Ärzte im Krankenhaus:"Die Ärzte müssen untereinander solidarischer sein"

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Die junge Medizinerin Claudia Röhl über die Misstände in Krankenhäusern und über die Schwierigkeiten, sie zu beseitigen.

(SZ vom 25.5.2001) Die Belastungen für junge Ärzte sind enorm. Wer sich dagegen wehrt, bekommt Probleme. Claudia Röhl, 30, wissenschaftliche Assistentin an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, hat während ihrer Ausbildung als Arzt im Praktikum (AiP) in einem Kreiskrankenhaus in Schleswig-Holstein schlechte Erfahrungen gemacht. Mit ihr sprachen Heidrun Graupner und Andreas Hoffmann.

SZ: Sie haben während ihrer AiP-Zeit versucht, Ihre Überstunden aufzuschreiben. Was hatte das für Folgen?

Röhl: In den ersten drei Monaten hatte ich 130 Überstunden geleistet, aber zunächst erhielt ich überhaupt keine Formulare, um sie abzurechnen. Später sagte mir dann der Chefarzt, ich könne die Überstunden nicht ausgleichen, weder mit Geld noch durch Freizeit. Das sei nicht vorgesehen. Es müsse an mir liegen, wenn ich die Arbeit nicht in der vorhandenen Zeit schaffe. Meine Kollegen würden auch keine Überstunden einreichen.

SZ: Und lag es an Ihrer Organisation?

Röhl: Natürlich nicht. Ich wollte mir Zeit für die Patienten nehmen, mehr als nur ein, zwei Minuten. Die Arbeit in den Krankenhäusern nimmt ja seit Jahren zu, insbesondere der Verwaltungsaufwand. Wenn man sich zehn Minuten um einen Patienten kümmert, warten anschließend 40 Minuten Bürokratie. Außerdem wächst die Konkurrenz unter den Ärzten, weil sich nicht mehr so viele Mediziner mit einer Praxis niederlassen dürfen. Da schweigen viele über ihre Belastung.

SZ: Wie ging es weiter in Ihrem Kreiskrankenhaus?

Röhl: Die Angriffe wurden immer massiver. Mir wurde mit Kündigung gedroht, wenn ich an dem Überstunden-Ausgleich fest halten wolle.

SZ: Haben Ihnen Ihre Kollegen beigestanden?

Röhl: Das war das Deprimierendste. Die Kollegen haben mich überhaupt nicht unterstützt. Im Gegenteil. Manche stellten sich hinter den Chefarzt und die Klinikleitung und sagten, man müsse Überstunden hinnehmen.

SZ: Fehlt es an Solidarität unter den Medizinern?

Röhl: Solidarität unter Ärzten ist sehr gering ausgeprägt. Jeder denkt nur an seinen eigenen Vorteil, weil es zu wenige Stellen in den Krankenhäusern gibt. Außerdem versuchen die Kliniken immer mehr, die Arbeitsverträge für Nachwuchsmediziner zu verkürzen, bis auf drei Monate. Da haben viele Angst, nicht weiter beschäftigt zu werden.

SZ: Welche Folgen hat die ständige Arbeitsüberlastung?

Röhl: Ich war sehr oft erschöpft und ausgelaugt. Oft schreibt man noch in seiner Freizeit die Patientenberichte. Einige Kollegen nehmen dafür sogar extra ihren Jahresurlaub. Durch die Dauerbelastung habe ich kaum Fachkenntnisse erworben, obwohl dies auch ein Ziel des "Arzt im Praktikum" ist.

SZ: Sind Ihnen Fehler unterlaufen?

Röhl: Natürlich passieren Fehler, etwa dass Untersuchungen zu spät gemacht oder vergessen werden. Aber es geschieht auch Schwerwiegenderes. In Kiel hat beispielsweise eine Ärztin im Praktikum eine falsche Spritze gesetzt, später ist der Patient dann gestorben.

SZ: Aber ein Arzt im Praktikum steht unter der Aufsicht des Oberarztes?

Röhl: Sicherlich. Häufig arbeitet man als Arzt im Praktikum aber wie ein voll approbierter Assistenzarzt. Im Alltag fehlt häufig die Zeit, alles genau abzusprechen. Manche Kollegen trauen sich auch nicht genau nachzufragen, wie die Patienten behandelt werden sollen. Sie haben zu viel Angst, besonders wenn sie sich unter Druck gesetzt fühlen.

SZ: Wie könnte der Zustand in den Kliniken geändert werden?

Röhl: Ohne zusätzliche Stellen in den Krankenhäusern geht es nicht. Die Belastung ist einfach zu hoch. Die Ärzte müssen aber auch solidarischer untereinander werden, sonst ändern sich die Bedingungen nie.

SZ: Zusätzliche Stellen in den Kliniken kosten Geld. Die Bürger wollen aber keine höheren Krankenversicherungsbeiträge bezahlen.

Röhl: Ich habe dafür auch kein Patentrezept. Aber die Situation in den Krankenhäusern kann nicht so bleiben. Ohne weitere Stellen wird es nicht gehen.

SZ: Welche persönliche Konsequenzen haben Sie gezogen?

Röhl: Ich habe meine Stelle in dem Kreiskrankenhaus vor einiger Zeit gekündigt. Jetzt arbeite ich in der Forschung an der Universität in Kiel.

SZ: Würden Sie noch einmal Medizinerin werden wollen.

Röhl: Nein. Wegen der Belastungen ist der Arztberuf vollkommen unattraktiv geworden. Heute würde ich mir einen anderen Job suchen, obwohl ich seit meiner Kindheit Ärztin werden wollte.

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