Zunahme atypischer Arbeitszeiten:Jeder Vierte arbeitet am Wochenende

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Gepflegt werden müssen die Menschen auch am Wochenende.

(Foto: dpa)

Immer mehr Menschen in Deutschland verdienen ihr Geld durch Arbeit am Wochenende, in der Nacht oder in Schichtarbeit. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervor, die der "Süddeutschen Zeitung" vorliegt. Die Linke spricht von alarmierenden Zahlen, Arbeitsministerin von der Leyen reagiert abwartend.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Sie fahren Lastwagen, verkaufen Semmeln, pflegen Menschen, kellnern oder sind Führungskräfte: Immer mehr Arbeitnehmer in Deutschland verdienen am Wochenende, abends, in der Nacht oder im Schichtbetrieb Geld. In den vergangenen zehn Jahren ist ihre Anzahl deutlich gestiegen.

Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Demnach arbeiteten im Jahr 2011 etwa 8,9 Millionen Beschäftigte, also jeder vierte, "ständig oder regelmäßig am Wochenende". Das ist ein Drittel mehr als 2001, damals waren es noch 6,7 Millionen.

Auch die Schichtarbeit hat nach Angaben der Bundesregierung stark zugenommen: Die Zahl der Beschäftigten mit solchen Arbeitsrhythmen erhöhte sich von 2001 bis 2011 von 4,8 auf sechs Millionen. Am weitesten verbreitet ist Schichtarbeit in den sozialen Berufen, in der Gesundheitsbranche, bei Maschinen- und Anlageführern und beim Verkaufspersonal. Dazu merkt die Bundesregierung an, dass für Schichtarbeiter das Risiko von psychischen Belastungen steige "und erhöhte gesundheitliche Risiken bestehen".

Die Nachtarbeit breitet sich ebenfalls wieder aus, 2011 erreichte sie den Höchststand von 2008. Zwischen 23 und sechs Uhr mussten vor zwei Jahren 3,3 Millionen Beschäftigte ran. Von 2001 bis 2004 lag ihre Zahl noch bei 2,5 Millionen.

Überlange Arbeitszeiten sind laut Darstellung der Bundesregierung "nach wie vor eine Ausnahme". Sie nahmen in den untersuchten zehn Jahren allerdings zu. Mehr als 48 Stunden die Woche schufteten 2011 etwa 1,92 Millionen Arbeitnehmer. 2001 waren es noch 1,56 Millionen, ein Zuwachs von 23 Prozent. Besonders weit verbreitet sind solche überlangen Arbeitszeiten bei Lehrern, Ingenieuren und - wenig überraschend - bei "Berufen der Unternehmensleitung, -beratung und -prüfung".

"Tickende Zeitbombe in der Arbeitswelt"

Karl Brenke, Arbeitsmarktexperte im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), sieht für die Zunahme atypischer Arbeitszeiten mehrere Ursachen: Von höher qualifizierten, leitenden Angestellten werde oft verlangt, "lange im Büro und auch am Wochenende einsatzbereit zu sein". Geschäfte dürften länger als früher offenbleiben, was die Arbeitszeiten des Verkaufspersonals ausgedehnt habe. Bei den Kraftfahrern sei der Wettbewerb "extrem hart". Hier stelle sich mittlerweile die Frage, inwieweit das Arbeitszeitschutzgesetz noch eingehalten werde, sagte Brenke.

Jutta Krellmann, Linke-Sprecherin für Arbeit und Mitbestimmung, hält die Zahlen für alarmierend. "Der Psychostress ist eine tickende Zeitbombe in der Arbeitswelt und muss endlich eingedämmt werden", sagt sie. Die Bundestagsabgeordnete fordert wie die IG Metall eine Anti-Stress-Verordnung im Arbeitsschutzgesetz. Die Gewerkschaft will Schutzbestimmungen bei psychischen Gefährdungen am Arbeitsplatz, wie zum Beispiel die Arbeitstakte am Fließband, konkretisieren und verbindlicher regeln.

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wartet mit einer Verordnung aber noch ab. Sie will das Thema "ständige Erreichbarkeit" zunächst stärker wissenschaftlich aufbereiten lassen. Von der Leyen drängt darauf, dass Unternehmen und Aufsichtsbehörden den psychischen Arbeitsschutz stärker beachten.

Für Kontrollen gibt es jedoch immer weniger Personal, auch wenn es um das Arbeitszeitgesetz geht. Trotzdem sind die staatlichen Aufseher zuletzt häufiger fündig geworden: Der Bundesregierung zufolge ist die Anzahl der Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz seit 2007 um fast 30 Prozent auf 12.424 gestiegen.

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