Ältere Arbeitnehmer:Fachkraft über 50 sucht Fachkräftemangel

Ältere Arbeitnehmer

Fabrik für Ältere: In einer Werkhalle im südbrandenburgischen Finsterwalde arbeiten über 50-Jährige.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Deutschland fehlen in den technisch-naturwissenschaftlichen Berufen qualifizierte Leute, heißt es. Wolfgang Popp, 54, Diplom-Mathematiker mit Jahrzehnten Berufserfahrung, ist so eine gesuchte Fachkraft - doch er findet keinen Job. Was stimmt da nicht?

Von Thomas Öchsner, Berlin

Wolfgang Popp will auf keinen Fall aufgeben. 150 Bewerbungen hat der Diplom-Mathematiker in den vergangenen zwei Jahren geschrieben. Oft erhielt er gar keine Antwort. Ein paar Mal kam der Münchner in die zweite Runde, durfte am Telefon ein paar Fragen beantworten. Sechs Mal fand ein Bewerbungsgespräch statt. Am Ende war alles vergeblich.

Popp hat 27 Jahre bei Siemens gearbeitet. Er hat Software entwickelt, Budgets kontrolliert, Projekte koordiniert, Prozesse gemanagt, internationale Kollegen geschult. Doch die akademische Fachkraft mit viel Berufserfahrung hat offenbar einen großen Makel: Der Vater von zwei Kindern ist 54 Jahre alt - und damit zu alt für die allermeisten Arbeitgeber. Das glaubt zumindest Popp, auch wenn dies keiner ihm gegenüber ausspricht. "Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass man mit über 50 am Arbeitsmarkt diskriminiert wird", sagt der Mathematiker.

Als junger Mann hatte Popp Siemens vertraut. ,"Mir war ein sicherer Arbeitsplatz schon wichtig." Alles lief gut, bis 2012 das passierte, womit der Siemensianer nie gerechnet hätte. Er verlor wie 1300 andere Mitarbeiter in München seinen Job bei dem Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks (NSN) und landete in einer Transfergesellschaft, die helfen sollte, den ehemaligen NSN-Mitarbeitern eine neue Stelle zu verschaffen. Bei der Mehrheit ist dies gelungen.

Mythos Fachkräftemangel?

500 sind nach Angaben der Münchner IG Metall aber noch wie Popp auf Arbeitssuche, die allermeisten bestens ausgebildete Fachkräfte, Ingenieure für Elektrotechnik, Physiker und eben auch Mathematiker. Davon seien die meisten über 50 Jahre, sagt ein Sprecher der Initiative, die sich selbst als Fachkräfte im Bereich Informations- und Telekommunikationstechnik (ITK) im besten Alter sieht (www.bestager-itk.de).

Ist der Mangel an Fachkräften in technisch-naturwissenschaftlichen Berufen also nur ein Mythos?

Lutz Goebel, Präsident des Verbands "Die Familienunternehmer", sagt: "Der Fachkräftemangel ist ein aktuelles und reales Wachstumshindernis, keine entfernte Utopie." Der Branchenverband Bitkom hat erst gerade seine Mitglieder befragt. Danach fühlt sich jedes zweite Unternehmen in der IT-Branche durch den Fachkräftemangel in seiner Arbeit behindert. Genaue Zahlen nennt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft: Danach fehlten in Deutschland im April 2014 in den MINT-Berufen - Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik - etwa 117 000 Arbeitskräfte. Den größten Mangel habe es dabei in Berufen gegeben, die in der Regel Akademiker ausüben.

Alles nur Hochrechnungen, die dazu dienen sollen, dass viele junge Leute MINT-Fächer studieren oder sich zu Technikern ausbilden lassen, damit die Arbeitgeber aus einem möglichst großen Reservoir ihre Mitarbeiter herausfischen können?

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat stets betont: Es gibt keinen flächendeckenden Fachkräftemangel in Deutschland, auch nicht bei den IT-Leuten. Bei den technischen Berufen hätten Unternehmen aber sowohl bei den Ingenieuren als auch bei den nichtakademischen Fachkräften Probleme, Personal schnell zu finden. Und weiter heißt es in der "Fachkräfteengpass-Analyse" der BA: In der Informatik und Softwareentwicklung sei "durchaus ein Expertenmangel existent". Das klingt so, als ob Fachleute wie Popp eigentlich einen Job bekommen müssten.

Alter als "Vermittlungshemmnis"

In Deutschland arbeiten immer mehr ältere Menschen. 2012 traf dies bereits auf zwei Drittel der 55- bis unter 65-Jährigen zu. Zehn Jahre zuvor galt dies nicht einmal für die Hälfte. "Die Zunahme der älteren Beschäftigung beruht vor allem darauf, dass sie in den Unternehmen alt werden und nicht weggehen", sagt Gerhard Bosch, Direktor des Duisburger Instituts für Arbeit und Qualifikation.

"Es gibt nach wie vor Vorurteile bei der Neueinstellung von Älteren"

Doch wer mit 50 Jahren und älter seine Arbeit verliert, hat es schwer, noch einmal Anschluss zu finden. "Arbeitslosigkeit zu beenden, ist für Ältere schwieriger als für Jüngere. Ihr Alter an sich ist ein Vermittlungshemmnis", heißt es bei der BA. Arbeitsmarktforscher Bosch sieht dies genauso: "Es gibt nach wie vor Vorurteile bei der Neueinstellung von Älteren. Da hat sich in Deutschland anders als etwa in Großbritannien oder in den skandinavischen Ländern leider fast nichts bewegt."

Vor allem große Unternehmen seien nach wie vor sehr "jugendorientiert". Den Älteren werde unterstellt, sie seien weniger flexibel und lernfähig. "Außerdem gibt es die Angst, sich enttäuschte Mitarbeiter, die vielleicht ihre Führungsposition verloren haben, und damit permanente Unzufriedenheit ins Haus zu holen."

Bei den ehemaligen Münchner NSN-Mitarbeitern kommt dazu: Manchen potenziellen Arbeitgebern scheint das lange Arbeitsleben bei einem Großkonzern wie Siemens nicht zu gefallen. Dass viele auf den Telekommunikationsmarkt spezialisiert sind, erschwert die Jobsuche. Ein Sprecher von Nokia-Networks spricht von einem "relativ gesättigten IT-Markt".

Die ehemaligen NSN-Mitarbeiter wollen sich damit aber nicht abfinden. Sie baten den damals noch amtierenden Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) um Hilfe, der 300 Firmen im Münchner Großraum anschrieb. Sie beklagten sich bei Siemens-Chef Joe Kaeser, dass der Konzern nur wenige aus der Transfergesellschaft übernommen habe. Sie wandten sich an Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU). Dem Schreiben fügten sie eine Liste mit mehr als 90 Arbeitssuchenden an, fast alle über 50. Aigner antwortete kurz. Nicht sie, sondern das Arbeitsministerium sei zuständig . Viel gebracht hat das Briefeschreiben also nicht.

Sie müssen sich darauf einstellen, bei der Stellensuche Einbußen in Kauf zu nehmen

Ältere müssten sich darauf einstellen, bei der Stellensuche Einbußen in Kauf zu nehmen, heißt es bei der Bundesagentur. Im Vergleich zu jüngeren Arbeitsgruppen bekämen sie seltener Jobs, die ihren formalen Bildungsabschlüssen entsprechen. Das fürchtet auch der 54-jährige Popp, der es bisher vermieden hat, sich für befristete und für ihn deutlich unterbezahlte Stellen zu bewerben. Er hat sich zuletzt ständig weitergebildet, Zertifikate erworben, Seminare besucht. Aber nun wird die Zeit knapp.

Von Mitte September an gibt es nicht mehr die 80 Prozent des früheren Bruttogehalts von der Transfergesellschaft. Popp wird dann Arbeitslosengeld I erhalten, das sind bei ihm maximal 2380 Euro im Monat. Wie er davon seine Familie bei 1500 Euro Miete in München ernähren soll, weiß er nicht. "Ich kann mich", sagt er, "einfach nur weiter bewerben."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: