Ablenkung von der Arbeit:Lassen Sie sich ablenken!

Henning Beck Hirnforschung Hirnforscher

Mit seinen Kurzvorträgen will Neurobiologe Henning Beck das Gehirn für Laien verständlich machen.

(Foto: Sandra Sperling)

Denn fehlerfrei arbeiten könnte Sie bald Ihren Job kosten, sagt Hirnforscher Henning Beck. Und er hat noch eine steile These.

Interview von Larissa Holzki und Sandra Sperling

Das Telefon klingelt, eine neue E-Mail blinkt auf, die Kollegen erzählen sich die neuesten Gerüchte - überall im Büro lauert Ablenkung. In die Arbeit zurückzufinden, fällt oft schwer. Trotzdem gelte die Ablenkung zu Unrecht als Leistungskiller, sagt der Neurowissenschaftler Henning Beck von der Universität Frankfurt.

Und er behauptet: Der gelegentliche Klick auf ein Katzenvideo könne das Arbeitsergebnis sogar verbessern. Das muss auch ein Deutscher Meister im Science Slam erst mal erklären können. Hier bekommt er die Chance in Text und Video.

SZ: Herr Beck, Handyverbot und Facebooksperre am Arbeitsplatz, Einzelbüros für alle - müsste heutzutage nicht jeder Chef froh sein, wenn er das in seinem Unternehmen durchsetzen könnte?

Henning Beck: Die meisten Chefs sollten froh sein, dass wir manchmal ein bisschen ineffizient sind. Das ist nämlich das, was uns noch von Maschinen und Algorithmen unterscheidet.

Und das meinen Sie im positiven Sinne?

Natürlich. "Kopf runter und liefern" ist schließlich nichts, was Menschen auszeichnet. Effizient und fehlerfrei arbeiten können Algorithmen besser. Wer aber abgelenkt wird, hat die Chance, über den Tellerrand hinauszuschauen. Das macht kreative und erfolgreiche Menschen aus.

Sie wollen doch nicht sagen, dass jede Whatsapp-Nachricht, die mich vom Arbeiten abhält, meine Karrierechancen steigert?

Sicher ist nicht jede Ablenkung förderlich. Aber es gibt im Hirn natürliche Mechanismen, die uns vor negativen Störreizen schützen. Allerdings machen wir es denen heute ganz schön schwer.

Wie sieht der hirneigene Schutz vor Ablenkung aus?

Sie sagen, unnötige Sinneseindrücke werden gar nicht erst ins Bewusstsein vorgelassen. Woher weiß das Gehirn, was wichtig ist und was nicht?

Die Filter passen sich automatisch den Erfordernissen an. Das können Sie selbst beobachten: Wenn Sie intensiv an einer Aufgabe sitzen, die Sie anfixt, die Ihnen Spaß macht, die Sie fordert, dann kann Sie gar nichts ablenken.

Arbeit macht aber nicht immer Spaß. Eine Excel-Tabelle ausfüllen zum Beispiel: Das ist schrecklich langweilig, aber wenn ich mich ablenken lasse und dann in der Zeile verrutsche, kann das fatale Folgen haben.

Je monotoner und stupider eine Aufgabe, desto mehr muss ich dafür sorgen, dass ich dem Drang nach Ablenkung nicht nachgebe. Denn genau dann werden die Regionen im Gehirn aktiviert, die für die Suche nach Neuem zuständig sind. Je stumpfsinniger es wird, desto stumpfsinniger kann auch die Ablenkung sein.

Die Arbeit soll Sie nerven

Kann ich dem Gehirn nicht irgendwie klarmachen, dass die aktuelle Aufgabe viel spannender ist, als sie zu sein scheint?

Sie könnten zum Beispiel den Druck erhöhen, indem Sie sagen, Sie möchten schneller fertig sein. Dann fordert Sie die Aufgabe wieder mehr und die natürlichen Schutzmechanismen greifen besser.

Und das soll ein blinkendes Smartphone ausstechen?

Interessanterweise lenkt das Handy schon ab, wenn es auf dem Tisch liegt. Es muss noch nicht mal klingeln. Das Handy spricht das wichtigste Bedürfnis des Menschen an, nämlich etwas Neues zu erleben. Da reicht es zu wissen, dass potenziell diese Erreichbarkeit da ist. In Tests zeigt sich, dass Menschen mit dem Handy auf dem Schreibtisch weniger leistungsfähig sind.

Dann hilft also doch nur: Handy aus und in die Schublade ...

Ein erster Schritt wäre, zu sagen: Nicht immer, wenn es blinkt oder piept, muss ich zugreifen. Im zweiten Schritt reglementiere ich, wann ich das Handy nutze und wann nicht. Das ist erst mal unbehaglich, weil Sie ständig denken, Sie könnten die SMS bekommen haben, die Ihr Leben verändert. Aber mit der Zeit lässt der Drang nach. Für E-Mails gilt das genauso. Wenn es der Job zulässt, sollte man deshalb Push-Nachrichten deaktivieren und alle zwei Stunden selbständig die Mails abrufen.

Manchmal wird man beim Arbeiten auch ohne ersichtlichen Grund abgelenkt, man schweift ab. Wenn man beispielsweise einen Text liest und plötzlich feststellt, dass man über etwas ganz anderes nachdenkt. Was ist dann los im Gehirn?

Das passiert häufig, wenn ein Text sehr kompliziert ist. Wenn Sie dabei abschweifen, liegt das paradoxerweise daran, dass Sie sich ganz besonders stark auf eine Sache konzentrieren wollen. Dann springt ein zweiter Schutzmechanismus an.

Man kann zu konzentriert arbeiten?

In diesem Fall werde ich also abgelenkt, weil ich nicht unter-, sondern überfordert bin?

Richtig. Schwer verständliche Texte liest man deshalb am besten häppchenweise. Wenn Sie nach jedem Absatz kurz innehalten, kann das Arbeitsgedächtnis sich neu sortieren und ist bereit für den nächsten Schwall an Informationen.

Wann ist es Zeit, eine richtige Pause einzulegen?

Wenn mich das Problem, an dem ich arbeite, wirklich nervt, wenn es mich aufregt. Diese Schmerzgrenze sollten Sie ein bisschen austesten.

Aufs Klo gehen ist wichtig - auch für den Kopf

Viele Karriereratgeber predigen aber doch, dass wir mit positiven Gefühlen an die Arbeit gehen sollen!

Wichtig ist nicht, ob die Gefühle positiv oder negativ sind, Hauptsache, sie sind intensiv und Sie geraten nicht zu sehr unter äußeren Druck. Denn das macht Sie engstirnig. Je mehr Sie etwas aufregt, aus eigenem Antrieb, desto mehr Regionen im Gehirn werden aktiviert. Dadurch erweitern Sie den Zugriff auf Erinnerungsfetzen. Und dann wird Pausemachen richtig effektiv - häufig kommen nämlich genau dabei die besten Ideen.

Sie wollen sagen: Wer faulenzt, findet eher eine Lösung?

Die besten Ideen kommen selten am Schreibtisch, wenn Sie danach suchen, sondern erst später, wenn Sie das Problem unbewusst verdauen. Das gelingt aber nur, wenn das Problem spannend genug ist, uns vor der Pause wirklich genervt hat. Dann wird die Pause, die bewusste Ablenkung, Teil der Arbeit.

Wie kann Ablenkung nützlich sein?

Wie sieht die optimale Pause für das Gehirn aus?

Es ist gar nicht so entscheidend, was Sie in der Pause tun. Ob es jetzt Sport ist, duschen, was essen, Musik - egal! Hauptsache, Sie arbeiten wirklich nicht an Ihrem Problem und gehen auch kein neues an. Und dann kehren Sie an den Schreibtisch zurück und arbeiten konzentriert weiter. So machen es viele Leute, die gute Ideen haben.

Woher kommen die Ideen dann plötzlich?

Was wir in der Pause erleben, lenkt uns nur vordergründig ab. Je spannender ich ein Problem vorher gefunden habe, je mehr mich das nervt, desto mehr brodelt es unterbewusst weiter und wird in diesen Phasen des Nichtarbeitens mit anderen Eindrücken aus der Umwelt abgelenkt, inspiriert. Sie haben zwar erst mal nichts mit dem Problem zu tun. Aber wer clever ist, kombiniert beides miteinander und kommt auf ganz neue Lösungen. Leider gehen viele Ideen im Übergang verloren.

Lässt sich die Inspiration denn bewusst mitnehmen oder denke ich dann schon wieder zu viel über die Arbeit nach?

Diese Kombinationen zwischen Denkarbeit und Pauseneindrücken zu schaffen, gelingt nur, wenn das Gehirn auch mal verdauen kann; wenn ich auch mal nichts mache, mich nur hinsetze und überlege, was ich als Nächstes tun werde, eine Banane esse oder zur Toilette gehe und zurück. Wenn ich mich von Whatsapp oder Katzenvideos ablenken lasse und dann hastig zurück an die Arbeit springe, dann geht ganz viel verloren von der Inspiration, die ich hätte ernten können. Ideen müssen ein bisschen wachsen. Man muss so ein Katzenvideo auch wirken lassen, sozusagen.

Und dann kann ein Katzenvideo wirklich zur Inspiration werden?

Im Prinzip ja. Aber wer schon bei der Arbeit am PC sitzt, holt sie sich besser woanders. Ein Ortswechsel ist immer die Premiumlösung, weil sich der Ort auf den Denkmodus auswirkt. Wir denken anders, wenn wir auch körperlich Abstand von der Arbeit nehmen. Wenn Pausemachen für mich heißt, jetzt klicke ich ein Fenster weg und öffne ein anderes, dann ist die Chance auf gute Inspiration auf halbem Weg gestorben.

Herr Beck, für alle, deren Arbeitsspeicher nun endgültig überquillt, fassen Sie besser noch mal zusammen, was wir tun können, um uns die negativen Seiten der Ablenkung künftig zu ersparen.

In seinem Buch "Irren ist nützlich" erklärt Henning Beck, warum die vermeintlichen Schwächen des Gehirns dessen Stärken sind.

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