Abschlussarbeiten:Einband fürs Ego

Noch nie war es so einfach, die eigene Abschlussarbeit nach dem Studium als Buch herauszubringen. Die stolzen Autoren werden jedoch in den seltensten Fällen reich und berühmt.

Meike Strüber

Recherche, Herzblut, Fleiß und Ideen - all das steckt in einer Diplomarbeit. Aber auch einsame Stunden am Schreibtisch, vernachlässigte Freunde, endlose Grübeleien, Tonnen von Selbstdisziplin.

Abschlussarbeiten: Nach monatelanger harter Arbeit die eigene Examensarbeit als Buch in den Händen zu halten -ein Traum, den sich immer mehr Studenten erfüllen.

Nach monatelanger harter Arbeit die eigene Examensarbeit als Buch in den Händen zu halten -ein Traum, den sich immer mehr Studenten erfüllen.

(Foto: Foto: iStock)

Kein Wunder, dass immer mehr der rund 250.000 Studenten und Doktoranden, die in Deutschland jedes Jahr ihre Abschlussarbeit fertig stellen, ihre Erkenntnisse nicht ungelesen im Regal verstauben lassen möchten.

Nicht nur ambitionierte Einser-Kandidaten

Zu den Autoren, die ihr Werk publizistisch vermarkten wollen, gehören schon lange nicht mehr nur ambitionierte Einser-Kandidaten, die von einer wissenschaftlichen Karriere träumen. Auch mäßig erfolgreichen Studenten bleibt heute der Traum vom eigenen Buch nicht verwehrt, im Gegenteil:

Ein Verlag aus Saarbrücken verschickt sogar seit einiger Zeit unaufgefordert personalisierte E-Mails an Hochschulabgänger, um darin für eine Veröffentlichung zu werben. Den Titel der Arbeit und die E-Mail-Adresse des Verfassers recherchieren die Mitarbeiter des "Verlag Dr. Müller (VDM)" aus dem Internet - oder direkt in den Bibliotheken, in denen häufig Exemplare von Abschlussarbeiten ausliegen.

In Internetforen und an Lehrstühlen häufen sich derweil Anfragen von Studenten, ob sie das verführerische Angebot so ohne weiteres annehmen können.

Neben der fragwürdigen Praxis der Daten-Recherche macht dabei viele vor allem eines stutzig: Laut Verlagsangaben soll die Veröffentlichung den Autoren keinen Cent kosten.

Mit wenigen Mausklicks zum eigenen Buch

"Print-on-demand" machts möglich: Der Student schickt seine Arbeit als PDF samt Autorenvertrag per Mail an Verlage wie Grin, diplom.de oder VDM. Das passende Buchcover dazu wählt er per Mausklick aus einem virtuellen Fotokatalog - und fertig ist die Publikation, die kaum mehr Handgriffe beansprucht als ein Kaffee aus dem Mensa-Automaten.

Da die Verlage digital und nur auf Bestellung drucken - nicht wie sonst üblich auf Vorrat - entfallen die Lagerkosten. Jeder Titel erhält eine ISB-Nummer und wird nur auf Abruf in der gewünschten Menge druckfrisch über den Präsenz- oder Online-Buchhandel geliefert.

Einband fürs Ego

Wer sich durch die Publikation des Diplom-Schmökers Ruhm und Reichtum erhofft, liegt jedoch weit daneben. Jeder Student hat zwar Anspruch auf ein Honorar von 12 Prozent des Verkaufserlöses. Bis zu einer "Bagatellgrenze" von 10 Euro monatlich behält der Verlag den Gewinn jedoch ein.

Aber auch bei einem Ertrag bis zu 50 Euro im Monat - bei Diplomarbeiten höchst unwahrscheinlich - sieht der Autor keinen Pfenning: Den Gegenwert erhält er in Form von Büchergutscheinen, mit denen er im Sortiment andere Abschlussarbeiten des Verlages einkaufen kann.

Auch Dominik ist durch die VDM-Veröffentlichung seiner Diplomarbeit über den chilenischen Diktator Pinochet noch nicht reich geworden. Dem Regionalwissenschaftler, den es nach seinem Studium in Köln zum Arbeiten nach Santiago de Chile zog, kommt es jedoch ohnehin auf etwas anderes an.

Würdigung für acht Monate Fleiß

"In meiner Arbeit stecken acht Monate Fleiß - gelesen haben sie auf dieser Welt jedoch nur drei Menschen. Deshalb möchte ich nun durch das Buch eine gewisse Würdigung und etwas Aufmerksamkeit im Internet erlangen", meint der 28-Jährige.

Wenn Dominik seinen Namen googelt, erscheint sein Werk an erster Stelle. Nicht nur in Internetsuchmaschinen, sondern auch im Lebenslauf prangt nun seine Publikation. "Sie schadet nicht, nützt aber auch nicht viel", resümiert er.

Das findet auch Dr. Ulrich Rosar von der Uni Köln. "Wenn es kostenfrei ist, hat man sich durch die Print-on-demand-Publikation nichts zu vergeben", urteilt der Soziologe.

Die Hoffnung mancher Studenten, durch die bloße Veröffentlichung beim wissenschaftlichen Fachpublikum wahrgenommen zu werden, sei jedoch übertrieben: "Aufmerksamkeit erlangt ein Autor zumindest in unserer Fachrichtung nur, wenn er mit seinem Thema wissenschaftliches Neuland betritt oder die Methodik innovativ ist", so der Sozialforscher.

Wer mit seinem Werk dennoch außerhalb der familiären Fangemeinde Bekanntheit erlangen will, sollte sich vor der Veröffentlichung genau über die Copyrightauflagen informieren. "Häufig verbieten die Print-on-demand-Verlage, die Arbeit zusätzlich auf der eigenen Homepage zu verlinken oder an anderer Stelle zu veröffentlichen. Das könnte man später mal bereuen", warnt Rosar.

Bei dem Hamburger Verlag Diplomica (diplom.de) ist das Veröffentlichen auf dem Bibliotheksserver jedoch kein Problem. "Wenn ein Autor seine Arbeit kommerziell vermarkten will, macht das jedoch nur Sinn, wenn die Arbeit nicht an anderer Stelle kostenlos erhältlich ist", meint Verlagsgründer Björn Bedey.

Dabei ist eine möglichst breite Präsenz im Internet das A und O, wenn man in der Masse auffallen möchte, wie Eric W. Steinhauer, Dozent für Bibliotheksrecht, betont. Denn eine im Netz verfügbare Diplomarbeit werde häufiger in Buchform gekauft als eine, die gar nicht sichtbar ist und von der folglich niemand Kenntnis nimmt, erklärt der Bibliothekswissenschaftler.

Einband fürs Ego

Für die größte Verbreitung der Arbeit sorge ein Student, indem er sie sowohl online als auch in Buchform unter dem gleichen Titel in Vollversion veröffentlicht. Zumindest auf dem Server der eigenen Universität sollte die Arbeit komplett online stehen, rät der stellvertretende Direktor der Universitätsbibliothek Magdeburg.

Wer möchte, dass seine Arbeit nicht nur zufällig gegoogelt, sondern bei einer systematischen Recherche auch zuverlässig ermittelt werden kann, sollte laut Steinhauer für entsprechende Nachweise in Bibliothekskatalogen und Fachportalen sorgen.

Angesichts der Masse von über viertausend Neuerscheinungen pro Jahr (alle deutschen Verlage verlegen insgesamt etwa 90.000 Titel jährlich) des VDM-Verlages bei gleichzeitig hohen Anschaffungspreisen von rund 60 Euro pro Buch, hat aber etwa die Landesbibliothek Saarland bereits beschlossen, keine VDM-Titel mehr ins Sortiment aufzunehmen.

"In den meisten Fällen Anfängerarbeiten"

"Wenn ich alle Bücher des Verlags kaufen würde, wäre bereits mein halber Etat getilgt - ich denke, anderen Bibliotheken geht es ähnlich", klagt Thomas Kees, Fachreferent der Landesbibliothek für den Bereich Wirtschaft. "Zudem handelt es sich trotz vieler hochwertiger Titel in den meisten Fällen um Anfängerarbeiten, die in einem halben Jahr verfasst sind und nicht mit einschlägiger Fachliteratur vergleichbar sind", betont Kees.

Laut einem ehemaligen VDM-Mitarbeiter müssen die Werke lediglich Minimalstandards erfüllen, um veröffentlicht zu werden - bei der Flut an neuen Titeln erscheint das plausibel. Aktive Verlagsmitarbeiter waren jedoch weder per Telefon noch per E-Mail für eine Stellungnahme erreichbar.

"Eine höhere Reichweite erzielt ein Autor eher durch eine Publikation bei einem klassischen Universitätsverlag", unterstreicht Steinhauer. Im Gegensatz zum Print-on-demand-Verfahren müsse der Autor dabei zwar den Druck selbst bezahlen und mit Kosten von rund 400 Euro rechnen.

Weil der Verkaufspreis in der Regel für Bibliotheken und Studenten erschwinglicher ist als etwa beim VDM-Verlag, kann der Verfasser jedoch damit rechnen, dass sein Werk in mehreren Bibliotheken und Privathaushalten steht. Zudem umfasse der Service universitärer Verlage anders als bei den kostenlosen Druckangeboten ein umfangreiches Lektorat.

Durch diese Verbreitung kann der Autor mit Extraeinnahmen zwischen 245 und 525 Euro rechnen: Diese sogenannten Autorentantiemen erhält er von der Verwertungsgesellschaft (VG) - Wort, sobald sein Buch in mindestens fünf Bibliotheken nachgewiesen ist.

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