Japan: Dienst nach Plan im AKW:Arbeiten im Angesicht des Todes

Die Bevölkerung wird in Sicherheit gebracht, in drei Reaktoren droht eine Kernschmelze - doch im Kernkraftwerk Fukushima-1 arbeiten noch immer Menschen. Wer setzt da gerade sein Leben aufs Spiel?

Maria Holzmüller

Die Bilder gehen um die Welt: Das japanische Kernkraftwerk Fukushima-1 (Fukushima Daiichi), aufgenommen in der Totalen, gefilmt aus großer Entfernung. Die Explosionen in Reaktor 1 und 3 werden auf den Bildschirmen unermüdlich wiederholt, die Kamera zoomt heran, so nah es geht - aber selbst sie scheint Sicherheitsabstand zu halten.

Fukushima

Noch immer arbeiten Menschen im beschädigten Kernkraftwerk Fukushima-1.

(Foto: REUTERS)

Die Menschen im Umkreis von 20 Kilometern werden in Sicherheit gebracht, ein zu einem Hilfseinsatz nach Japan entsandter Flugzeugträger der US Navy hat die Gewässer vor der Nordostküste Honshus wegen erhöhter radioaktiver Strahlung vorübergehend wieder verlassen.

Das Kernkraftwerk Fukushima steht derzeit im Zentrum der globalen Aufmerksamkeit - und doch scheint es keinen verlasseneren Ort auf der Welt zu geben.

Scheint - denn wann immer davon die Rede ist, dass Experten vor Ort versuchen, die Brennstäbe mit Meerwasser zu kühlen oder andere Maßnahmen ergreifen, dann geht es dabei um Menschen, die mitten im Zentrum der Katastrophe noch immer ihrer Arbeit nachgehen und versuchen, das Schlimmste abzuwenden.

Wie viele Personen noch dort arbeiten, darüber gibt es bislang keine Angaben. Bei der Explosion am Samstag im Reaktorblock 1 wurden vier Arbeiter verletzt, bei der jüngsten Explosion in Reaktorblock 3 gab es nach amtlichen Angaben sechs Verletzte. Nach Informationen der Betreiberfirma Tepco handelt es sich dabei um vier Angestellte und zwei Arbeiter "verwandter Unternehmen", wie es auf der Webseite heißt.

Doch wer sind diese Menschen, die noch immer im Zentrum der Gefahr ihren Dienst verrichten, die durch ihre Arbeit im verseuchten Gebiet ihr Leben aufs Spiel setzen? Nach Tschernobyl kann sie ihre Unwissenheit nicht mehr vor den Gefahren schützen, jeder weiß inzwischen, dass die Arbeiter, die dort unmittelbar im Kernkraftwerk mit den Aufräumarbeiten begonnen haben, diesen Dienst zumeist mit ihrem Leben oder mit schweren Folgeschäden bezahlten.

Zehn deutsche Atomtechniker, die zum Zeitpunkt des Bebens in Japan im Dienste der Erlanger Firma Areva NP Wartungsarbeiten an einem Teil des Kernkraftwerks Fukushima verrichteten, sind inzwischen auf jeden Fall zurück in Deutschland. Im abgeschalteten Block Vier hatten sie ein Prüfverfahren für Schweißnähte vorgestellt, als das Erdbeben begann. Wer jetzt noch immer innerhalb des Kraftwerks stationiert ist, dazu konnte ihre Firma keine Angaben machen, die Betreiberfirma Tepco hält sich bedeckt.

Welche Mitarbeiter in einem Störfall welche Aufgaben übernehmen, entscheide im Normalfall der Arbeitgeber, also die Betreiberfirma, sagt Maik Luckow, Sprecher des Atomforums, einem Atom-Lobbyverband.

Ein Handbuch für den Notfall

Beim Energiekonzern EON gibt es für Störfälle ein Notfallhandbuch. Darin vorgeschrieben: die Anwesenheit der gesamten Schicht. Wer Dienst nach Plan hat, muss diesen auch antreten. "Das wissen die Angestellten auch", sagt Konzernsprecherin Petra Uhlmann. Zusätzlich gebe es im Notfall auch eine Mannschaft zur Reserve, die hinzugerufen werden kann.

Einen Störfall haben alle AKW-Arbeiter in Deutschland bereits in verschiedenen Varianten durchgespielt - am Simulator im Simulatorzentrum in Essen.

Diese Simulation sei so realitätsgetreu, dass sie die Arbeiter auf jeden Ernstfall vorbereite, so Manfred Lang, Sprecher des Energiekonzerns RWE. Bis auf den Fußboden und die Wandfarbe seien die Simulatoren den Schaltzentralen der deutschen Atomkraftwerke nachempfunden, "nach zwei Minuten vergisst man, dass es sich um eine Schulung handelt", sagt er. Schichtleiter und Reaktorfahrer stellen dann unter Beweis, dass sie sowohl fachlich als auch kommunikativ die richtigen Entscheidungen treffen.

Warum sie im Ernstfall angesichts der Gefahr nicht trotzdem einfach die Flucht ergreifen? "Das wäre menschlich. Aber diese Leute sind sich bewusst, dass sie nicht einfach gehen können", so Luckow. Auch RWE-Sprecher Lang hält eine Flucht für abwegig: "Die Arbeiter, die Dienst haben, müssen die Situation beherrschen - danach werden sie ja auch bewertet. Ein Pilot würde auch nicht einfach mit dem Fallschirm abspringen und das Flugzeug seinem Schicksal überlassen."

Jeder Schichtleiter in einem Kernkraftwerk in Deutschland habe zudem ein Studium hinter sich - die meisten sind Ingenieure - und eine intensive dreijährige Sonderausbildung. An deren Ende müsse er eine Prüfung vor einem Gremium ablegen, das sich unter anderem aus Vertretern der Energiekonzerne und der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit zusammensetze. In dieser Zeit werde auch die Stressresistenz der Arbeiter getestet.

Ob auch die Arbeiter im japanischen Kernkraftwerk Fukushima-1 das Gefühl haben, auf ihre jetzige Situation vorbereitet gewesen zu sein, erscheint derzeit kaum vorstellbar. Warum sie dennoch nach wie vor im Zentrum der Katastrophe ihren Dienst verrichten, können nur sie alleine beantworten. Irgendwann.

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