Kritik an Assessment-Centern:"Unverbindliches Sofageplauder wäre unbefriedigend"

Sind Assessment-Center noch zeitgemäß angesichts einer zunehmenden Bewerber-Knappheit? Im SZ-Gespräch erklärt Psychologe Martin Kersting, warum die unbeliebten Auswahlverfahren effektiv sind und wieso die Auswertung der Ergebnisse transparenter werden muss.

Von Miriam Hoffmeyer

Künftig werden Unternehmen aus demografischen Gründen immer weniger Bewerber finden. Die Folge: Auch die Auswahlverfahren müssen sich ändern. Wie, erklärt Psychologie-Professor Martin Kersting.

SZ: Assessment-Center sind bei Bewerbern mäßig beliebt. Werden Unternehmen auf diese Hürde verzichten, damit sie überhaupt noch Personal finden?

Martin Kersting: Hoffentlich nicht! Wichtige soziale Fähigkeiten lassen sich mit typischen AC-Übungen wie Rollenspielen oder Gruppendiskussionen testen. Wenn das Auswahlverfahren auf ein halbstündiges unverbindliches Sofageplauder reduziert würde, wäre das unbefriedigend.

Wie könnte man Assessment-Center denn attraktiver gestalten?

Unternehmen legen Wert auf tolle Events und schöne farbige Mappen, dabei sind andere Dinge weit wichtiger. In unseren Studien kritisieren Bewerber am häufigsten, dass der Bezug der AC-Aufgaben zum späteren Berufsalltag unklar bleibt, oder dass Leistungen nicht gut genug gemessen werden. Dieser Eindruck entsteht etwa, wenn Beobachter unaufmerksam erscheinen oder bestimmte Kandidaten bevorzugen.

Wie objektiv werden Leistungen in Assessment-Centern bewertet?

Die Bewertung der einzelnen Aufgaben ist weniger das Problem. Die Frage ist, wie wird daraus eine Entscheidung? Im Assessment-Center werden viele Daten erhoben, aber bei Personalauswahlverfahren geht es am Ende darum, ob der Bewerber genommen wird oder eben nicht. In der Realität sieht der Prozess häufig so aus: Die Beobachter sitzen abends zusammen und diskutieren, bis alle erschöpft sind. Schließlich fällt die Wahl, und alle stimmen zu. Das ist sozialpsychologisch interessant, aber sachlich nicht nachvollziehbar.

Wie sieht ein Verfahren demnächst aus?

In Zeiten des Personalmangels wird es weniger darum gehen, für eine bestimmte Stelle den perfekt passenden Bewerber zu finden. Vielmehr müssen Sie Interessenten so gut kennenlernen, dass Sie sie an die richtige Stelle setzen können. Dafür müssen Auswahlverfahren vielfältiger werden. Man braucht ein Potpourri aus Methoden: Lebenslauf-Auswertung, persönliches Gespräch, Übungen zur Verhaltensbeobachtung und Intelligenztests. Das Self-Assessment wird wichtiger werden. Dabei testen sich Bewerber eigenverantwortlich, ohne unter Aufsicht zu stehen.

Linktipp: Lesen Sie hier, welche Formen von Self-Assessment es gibt, und für wen sie geeignet sind.

Ist Self-Assessment denn verlässlich?

Die Kandidaten werden sehr viel ehrlicher über sich sprechen, wenn Bewerbermangel herrscht und Unternehmen ihre Anforderungsprofile nicht mehr künstlich eng fassen. Bisher konnten Firmen alle Kandidaten aussortieren, die nicht ins vorgegebene Schema passten. Künftig wird es nötig sein, Anforderungen auf ihren Wesenskern zu reduzieren. Dann kommt es nicht mehr darauf an, ob Bewerber einen MBA haben oder eine bestimmte Programmiersprache beherrschen, sondern darauf, ob sie intelligent und lernfähig sind.

Wie werden sich die Unternehmen dadurch verändern?

Sie werden kulturell vielfältiger werden. Bisher gilt das Schmidt-sucht-Schmidtchen-Prinzip: Eine Organisation zieht Personen an, die denjenigen ähneln, die da sind. Man sieht das gut bei Beratungsunternehmen. Alle tragen die gleiche Art Kleidung, haben Smartphones, benutzen denselben Beratersprech. Doch Firmen müssen lernen, dass Menschen unterschiedliche Verhaltensweisen haben und trotzdem gleiche Anforderungen erfüllen können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: