Start-up-Unternehmen:Coole Kreative

Geplatzte Dotcom-Blase war gestern. Heute bieten Start-ups jungen, hochqualifizierten IT-Kräften wieder eine Zukunft. Die Wege nach oben sind kurz, die Hierarchien flach - und die Spezialisten greifen gerne zu, weil sie ganzheitlich arbeiten und gestalten wollen.

André Boße

Ganz ohne Klischees geht es nicht. Auf der Homepage des Internet-Unternehmens Ableton findet man tatsächlich ein Bild, auf dem vier Jungen in Jeans und T-Shirt feixend am Kicker stehen. Und vor dem Berliner Ableton-Hauptquartier, genau auf der Grenze zwischen Mitte und Prenzlauer Berg, sieht man Web- 2.0-Master Sascha Lobo einen Cafè Latte schlürfen. Willkommen in der Hochburg der digitalen Boheme.

Kaum aber hat man die Büros von Ableton betreten, wird klar: Hier wird gearbeitet. Entwickelt, kalkuliert, gemanagt. Weit und breit kein Kicker, auch keine laute Musik oder albernes Gefeixe. Immerhin: Der Kaffee schmeckt ausgezeichnet, was Gerhard Behles, Gründer und Chef des Unternehmens, freut. Es ist ihm wichtig, dass Besucher und Mitarbeiter sich wohlfühlen. Aber im Kern geht es nur um eines: "Hier wird mit großem Ernst und Disziplin gearbeitet", sagt der gebürtige Münchner. "Wir machen ein leidenschaftsgetriebenes Produkt; das erzeugt mehr Motivation als irgendwelche Kickerspiele."

Behles gründete Ableton 1999, also mitten im ersten großen deutschen Start-up-Boom. Seine Idee: eine Software zu entwickeln, die den Bedürfnissen von elektronischen Musikern gerecht wird. Ein Jahr später platzte die Dotcom-Blase, viele Gründungen verschwanden so schnell wie sie entstanden waren. Ableton blieb - und wuchs. Die Firma setzt heute jährlich 14 Millionen Euro um und beschäftigt knapp 140 Mitarbeiter.

Jobs finden hier Web-Entwickler und System-Administratoren, Produkt-Manager und Marketing-Spezialisten. Das Team ist jung, das Durchschnittsalter liegt bei 30 Jahren. Gesprochen wird Englisch - zumal da Ableton seit 2006 eine Tochtergesellschaft in den USA hat. "Das ist sehr spannend, manchmal auch anstrengend, denn wir versuchen unsere Teams so zu organisieren, dass sie die kreative Energie von Start-ups entfalten - jedoch ohne den enormen Energieverschleiß, der mit diesem Chaos einhergeht. Das ist ein großes und anspruchsvolles Ziel", sagt Behles.

Für die Mitarbeiter bedeutet das: Jeder darf sich einbringen, die Wege zum Chef sind kurz, die Hierarchien flach. Auf der anderen Seite hat man sich ins große Ganze einzufügen. Totaler Individualismus ist hier fehl am Platz. Das war in der Gründungsphase noch anders. Inzwischen hat Behles gelernt, wie wichtig es ist, seinen Leuten zu sagen, was er von ihnen erwartet und was sie tun müssen, um besser zu werden. "Ich will den Kollegen nicht als netter Chef in Erinnerung bleiben, sondern als jemand, der etwas Besonderes aus ihnen herausgeholt hat."

Bei den Mitarbeitern kommt diese ausgewogene Team- und Führungskultur gut an. Die Fluktuation ist gering; viele Fachkräfte, die bei Ableton eingestiegen sind, arbeiten jetzt in wichtigen Positionen. Zudem beobachtet Behles, dass immer häufiger Top-Kräfte aus großen Unternehmen Interesse zeigen, bei Ableton anzudocken. "Bei uns bewerben sich auch Leute von Spitzenunternehmen wie Google oder McKinsey", sagt er. Ein Trend, den Constanze Buchheim, Chefin der Internet-Personalagentur i-Potentials, bestätigen kann. Zwar sei die Zahl der High Potentials, die es statt in die Großindustrie in ein ehemaliges oder gar frisches Start-up zieht, noch nicht so hoch, dass es den etablierten Unternehmen schon weh tue. Aber das kann sich ändern: "Wir merken in Gesprächen mit Kandidaten, dass für immer mehr High Potentials bei der Entscheidung für einen Arbeitgeber ein Aspekt ausschlaggebend ist, den vor allem Start-ups bieten können: ein Arbeitsumfeld, in dem man sich einbringen kann und Freiraum für persönliche Entwicklung vorfindet."

Nicht alle Start-Ups sind verschwunden

Besonders fasziniert von Start-up-Unternehmen oder etablierten Firmen, die den Pioniergeist in ihrer Kultur bewahrt haben, sind IT-Spezialisten, die im Job nicht auf Kreativität und Teamwork verzichten wollen. "In großen Unternehmen gelten selbst die besten IT-Leute häufig nur als Support. Bei Start-ups ist das anders: Da dürfen sie aktiv sein, gelten als cool - und genießen diesen Status", sagt Andranik Tumasjan, Doktorand am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre - Strategie und Organisation der Technischen Universität München. Zusammen mit seiner Kollegin Maria Strobel hat er untersucht, welche Faktoren Start-ups für hochqualifizierte Absolventen attraktiv machen.

Ein überraschendes Ergebnis der Studie: Die Aussicht, in der Internet-Szene selber zu gründen oder schnell Unternehmensanteile zu erwerben, spielt für die Absolventen eine eher geringe Rolle. Als deutlich attraktiver bewerteten sie die gute Teamkultur oder die Chance, als Mitarbeiter schnell etwas zu bewegen. "Wer sich für Start-ups interessiert, sucht in der Regel einen faszinierenden Job und nicht unbedingt in erster Linie die Möglichkeit, möglichst bald selber zum Unternehmer zu werden", fasst Maria Strobel zusammen.

Auch auf Machtspielchen mit Blick auf die nächste Beförderung oder Annehmlichkeiten wie einen Firmenwagen können Einsteiger mit Ambition gut verzichten. Im Fokus steht vielmehr der Wunsch, von Beginn an ein Gestalter für eine gute Sache zu sein, wie Constanze Buchheim von i-Potentials sagt: "Start-up-Einsteiger sind häufig besonders motiviert, weil sie vom Unternehmensziel überzeugt sind." Kein Wunder, dass sich erfolgreiche Jahre in einem Start-up heute gut im Lebenslauf machen: In solchen Unternehmen entwickeln junge Berufstätige die Fähigkeit, auch als Mitarbeiter unternehmerisch zu denken und zu handeln, eine Qualifikation, die großen Unternehmen zusehends wichtiger wird.

Bleibt die Frage nach dem Risiko: Was, wenn wieder eine Blase platzt? Wenn eine Idee zwar gut klingt, aber die Umsätze nicht stimmen? Dass ein Einsteiger etwa in einem jungen Internet-Unternehmen generell ein geringeres Sicherheitsbedürfnis hat als eine Nachwuchskraft in einem Konzern, will Buchheim nicht stehenlassen. "Erstens gehen weniger Internet-Unternehmen in die Insolvenz, als man gemeinhin annimmt, zweitens bekommen Einsteiger mögliche Fehlentwicklungen des Start-ups sehr genau und zeitnah mit und können dann frühzeitig entscheiden, ob sie an Bord bleiben oder das Unternehmen verlassen." Geht es doch schief, kann von Scheitern nicht die Rede sein. Buchheim: "Wer gut ist, findet meist schnell einen neuen Job. Die Internetszene ist eng vernetzt, und Talente werden sofort weiterempfohlen."

Dafür, dass immer wieder neue Arbeitsplätze entstehen, sorgt auch Team Europe Ventures, ein Unternehmen, das in vielversprechende Start-ups investiert und in der frühen Phase das Management berät. Mitgründer Kolja Hebenstreit kennt die Besonderheiten der Szene; sein erstes Geld investierte er 2006 in das soziale Netzwerk Studi VZ. Der zentrale Erfolgsfaktor für Gründungen ist für ihn die Qualität des Teams. Schlagkräftig und schnell muss es sein, entsprechend hoch sind die Anforderungen an die Mitarbeiter. "In den Teams kommt es auf jeden Einzelnen an. Verstecken funktioniert also nicht: Wer nichts leistet, ist schnell wieder weg." Und Hebenstreit widerspricht einem weiteren Klischee: "Dass Mitarbeiter ausgebeutet werden und als Generation Praktikum umsonst arbeiten, ist weit von der Wirklichkeit entfernt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: