oberärztin, die den Eingriff erfolgreich vornahm.

Leiharbeit Pflege

Ärzte nehmen in der Gesellschaft noch immer eine Sonderrolle ein. Müssen sie sich deshalb auch anders verhalten?

(Foto: ddp)

Das reichte der Ehefrau nicht. Dass der Arzt seine Empfindungen über seine beruflichen Pflichten stellte, wollte sie nicht akzeptieren und gab den Fall an die Bild. Dem Arzt müsse das Handwerk gelegt werden, fand sie. Auch andere Stimmen forderten einen Entzug der Approbation, weil der Chirurg dem Patienten seine Hilfe versagt habe. Das stehe nicht im Einklang mit den Idealen des Berufes, denen zufolge ein Arzt jedem Menschen ohne Ansehen der Person helfen muss.

Mediziner nehmen bis heute eine gesellschaftliche Sonderrolle ein. Auch wenn manche von ihnen inzwischen eher Kunden haben als Patienten und ihre ärztliche Kunst eher kommerziell denn segensreich nutzen, haben Ärzte immer noch einen außergewöhnlichen Status. Unangefochten stehen sie seit Jahrzehnten auf Platz 1 in der Rangliste der angesehensten Berufe. 71 Prozent der Bundesbürger gaben auf die jüngste Frage aus Allensbach, welche Profession sie besonders schätzen, den Arztberuf an. Erst mit 56 Prozent Zustimmung folgte auf Platz 2 die Krankenschwester, mit 40 Prozent auf Platz 3 der Polizist; Journalisten (10 Prozent) und Politiker (6 Prozent) können da nur neidisch sein.

So eine Sonderrolle ist allerdings nicht immer angenehm. Denn wer gottähnlich angebetet wird, soll offenbar auch gottähnlich über den Dingen stehen. In der Folge sind die Helfer in Weiß so hohen Ansprüchen ausgesetzt wie kaum eine andere Berufsgruppe. Und ihre Standesvertreter arbeiten daran, dass das auch so bleibt: Jedes Jahr wird 10 bis 15 Ärzten wegen "unwürdigen" Verhaltens die Approbation entzogen. Das ist eine schwere Strafe, denn sie kommt einem Berufsverbot gleich.

Zwar kann nach Paragraf 70 des Strafgesetzbuches grundsätzlich jedem straffällig gewordenen Menschen, gleich welchen Metiers, die Ausübung seines Berufes verboten werden. Umgesetzt wird dies jedoch gemeinhin nur dann, wenn ein Täter seine Profession für seine Straftat genutzt hat - etwa ein Steuerberater, der Steuern hinterzieht.

Ärzte aber (und die Angehörigen der anderen Heilberufe wie Apotheker und Psychotherapeuten) müssen gar nicht im Rahmen ihrer Tätigkeit Regeln verletzen, um ihre Approbation zu verlieren. Es reicht mitunter schon gesellschaftliches Fehlverhalten. So bestätigte das Verwaltungsgericht Bayreuth vor wenigen Wochen, dass eine Klinikärztin aus dem Landkreis Lichtenfels ihren Beruf nicht mehr ausüben darf, weil die 50-Jährige zum dritten Mal beim Ladendiebstahl erwischt worden war.

Der Vorsitzende Richter sagte, Voraussetzung für die ärztliche Tätigkeit sei nicht nur die berufliche, sondern auch die charakterliche Eignung. Die Frau habe sich als "unwürdig" erwiesen. Da nützte es nichts, dass ihr Verteidiger betonte, die Ladendiebstähle hätten nichts mit dem Arztberuf zu tun.

"Im Notfall muss er ran"

Mit einer ähnlichen Begründung beendete das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Karriere eines Augenarztes, der Steuern hinterzogen hatte. Und ein Starnberger Schöffengericht entzog einer 58-jährigen Ärztin die Berufserlaubnis, weil sie Beihilfe zum Drogenhandel ihres Sohnes geleistet habe, indem sie ihm dazu ihr Auto lieh.

Auch den jüdischen Arzt aus Paderborn wollte so mancher nicht mehr im weißen Kittel sehen. Es habe aber zugleich viel Zustimmung zum Verhalten des Chirurgen gegeben, sagt eine Sprecherin des Krankenhauses: "Es gab positive Rückmeldungen aus der Bevölkerung, die die Courage des Arztes lobten." Schließlich sei der Patient versorgt worden. Ihm gehe es gut, er sei längst nach Hause zu seiner Ehefrau entlassen.

Das Verständnis, das dieser fehlte, bringen hochrangige Ärztevertreter sehr wohl für den jüdischen Chirurgen auf. Er sehe keine Grundlage für den Entzug der Approbation, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe: Der Arzt könne erklären, dass er zu geschockt sei, um den Patienten mit Hakenkreuz zu operieren. Zwar müsse er die Sorgfaltspflicht einhalten, aber das habe er getan, indem er die Chefärztin rief.

"Etwas Anderes wäre es bei einem Notfall gewesen", so Hoppe. "Im Notfall muss er ran, selbst wenn der Patient von Hakenkreuzen übersät ist."

An den besonderen Ansprüchen an ärztliches Auftreten hält Hoppe trotz allem fest. "Ärzte sind ja Vertrauenspersonen", sagte er. "Deshalb gehört es zu ihren Berufspflichten, vertrauenswürdig zu sein." Im Extremfall ist Hoppe auch für den Approbationsentzug. Dass über die Maßstäbe aber nachgedacht werden muss, räumt auch der Ärztekammerpräsident ein. Denn mitunter scheinen Mediziner schneller wegen sozialen Fehlverhaltens aus der Gemeinschaft der Ärzte ausgeschlossen zu werden, als dass echte berufliche Gründe ausschlaggebend sind.

So wurde in Deutschland bislang noch kein einziges Berufsverbot wegen Dopings verhängt, obwohl etliche Ärzte, etwa aus dem DDR-Sportsystem, wegen gesundheitsschädlicher Leistungssteigerung bei Minderjährigen rechtskräftig verurteilt worden sind. Auch sind nur ausgesprochen selten Behandlungsfehler der Grund für ein Berufsverbot. "Sie müssen schon grob fahrlässig oder mit Absicht durchgeführt worden sein", sagt Hoppe. "Ein schlechter Arzt zu sein, reicht leider nicht für einen Entzug der Approbation."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: