Elite-Unis:Die Auserwählten

Harvard, Yale und Princeton als Luxusmarken: Die amerikanischen Ivy-League-Universitäten suchen nicht die besten Studenten aus, sondern die, die am besten sind für ihr Image.

Alex Rühle

Once upon a time, an der Ostküste, da gab es drei Universitäten namens Harvard, Yale und Princeton. Harvard hatte die berühmtesten Lehrer. Princeton wurde von einem laxen Presbyterianer namens Francis Patton geleitet, der sich weigerte, Disziplin und akademische Standards auch nur ernst zu nehmen. Bei einem Fakultätstreffen sagte er: "Gentlemen, ob es uns passt oder nicht, Princeton ist ein College für reiche Männer und reiche Männer kommen nun mal nicht regelmäßig ins College um zu studieren." Von ihm ist auch das Bonmot überliefert, Princeton sei "the finest country club in America." Und dann war da noch Yale, das sich als urbane Alternative zu Harvards Provinzialismus oder Princetons Snobismus auszeichnete.

Harvard

Eine Insel, auf der sich die immerselben Leute im Kreise drehen: Harvard-Idylle aus Michael Ciminos Film "Heaven's Gate"

(Foto: Foto: Cinetext Bildarchiv)

So hätte es ewig weitergehen können, hätten sich nicht ab 1910 immer mehr Juden an den Ostküsten-Unis eingeschrieben. Im Mai 1918 trafen sich die Dekane der neuenglischen Unis eigens, um über "The Hebrew problem" zu diskutieren. In dem Jahr war bereits ein Fünftel der Erstsemester in Harvard jüdisch. Mit Grausen blickten die Dekane auf die Columbia University, wo 45 Prozent der Studenten Juden waren, was zur Folge hatte, dass die New Yorker Oberschicht ihre Kinder nicht mehr dorthin schickte.

Das Image der Eliteschulen war in Gefahr, genauso wie deren Budgets, schließlich war man auf reiche und spendierfreudige Alumni angewiesen. Als ein Ehemaliger dem Harvard-Präsidenten 1925 seine "tiefe Abscheu" darüber mitteilte, dass er bei einem Campus-Besuch mehrere Juden getroffen habe, antwortete Abbott L. Lowell ihm, er habe "die Gefahr zuvieler Mitglieder einer fremden Rasse vorausgesehen und alles in meiner Macht Stehende getan um ihr vorzubeugen."

Das stimmt. Lowell hatte vor seiner Arbeit in Harvard als Vizepräsident der Immigration Restriction League gearbeitet. Und wenn es ihm schon nicht gelungen war, die Juden aus Amerika fern zu halten so setzte er nun doch alles daran, ihnen den Weg nach Harvard zu erschweren. Er führte zunächst eine Quote ein, nach der nicht mehr als 15 Prozent der Studenten jüdischen Glaubens sein sollten. Als ein Sturm der Entrüstung losbrach, versuchte Lowell, die Quote zu senken, indem er weniger Stipendien an jüdische Studenten vergab und Studenten aus dem amerikanischen Westen anwarb, wo kaum Juden lebten. Als auch das nicht funktionierte, führten er und seine Kollegen in Yale und Princeton 1925 ein neues Bewerbungsverfahren ein, das der protestantischen Elite ihre Monopolstellung sichern konnten, ohne dass die Unis sich dem Vorwurf des Rassismus aussetzten. Bis dahin musste man eine Prüfung absolvieren und wurde ab einer bestimmten Punktezahl zum Studium zugelassen. Ab sofort waren einzureichen: Empfehlungsschreiben, persönlicher Essay, Photos, Proben der eigenen Handschrift und ein Fragebogen, auf dem nach Rasse, Farbe, Religion gefragt wurde. Die schulischen Leistungen wurden immer noch mit einbezogen. Weit wichtiger aber war von nun an der "Charakter", der sich aus Parametern wie "Männlichkeit", "Persönlichkeit" und "Führungsqualitäten" zusammensetzte.

Charakter - was für ein wunderbares Kriterium, schwammig und zugleich großtönend. Keiner kann nachprüfen, ob ein Aspirant mehr Charakter hat als ein anderer. Aber anscheinend wusste man, dass Juden keinen besitzen und Protestanten der Oberklasse sehr viel davon. Die Prüfer der Universitäten mussten die Bewerber einteilen in J1 ("eindeutig jüdisch"), J2 ("sehr viele Indizien sprechen dafür"), oder J3 ("eventuell jüdisch").

Die Universitäten merkten schnell, dass sie mit ihrem neuen Zulassungsverfahren nicht nur den Juden den Zugang erschweren konnten, sondern dass sie damit ein Instrument in der Hand hatten, mit dem sie für immer im Herzen des Establishments bleiben und sich als Markennamen weiter etablieren konnten. "Schließlich konnten sie von nun an annehmen und ablehnen, wen immer sie wollten", schreibt Jerome Karabel, Soziologieprofessor aus Berkeley, in "The Chosen", einem 700-Seiten-Wälzer über die Aufnahmeverfahren der Ivy League, der gerade an den amerikanischen Unis für Furore sorgt (Houghton Mifflin, 28 Dollar).

Karabel zerstört darin den Mythos vom akademischen survival of the fittest so grundlegend, dass der Journalist James Traub in seiner emphatischen Rezension über das Buch seufzt: "Dank Karabel weiß ich nun mehr über die Umstände meiner Harvard-Zulassung 1972, als ich je hätte wissen wollen."

Die Auserwählten

Das Ausleseverfahren der Elite-Unis umweht noch immer eine mythische Aura. Es wird als Symbol für die Chancengleichheit in den USA gesehen. "Ja, es legitimiert die bestehende Ordnung als eine Ordnung, die Begabungen und Fleiß höher bewertet als das Vorrecht der Geburt", so Karabel. Wenn der anonyme Zulassungs-Officer die Unterlagen sichtet, dann schaut er, so der Mythos, nicht aufs Konto oder darauf, ob die Vorfahren auf der Mayflower dabei waren. Er misst den ganzen Menschen, seinen Wert.

"Klein mit großen Ohren"

Karabel zeigt nun, dass das nichts als Lüge ist: Die Unis nehmen die, von denen sie glauben, dass sie später zur Elite des Landes zählen würden; und die, die gut fürs Image sind. Meist läuft das aufs Selbe hinaus. Er zitiert aus Bewerbungsunterlagen der sechziger Jahre, an deren Rand die Kommission geschrieben hat: "Eine der intelligentesten Bewerberinnen, aber Anzeichen für Schüchternheit". Oder auch nur den vernichtenden Halbsatz: "Klein mit großen Ohren". Was hätte Princeton von schüchternen Bücherwürmern, die Bibliothekare werden oder als exquisite Laboranten stumm Chemikalien verrühren?

1930 war Yale aufgrund der neuen Zugangskriterien zu einer Insel geworden. Die Uni war sich ihrer zunehmenden Provinzialität durchaus bewusst. Aber selbst während des Weltkrieges, als die Klassen bedrohlich klein wurden, wurden nicht mehr Juden zugelassen als bisher. "Yale veranschlagte sein symbolisches Kapital höher als sein akademisches Kapital", so Karabel. Die Ivy-League-Unis sind eben brands, Luxusmarken. Und jeder Manager weiß, dass das Image einer Marke wichtiger ist als kurzfristiger Gewinn. Nichts wäre schlimmer, als die Stammkundschaft zu verlieren: die reichen weißen Eltern.

Wilbur Bender, der im Harvard der fünfziger Jahre für die Zulassungen zuständig war, warnte, dass eine Balance zwischen brains und snob appeal für das Ansehen seiner Uni unabdingbar sei. Gegen brains sei ja nichts einzuwenden, so Bender, aber Harvard dürfe nicht als Ort gelten, "an dem sich langhaarige Ästheten, Waschlappen, Dichter und Ladida-Typen herumdrücken."

Vielmehr müsse die Uni, um ihr Prestige zu bewahren, sich um "die solide Mitte" kümmern, den gesunden, extrovertierten Jugendlichen, der seinen Weg machen wird. Befragt, warum sie nicht einfach die besten Schüler aufnehmen, sagte er: "Weil wir die Studenten suchen, von denen wir denken, dass sie nach dem Studium am erfolgreichsten sein werden." Das ist ihnen gelungen. Es gibt in den USA über 4000 Unis und Colleges. Die Amerikaner wurden aber während 44 der vergangenen 100 Jahre von Präsidenten regiert, die an einer der Big Three studierten.

Die antisemitischen Quoten wurden in den fünfziger Jahren abgeschafft; der offene Antiintellektualismus klang ebenfalls ab. Die Professoren wurden immer mächtiger; und die waren doch eher an klugen Studenten als an familiären Verbindungen mit reichen Dynastien interessiert. Das Bewerbungsverfahren aber blieb; man passte sich nur an die jeweiligen Verhältnisse an. Als in der postindustriellen Gesellschaft eine neue technisch-wissenschaftliche Elite heranwuchs, ging Yale auf Jagd nach den Kindern dieser Elite. Political correctness und affirmative action führten dazu, dass heute Schwarze und Frauen Nutznießer der Bewerbungsprozedur sind, Karabel streicht das als positiven Effekt hervor. Asiaten aber haben es seit den Achtziger Jahren deutlich schwerer.

Die Konstante an den drei großen Unis sind damals wie heute die reichen Kinder weißer Eltern. Mehr als 35.000 Dollar kostet ein Studienjahr in Harvard, Yale und Princeton. "Aber in allen drei Institutionen", so Karabel, "sind die meisten Studenten in der Lage, ihre Gebühren selbst zu bezahlen - schlagender Beweis dafür, dass die großen Drei auch heute die meisten Studenten aus der reichsten Gesellschaftsschicht rekrutieren."

"Wen würden Sie denn zulassen", fragte noch in den Achtzigern entnervt ein Angestellter in Princeton, "den hochmütigen Millionärssohn, der zwar heute keine guten Noten schreibt, aber eines Tages ein Erbe antritt, mit dem er Gutes für die Gesellschaft leisten wird, oder den Einserschüler?"

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