Scheinselbständigkeit:Unternehmer wider Willen

Wie viele es sind, weiß niemand genau. Auf dem Bau sind sie schon lange präsent - jetzt breiten sie sich auch immer mehr in Gaststätten, Sicherheitsfirmen und sogar in Fitnessstudios aus: Scheinselbständige, die so tun, als wären sie Unternehmer, tatsächlich aber abhängig beschäftigt sind. Viele könnten auf Festanstellung klagen, tun das aber nicht - aus Angst, ihren Job ganz zu verlieren.

Thomas Öchsner

Sie arbeiten als Reisebegleiter, Trainer in Fitness-Studios, Kellner, in Verlagen, der häuslichen Pflege oder der IT-Branche - und haben eines gemeinsam: Ihr Arbeitgeber zahlt für sie keine Sozialabgaben. Die Mitarbeiter geben vor, selbständig zu sein, obwohl sie in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis sind. Diese Scheinselbständigkeit scheint in Deutschland mehr und mehr zuzunehmen - auf Kosten des Sozialstaats.

René Matschke, Chef der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) in München, ist sich sicher: "Das Phänomen breitet sich in immer mehr Branchen aus." Bislang habe es Scheinselbständige vor allem im Baugewerbe gegeben. "Nun stoßen wir auf sie in der Gastronomie, bei Sicherheitsdiensten, in der Gebäudereinigung oder Speditionsdiensten." Dies liege auch an Chefs, die Mitarbeiter zwingen, scheinselbständig zu sein - sonst bekommen sie erst gar keinen Job.

Es geht um viel Geld. Die Arbeitgeber drücken so ihre Lohnnebenkosten - nicht nur, weil sie sich die Sozialbeiträge sparen. Wer scheinselbständig ist, hat auch keinen Anspruch auf einen tariflichen Lohn oder Kündigungsschutz. Die Mitarbeiter wiederum haben netto mehr in der Tasche, laufen aber Gefahr, im Alter finanziell nicht abgesichert zu sein.

Auf dem Bau dient dieser illegale Status schon lange dazu, Mindestlöhne und die inzwischen gelockerten Regeln für eine Arbeitserlaubnis zu umgehen. Oft schuften dort billige Arbeitskolonnen von osteuropäischen Scheinselbständigen mit einem Arbeitgeber im Hintergrund. "Bei Kontrollen zücken sie aber den Gewerbeschein und geben sich als selbständige Subunternehmer aus", sagt der Zollbeamte Matschke.

Unternehmen werden nur alle vier Jahre kontrolliert

Wie viele scheinselbständige Arbeitnehmer es in Deutschland gibt, ist unbekannt. Für Kontrollen ist neben den Fahndern vom Zoll die Deutsche Rentenversicherung (DRV) zuständig. 4000 Betriebsprüfer sollen dafür sorgen, dass jedes Unternehmen innerhalb von vier Jahren einmal durchleuchtet wird. Stellen die Betriebsprüfer eine Scheinselbständigkeit fest, muss der Arbeitgeber nachträglich die gesamten nicht überwiesenen Sozialversicherungsbeiträge zahlen.

Jeder Arbeitgeber und jeder Arbeitnehmer kann sich auch an die DRV wenden, um das Beschäftigungsverhältnis zu klären. Diese "Statusfeststellungen" haben sich seit 2003 auf knapp 22.000 im vergangenen Jahr fast verdoppelt. In 39,2 Prozent der Fälle stellte die Rentenversicherung fest, dass die Betroffenen abhängig beschäftigt waren.

Als eine Leitlinie dient dabei die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Danach ist jemand selbständig, der über seine Arbeitszeit in einer eigenen Betriebsstätte frei verfügen kann und ein unternehmerisches Risiko trägt. Wer innerhalb eines Betriebs dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt, was Art, Dauer und Ort der Tätigkeit angeht, gilt als abhängig beschäftigt. Viele Scheinselbständige könnten deshalb auf eine feste Anstellung klagen. "In der Praxis passiert dies aber eher selten. Die Menschen haben Angst, dann ihren Job ganz zu verlieren", sagt Wilhelm Adamy, Arbeitsmarktexperte des DGB.

Streit gibt es deshalb sogar im Bundestag. Die Rentenversicherung will für 40 Honorarkräfte, die etwa bei Messen in der mobilen Öffentlichkeitsarbeit tätig waren, für mehrere Jahre nachträglich Sozialabgaben erheben. Sie hält sie für abhängig Beschäftigte, die Bundestagsverwaltung nicht. Nun muss womöglich das Berliner Sozialgericht entscheiden, ob der Bundestag seine eigenen Gesetze missachtet.

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