Abitur selbst gemacht:Fleißige Rebellen

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Lernen im Klassenverband war gestern: Acht Schüler aus Freiburg stiegen vergangenen Sommer aus der Schule aus und haben nun Abitur gemacht.

Tanjev Schultz

Bei Schülern ist es ja meist so, dass sie anfangs, in der ersten Klasse, begeistert zum Unterricht kommen und ihre Lehrerin lieben. Bei manchen fließen Tränen, wenn sie sich in die Ferien verabschieden und wissen, dass im neuen Schuljahr ein anderer Lehrer die Klasse übernimmt. Aber diese Anhänglichkeit legt sich. Und irgendwann grölen die Heranwachsenden auf Partys den Pink-Floyd-Klassiker: "Hey, teacher, leave us kids alone!"

Achtung Abitur: Acht Schüler in Freiburg haben ihren Schulverdruss konsequent ausgelebt und in Eigenregie auf die Prüfung gelernt. (Foto: Foto: dpa)

Während sich die meisten älteren Schüler damit begnügen, dem Unterricht gelegentlich unerlaubt fernzubleiben, haben acht Freiburger ihren Schulverdruss sehr konsequent ausgelebt - ohne dabei aufs Abi zu verzichten. Im vergangenen Sommer, nach der zwölften Klasse, schmissen sie die Schule, um sich fortan in Eigenregie auf das baden-württembergische Zentralabitur vorzubereiten. "Wir wollten selbst die Verantwortung für unser Lernen übernehmen", sagt Lenya Bock. Der Schulunterricht sei ihnen zu starr gewesen, er entspreche nicht ihrem Alter. Lenya Bock ist vor kurzem 20 Jahre alt geworden.

Als Wackelkandidatin zum Erfolg

Für sie und die anderen Freigeister aus Freiburg endete das pädagogische Experiment am Freitag mit den letzten mündlichen Prüfungen. Es war ein Triumph: Lenya Bock, selbst eine Wackelkandidatin, erreichte die Abi-Note 1,2. Auch die anderen aus der Gruppe werden ein ordentliches Zeugnis bekommen, ein Mitschüler schaffte sogar eine 1,0. Für Lenya Bock ist es der Beweis, dass Schüler sehr gut allein zurecht kommen.

Jugendliche zum selbständigen Lernen zu befähigen, statt sie von oben herab zu belehren, ist zwar seit jeher ein Ziel fortschrittlicher Pädagogen. Lenya Bock und ihren Mitstreitern aus der Selbstlerngruppe war aber sogar der Unterricht an der Waldorfschule, die sie früher besuchten, noch zu steif und zu stark auf den Lehrer ausgerichtet. Sie wollten sich den Tag selbst einteilen, ihre Ziele selbst definieren. Sie mieteten sich einen Raum in einer Kirchengemeinde; statt um acht begannen sie erst um neun Uhr. Welches Fach und Thema sie wie lange behandelten, entschieden nun sie, und sie genossen Freiheiten, die es so an keiner Schule gibt: Sie rauchten, tanzten und ruhten sich aus, wann es ihnen passte. Jeder arbeitete mit den Schulbüchern, die ihm am besten gefielen.

Es klingt nach einem Schülerparadies, doch ganz so unbeschwert waren die vergangenen Monate nicht. Ursprünglich startete die Gruppe zu zehnt, übrig blieben nur acht, zwei Schülerinnen stiegen aus. Die Lernkommune legte viel Wert aufs "Reflektieren", wie Lenya Bock das nennt. Man könnte es auch so sagen: Die Gruppe übte sich in ausdauerndem Palaver, und die Teilnehmer mussten lernen, die Macken der anderen auszuhalten und sich immer wieder zusammenzuraufen. Wer in Mathe oder Bio mehr kapierte, erklärte es den anderen.

Ganz ohne Hilfe von Profis kamen die Selbstlerner aber nicht aus. Auf Stundenbasis heuerten sie Lehrer an. Der eigens gegründete Verein "Methodos" warb Spenden ein, mit denen die Raummiete und die Lehrer bezahlt wurden. Für manche klingt das alles etwas sektenhaft, als handle es sich um religiöse Fanatiker, die den Schulen nicht trauen. In Wahrheit ist es die kleine Rebellion von ein paar Idealisten, die zeigen wollen, dass man älteren Schülern mehr zutrauen und ihnen mehr Freiheit lassen sollte.

In den vergangenen Wochen musste die Gruppe allerdings genauso gezielt für die Prüfungen pauken wie andere Abiturienten. Sogar noch härter: Sogenannte externe Abiturienten müssen vier schriftliche und acht mündliche Prüfungen ablegen, deutlich mehr als reguläre Schüler. Das externe Abi ist vor allem für jene gedacht, die bereits im Beruf stehen und als Schüler nicht bis zur Reifeprüfung durchhielten.

In Bayern beispielsweise gab es im vergangenen Jahr mehr als 400 externe Abiturienten. Die Freiburger mussten nun zur Prüfung im Faust-Gymnasium in Staufen antreten, das in der Region seit fünf Jahren für Externe zuständig ist. Die bisher älteste Abiturientin war 45 Jahre alt, sagt Schulleiter Hans-Joachim Kraus. In diesem Jahr gab es 32 Externe, unter ihnen die junge Methodos-Truppe. Ganz verstehen kann Kraus die Freigeister zwar nicht; selbständiges Lernen und von den Schülern verantwortete Projekte - das alles gebe es an guten Schulen doch auch. Aber vor der Disziplin und dem Erfolg von Lenya Bock und ihren Mitstreitern hat Kraus großen Respekt. Ihre Leistung, sagt der Schulleiter, sei wirklich beachtlich.

© SZ vom 28.06.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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