Zukunft der Arbeit:Für Gott, Geld und Glück

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Eine gute Stelle bringt den Menschen Wohlstand, Prestige und Zufriedenheit. Dass auch unbezahlte Tätigkeiten wichtig sind, wird oft vergessen.

Caspar Dohmen

Eine beliebte Partyfrage: "Und was machen Sie?" Beim geselligen Zusammensein ist die Frage nach der beruflichen Tätigkeit oft ein erster Anknüpfungspunkt fürs Gespräch. Manchmal hat man den Eindruck, es dreht sich heute alles nur noch um die Arbeit. Der französische Soziologe Robert Castel sieht schon den Zeitpunkt gekommen, die "nahezu hysterische Überbewertung der Arbeit zu hinterfragen".

Vom Arbeitsplatz hängt entscheidend ab, welche Stellung jemand in der modernen Gesellschaft einnimmt. Dabei bestimmt der Arbeitsplatz nicht nur die Höhe des Einkommens, sondern ebenfalls das Sozialprestige. Das erscheint selbstverständlich, doch früher war es ganz anders. Unsere Urahnen assoziierten mit Arbeit Mühsal und Strapazen, nicht Wertschätzung. In der Antike erledigten überwiegend Sklaven die Arbeit, damit sich die Bürger mit Politik und schönen Künsten beschäftigen konnten. Der Blick auf die Arbeit änderte sich in Europa erst gravierend im 17. Jahrhundert, in der Zeit der Aufklärung und Reformation: Nun sahen die Menschen Arbeit als einen von "Gott vorgeschriebenen Selbstzweck des Lebens überhaupt", wie der Soziologe Max Weber bemerkte.

Doch heute dürfte Gottwohlgefälligkeit als Motivation für die wenigsten Arbeitenden eine Rolle spielen. Was aber macht den Wert der Arbeit für die Menschen aus, und was motiviert sie? Wichtig ist wohl vor allem, dass die Arbeit eben über den Platz von Beschäftigten in der Gesellschaft entscheidet. Wer einen guten Job hat, der kann Urlaub machen und sich interessante Hobbys leisten, der kann seinen Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen. Allerdings ist es in den Industrieländern seit den 1970er Jahren schwieriger geworden, einen gut bezahlten Arbeitsplatz zu bekommen. Und wer ihn hat, kann sich nicht sicher sein, ihn sein Leben lang zu behalten. Unternehmen müssen sich angesichts des globalen Wettbewerbs rasant verändern, wenn sie sich behaupten wollen - entsprechend schnell verändert sich die Situation der Mitarbeiter.

Weil ein interessanter Job wertvoll ist, tun die Arbeitnehmer heute viel, um ihn zu behalten. Zwei Drittel der Beschäftigten in Deutschland machen Überstunden und sind auch zu einem Ortswechsel für ihren Arbeitgeber bereit, glaubt man einer länderübergreifenden Studie der Unternehmensberatung Towers Perrin. Und in der letzten Krise sanken die Krankenstände in Deutschland, weil sich viele Arbeitnehmer nicht mehr trauten, krank zu werden. Um überhaupt erst eine anspruchsvolle Stelle zu ergattern, arbeiten wiederum viele junge Leute nach dem mehrjährigen Studium erst mal ein Jahr als Praktikant.

Manchmal entscheiden heute jedoch nicht Können oder Einsatz, sondern Beziehungen und das Vermögen darüber, wer einer spannenden Arbeit mit viel Sozialprestige nachgehen kann. So wie bei der verheirateten Kunstwissenschaftlerin, die umsonst in einer Kölner Galerie arbeitet, weil ihr Mann ausreichend verdient und sie es einfach interessant findet - auf zusätzliches Geld kommt es ihr gar nicht an. Gerade um gesellschaftlich anerkannte Tätigkeiten ist ein harter Wettbewerb im Gange, und dabei sind die Menschen auch bereit, umsonst tätig zu sein.

Zumindest vordergründig motiviert die Menschen jedoch immer noch stark das Geld. "Tatsächlich lässt sich feststellen, dass Individuen oft härter arbeiten, wenn sie besser bezahlt werden", sagt der Psychologieprofessor Tom Tyler, der sich seit langem an der New York Universität mit dem Thema beschäftigt. Dabei geht es jedoch keinesfalls nur um die Höhe der Bezahlung. Für Arbeitnehmer zählt auch, dass sie den Lohn als fair empfinden, beispielsweise im Vergleich zu Kollegen. Ohnehin ist der Einfluss der Gehaltshöhe auf die Motivation begrenzt: Wenn Beschäftigte besonders gute Arbeit leisten, dann liege dies vor allem an ihrem inneren Antrieb, schreibt Tyler. Wer sich für eine Sache aus freien Stücken entscheidet, weil sie ihm sinnvoll erscheint, widmet sich ihr eben gewöhnlich mit aller Kraft und Freude.

Der US-Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi ist sogar davon überzeugt, dass der Mensch dann am glücklichsten ist, wenn er ganz in seiner Arbeit aufgehe und so das Gefühl habe, Teil von etwas Bedeutenderem als ihm selbst zu sein. Grundsätzlich sind Menschen mit einem höheren verfügbaren Einkommen zwar glücklicher als Ärmere - dies belegen diverse Studien. Allerdings steigt nur bei den weniger Verdienenden mit zusätzlichem Einkommen das Glücksempfinden. Wissenschaftler sehen die Schwelle, von der an Lohnzuwachs nichts bringt, schon bei 20000 Dollar Jahreseinkommen.

Sehr unglücklich macht auf der anderen Seite der Verlust des Jobs, das Selbstbewusstsein leidet. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Jeremy Rifkin schlägt Alarm: Wer keine oder nur noch gelegentlich eine Erwerbsarbeit findet, fühle sich häufig nutz- und wertlos - viele würden sogar krank. In seinem Buch "Das Ende der Arbeit" zitiert er Wissenschaftler, die einen großen Teil der zunehmenden Zahl an Depressionen und psychotischen Erkrankungen in den USA mit Arbeitslosigkeit erklären. Langzeitarbeitslose zeigten "pathologische Symptome, die denen Sterbender ähneln", heißt es.

In Deutschland gibt es ebenfalls Belege dafür, dass Arbeitslose kränker werden. Ablesen kann man dies beispielsweise am Arzneimittelatlas. Herzkrankheiten, Diabetes und Übergewicht treten in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich oft auf. Für viele Menschen, die keinen neuen Job finden, bedeutet das extremen Stress, weil sie sich selbst für ihre Lage verantwortlich fühlen. Mit der Realität hat dies indes selten etwas zu tun: Die Arbeitslosigkeit ist in den Industrieländern im Wesentlichen wegen des Erfindungsreichtums der Unternehmer und des damit verbundenen Produktivitätszuwachses gestiegen.

Einige große Rationalisierungsschübe haben seit den 1970er Jahren zu einer drastischen Reduzierung der Erwerbsarbeit in vielen Branchen geführt. Ökonomen schätzen, dass erst ein länger anhaltendes Wirtschaftswachstum von durchschnittlich drei Prozent zur Entstehung einer wirklich nennenswerten Zahl neuer Jobs führen würde. Das Durchschnittswachstum aller Industrieländer im 20. Jahrhundert betrug jedoch nur 1,5 Prozent.

Wachsender Wohlstand mit immer weniger Erwerbsarbeit - könnte das nicht ein paradiesischer Zustand sein, zumal es jenseits der Erwerbsarbeit viele Dinge gibt, die in unserer Gesellschaft nicht erledigt werden? Arbeit, das ist schließlich viel mehr als die Arbeit, für die man bezahlt wird. Schlägt man das Wirtschaftslexikon Gabler auf, liest man: Arbeit ist jede "zielgerichtete, soziale, planmäßige und bewusste, körperliche und geistige, typisch menschliche Tätigkeit". Was Arbeit ist, entscheidet der arbeitende Mensch also zunächst einmal selbst. Im Alltag begreifen wir unter Arbeit - zumal in Deutschland - meist jedoch nur noch die Erwerbsarbeit.

Dabei zählte das Statistische Bundesamt 2010 insgesamt 40,48 Millionen Erwerbstätige, aber nur 27 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Das ist bloß ein Drittel der Bürger Deutschlands. Klassische Erwerbsarbeit ist also die Ausnahme, keinesfalls die Regel. Die meisten anderen Menschen arbeiten aber auch: Sie kümmern sich beispielsweise um ihre Kinder. Laut dem Mikrozensus des Jahres 2004 gibt es 2,1 Millionen alleinerziehende Mütter und fast 400000 alleinerziehende Väter in Deutschland. Und dann engagiert sich noch ein Drittel der Deutschen über 14 Jahren irgendwo freiwillig, arbeitet ehrenamtlich im Sportverein, einer Umweltgruppe oder einer Kirche. Der Sozialstaat und die Arbeitsgesellschaft haben das ehrenamtliche Engagement der Menschen also nicht verdrängt, obwohl der Stress der Beschäftigten enorm zugenommen hat.

Warum aber kümmern sich Menschen unentgeltlich um andere, lesen fremden Kindern Märchen vor, versorgen alte Menschen mit Essen auf Rädern oder engagieren sich bei der freiwilligen Feuerwehr? Lange Zeit dachten Ökonomen, dass Menschen auch bei einem ehrenamtlichen Einsatz Nutzen und Kosten für sich abwägen. Der Wirtschaftswissenschaftler Bruno Frey fand aber heraus, dass dieser Erklärungsansatz in der Realität versagt. So ergab eine Umfrage in der Schweiz, dass drei Viertel der Bürger ihren freiwilligen Einsatz reduzieren würden, wenn der Staat für diesen eine Entschädigung zahlte. Entlohnung verringert also die Motivation, etwas um seiner selbst willen zu tun.

Viele empfinden offenbar einen finanziellen Vorteil als unangemessenen Eingriff des Staates. Diese Arbeiten erledigen die Menschen einfach, weil sie es für sinnvoll halten. Selbst wenn man mit diesen Tätigkeiten bei Party-Plaudereien nicht so toll angeben kann wie mit einem hochbezahlten Managerjob.

© SZ vom 31.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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