Abu Dhabi lockt Studenten mit Geld:Akademischer Ausverkauf?

Wie eine amerikanische Universität in Abu Dhabi zwischen Moscheen und Konsumtempeln um kosmopolitische Studenten buhlt.

Tanja Schwarzenbach

Alkoholverbot und astronomisch hohe Lebenshaltungskosten - damit wirbt der neue Campus der New York University in Abu Dhabi natürlich nicht. In ihrer Werbebroschüre hebt die US-Universität stattdessen die Küstenstraße Corniche hervor, einen "Boulevard" mit Strand, Restaurants, Promenade und Joggingpfad. Die Wahrheit aber ist: Das Herz der Corniche ist einige Kilometer vom Campus entfernt und der Strand wegen einer Baustelle gesperrt.

A general view of the Abu Dhabi skyline

Geld hat Abu Dhabi genug - doch lässt sich damit die akademische Zukunft des Landes kaufen?

(Foto: REUTERS)

Baggerlärm mischt sich mit dem Röhren der Autos und dem Gebetsruf von den Minaretten. Zwei Arbeiter schlendern vorbei. Sonst: nichts. Nur Gigantismus in der Ferne: das luxuriöseste Hotel, die drittgrößte Moschee und das größte Ferrari-Logo der Welt.

Abu Dhabi ist das reichste der Vereinigten Arabischen Emirate und besitzt mehr als 90 Prozent der Erdölvorkommen der Föderation. Vor fünf Jahrzehnten stand Abu Dhabi vor allem für Wüste und Beduinen, es hatte keine Elektrizität - bis in großem Stil die Ölförderung begann. Heute kaufen sich das Emirat und die Stadt gleichen Namens, was sie wollen, aber mit dem Bewusstsein, dass das Öl nicht ewig fließen wird - gerade noch 120 Jahre, so die Prognosen. Vorausschauend investiert Abu Dhabi deshalb in Bildung und holt sich die besten Universitäten der Welt ins Land und mit ihnen ausgezeichnete Wissenschaftler und Studenten. So will man den Wohlstand des Emirats sichern.

Vor vier Jahren eröffnete ein Ableger der Pariser Universität Sorbonne und vor einigen Wochen nun hat die New York University in Abu Dhabi (NYUAD) ihren Lehrbetrieb aufgenommen mit dem ersten College einer US-Universität außerhalb der USA, an dem ein komplettes vierjähriges Bachelor-Programm angeboten wird. Abu Dhabi übernimmt alle Kosten, die mit dem neuen "Liberal Arts College" der New York University (NYU) verbunden sind, unter anderem die Baukosten, Gehälter der Professoren, Stipendien für die Studenten. Auch der New Yorker Campus wird gefördert. Erste Anzahlung: 50 Millionen Dollar.

Obwohl die NYU eigenen Angaben zufolge die "volle Kontrolle" über die Strukturen der Hochschule behält und sich ihre akademische Freiheit sichert, regte sich unter der New Yorker Belegschaft Unmut. Einige bezweifelten, dass Forschung und Lehre unabhängig bleiben würden. Sie kritisierten den Universitätspräsidenten John Sexton für seine aggressive Expansionspolitik und bezeichneten die Pläne für den Campus am Persischen Golf als "Ausverkauf" und "akademisches Kettenrestaurant".

Sexton versucht seit Jahren, mit den Elite-Universitäten der USA mitzuhalten. Doch obwohl er es laut New York Magazine schaffte, innerhalb von sieben Jahren 2,5 Milliarden Dollar an Spenden zu sammeln, sind etliche andere amerikanische Hochschulen der NYU noch immer finanziell voraus. Das Angebot Abu Dhabis kam da nicht ungelegen, zumal Sexton die Vision einer "globalen Universität" vor Augen hat.

Es ist nicht nur die Unabhängigkeit, um die Professoren und Studenten der NYU fürchten. Auch die Verletzung von Menschenrechten in den Vereinigten Arabischen Emiraten erscheint vielen nicht als geeignete Voraussetzung für den neuen Standort. So steht in den Emiraten Homosexualität unter Strafe, und die Rechte von ausländischen Arbeitern wurden in der Vergangenheit in mehreren Fällen missachtet. Doch sind es gerade die aus westlicher Sicht gesellschaftlichen und politischen Defizite, die die NYU hier nutzt, um eine Aufbruchstimmung heraufzubeschwören. Noch lasse sich das Land mitgestalten. Und wer käme dafür besser in Frage als die hellsten Köpfe der Welt? 9000 Studenten hatten sich beworben und das allgemeine Auswahlverfahren der NYU durchlaufen. 150 Studenten aus insgesamt 39 Ländern wurden schließlich für den Campus in Abu Dhabi zugelassen.

Finanziell attraktiv

Für einige war das College vor allem finanziell attraktiv. Abu Dhabi begleicht die Studiengebühren, Ausgaben für Kost und Logis, Lebenshaltungs- und Reisekosten. "Kein Student muss Schulden machen, um an der NYU in Abu Dhabi studieren zu können", sagt Uni-Sprecher Josh Taylor. Er führt durch das Gebäude des neuen, aber provisorischen Campus in der Innenstadt von Abu Dhabi: durch die schlichte, in weiß gehaltene Cafeteria, deren Angebot vom italienischen Essen bis zum American Coffee reicht; zur Bibliothek mit großen Computermonitoren; und in die modernen Klassenzimmer, durch deren Fenster eine Moschee zu sehen ist.

Jorge, Biochemiestudent, geboren in Mexiko, aufgewachsen in Argentinien, in China zur Highschool gegangen, hat sich zwar von der Aufbruchstimmung anstecken lassen. Doch was man in Abu Dhabi verbessern könne, darüber habe er noch nicht nachdenken können. Er genieße es, beim Mittagessen mit Kommilitonen über weltpolitische Themen wie Israel und den Palästina-Konflikt zu diskutieren - Themen, die hier viel näher lägen als in New York. "Trotzdem habe ich das Gefühl, hier in einer Art Blase zu leben", sagt der 18-Jährige. Es gebe kaum Kontakt zu den einheimischen Universitäten und deren Studenten.

Das Bildungssystem der Vereinigten Arabischen Emirate war lange Zeit eines der schlechtesten weltweit. Doch das Land holt auf. Lag die Alphabetisierungsrate 1995 noch bei 73 Prozent, waren es 2007 schon 90 Prozent. Seit diesem Jahr gibt es auch das erste von den Emiraten akkreditierte Doktorandenprogramm an einer Universität. Um international mithalten zu können, kauft Abu Dhabi nicht nur ausländische Universitäten ein, es erweitert auch die eigenen, wie die Abu Dhabi University und die Zayed University. Das Land zahlt Lehrern, deren Job in den Emiraten nicht sehr angesehen ist, ein höheres Gehalt und vergibt an einheimische Studenten großzügige Stipendien.

Ungewiss ist, ob sich all diese Investitionen am Ende auszahlen. Bislang ist der Forschungserfolg der eigenen Universitäten vergleichsweise gering, ausländische Professoren tendieren dazu, sich wissenschaftlich mit ihren Heimatuniversitäten auszutauschen. Und die Förderprogramme für einheimische wie internationale Studenten, die einige Semester im Ausland verbringen können, könnten viele dazu verleiten, Jobangebote im Ausland anzunehmen.

Können sie mit dem Westen mithalten?

Die amerikanischen Studenten der NYU in Abu Dhabi, die immerhin ein Drittel der Studenten ausmachen - Einheimische stellen lediglich acht Prozent - wollen die Sitten des Gastlandes respektieren. Ihre Zufluchtsorte aber sind sehr amerikanisch: der Coffee Shop einer US-Kette in der Nähe des Campus und die großen Einkaufszentren, die ihnen aus der Heimat vertraut sind. Die Herrscher Abu Dhabis, die ein gutes Verhältnis zu den USA pflegen, scheuen sich nicht, ihr Land zu amerikanisieren.

Doch ist der Einbruch des Westens so schnell, dass viele Menschen aus den Emiraten kaum mithalten können oder wollen. Als die Zayed University, die wie alle staatlichen Universitäten der Emirate, getrennt nach Geschlechtern unterrichtet, die Bibliothek für Frauen und Männer gleichermaßen zugänglich machen wollte - wenn auch zu unterschiedlichen Uhrzeiten - schrieb eine ehemalige Studentin in der Zeitung The National, dass sie befürchte, weibliche Studentinnen würden langfristig die Universität nicht mehr besuchen, sei es aus persönlichen oder religiösen Gründen oder weil sie dem Druck ihrer Familien nachgeben.

Unterdessen investieren die Herrscher Abu Dhabis weiter in den Fortschritt und den Gigantismus. Auf Saadiyat Island, einer natürlichen Insel Abu Dhabis, entstehen gerade Ableger des Guggenheim und Louvre Museums. In unmittelbarer Nähe soll auch der dauerhafte, weitläufige Campus der NYU Abu Dhabi gebaut werden. Die Universität bietet bereits "Museum Studies" an.

Skeptiker glauben, dass es den Emiraten am Ende nur um einen oberflächlichen Materialismus gehe. Doch Philip Kennedy, Professor für Islamische Wissenschaften an der NYU, ist überzeugt, dass sich das Land kontinuierlich weiterentwickeln werde: "Nicht von Schwarz nach Weiß, aber auf eine organische Weise."

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