Einwanderer als Berater:Strampeln bis zum Burn-out

Sie haben den Blick von außen und sind ehrgeizig: Junge Akademiker mit Migrationshintergrund sind als Unternehmensberater gefragt. Doch der Erfolg hat seinen Preis.

Jan Füchtjohann

Das Großartige am Kapitalismus ist, dass während die einen noch lamentieren, andere immer schon gutes Geld verdienen. Als Thilo Sarrazin zu Beginn des Jahres noch Bundesbanker war und darüber nachdachte, wie und warum Deutschland sich abschafft, besorgte sich die Deutsche Bank gerade eine neue Lizenz für Islamic Banking. Und während im Herbst unter dem Titel "Kaum Bewegung, viel Ungleichheit" eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung erschien, die sich zu Recht über mangelnde soziale Mobilität und die geringen Aufstiegschancen für Migranten beklagte, wurde bekannt, dass sich die türkischstämmigen Unternehmer in diesem Land mittlerweile von der "Döner- und Friseurökonomie" emanzipiert haben und pro Jahr 35 Milliarden Euro umsetzen.

Retter oder Vollstrecker: Unternehmensberater sind in Krisen gefragt

Migrationshintergrund ist bei einer Bewerbung als Unternehmensberater mitunter ein Vorteil.

(Foto: dpa)

Es muss hierzulande also auch irgendetwas richtig gemacht worden sein. Vor kurzem riefen die Experten der britischen Wochenzeitschrift The Economist einen "German moment" in der Weltwirtschaft aus. Die politischen Reformen der letzten Jahre haben einerseits Ängste vor sozialem Abstieg und damit auch andere hässliche Gefühle geschürt, zugleich aber die Basis für einen neuen Boom geschaffen. Und auch wenn Einwanderer in Deutschland immer noch härter für Wohlstand und Anerkennung kämpfen müssen als anderswo, kennt dieser Kampf inzwischen durchaus Gewinner.

Manchmal ist die Sache einfach. Laut einer Umfrage des Exzellenzclusters "Religion und Politik" an der Universität Münster fühlen sich bis zu 50 Prozent der Deutschen durch fremde Kulturen bedroht. Aber dann bekommt eben einer von den anderen 50 Prozent oder ein Nicht-Deutscher den gut bezahlten Job, mit islamischen Wissenschaftlern Scharia-kompatible Finanzprodukte zu entwickeln. Wo Ethik und warme Gefühle nicht weiterkommen, bahnt sich das kalte Geld seinen Weg.

2008 stellte Malcolm Gladwell in dem amerikanischen Magazin New Yorker die Frage: "Kann es auch Vorteile haben, ein unterprivilegierter Außenseiter zu sein?" und erzählte die Geschichte von Sidney Weinberg. Der 1891 geborene Sohn eines erfolglosen polnisch-jüdischen Schnapsgroßhändlers aus Brooklyn hatte, als er die Schule mit 15 Jahren verließ, bereits Narben von Messerkämpfen auf dem Rücken. Auch körperlich war der Mann im wahrsten Sinne des Wortes ein bisschen zu kurz gekommen: Weinberg war winzig. Das hinderte ihn aber nicht daran, aus einer schwächelnden, mittelständischen Kapitalgesellschaft die größte Investmentbank der Welt zu machen: Goldman Sachs.

Gladwell zeigt, dass einfache Herkunft im Amerika des 19. Jahrhunderts noch als Auszeichnung galt. Aus Tellerwäschern, so dachte man damals, werden die besseren Millionäre, weil sie den unstillbaren Hunger ihrer Jugend nie verlieren. Außerdem haben sie auf dem Weg nach oben gelernt, mit harten Bandagen zu kämpfen. Darum stellten New Yorker Kaufleute mit Vorliebe Jungen vom Lande ein, die sie für fleißiger, entschlossener, fügsamer und fröhlicher hielten als die aus der Stadt. "Die großen Lehrer, Märtyrer, Erfinder, Staatsmänner, Dichter und sogar Geschäftsmänner dieser Welt sind selten Söhne von Millionären oder Adeligen", schrieb der self-made Großindustrielle Andrew Carnegie damals: "Stattdessen kommen sie aus den Hütten der Armen."

Kampf mit harten Bandagen

Damit ist heute Schluss. Aus der lehrreichen "Schule der Armut" ist auch in Amerika eine unterfinanzierte Problemschule geworden. Und aus dem alten Gebot: "Nutze Deinen Nachteil und mache ihn durch Leistung wett", wurde: "Nutze alle Vorteile die Du hast". Eine einfache Herkunft gilt längst nicht mehr als Vorteil, da sind sich sogar Thilo Sarrazin und die Heinrich-Böll-Stiftung einig. Beide glauben auch, dass nicht der Einzelne, sondern die Gesellschaft solche Nachteile kompensieren muss, indem sie gute Bildung für alle garantiert. Dass diese nahezu universal gewordene Auffassung, dass bessere Bildung größeren Erfolg bedeutet, natürlich auch dazu führt, dass man die eigenen Kinder lieber nicht mit den Schmuddelkindern auf die gleiche Schule schickt, ist dann wohl ein immanentes Problem.

Darum eine kurze Geschichte, die ein bisschen wie aus dem Amerika des 19. Jahrhunderts klingt. Sie handelt von einem Freund, der mit elf Jahren als Asylant in dieses Land kam. Der Direktor des örtlichen Gymnasiums versprach, ihn im neuen Jahr auf seine Schule zu lassen, wenn er denn in den verbleibenden sechs Wochen genügend Deutsch lernen würde. Dabei half dann unter anderem die Fernsehserie "Das A-Team", die in deutscher Übersetzung auf RTL lief. Heute verdient der Freund bei einer Unternehmensberatung sehr gutes Geld.

Dass er ausgerechnet diesen Beruf gewählt hat, ist kein Zufall. Das Geschäftsprinzip von Firmen wie McKinsey, Bain und Roland Berger besteht nämlich darin, Teams aus jungen und ehrgeizigen Leuten an wichtigen unternehmerischen Entscheidungen zu beteiligen, und zwar an der Linienhierarchie vorbei. Dass die Berater in Bezug auf die bestehenden Verhältnisse Außenseiter sind, gilt dabei eindeutig als Vorteil, dementsprechend kühl und unabhängig können sie diese beurteilen. Genauso kühl ist der Deal auch sonst: Die jungen Leute dürfen auf die Überholspur, bekommen aber nicht mehr als ein Fahrrad. Um vorne zu bleiben, müssen sie bis an die Grenze des Burnouts strampeln. Es ist, kurz gesagt, eine scharf kalkulierte Methode, um massenhaft neue Sidney Weinbergs und Andrew Carnegies einzuspannen.

Der Freund mit dem "Migrationshintergrund" hat dieses System für sich genutzt. Es gibt auch andere Berater, deren Namen für deutsche Zungen nicht leicht auszusprechen sind, auch wenn es noch nicht besonders viele sind. Aber der soziale Fahrstuhl steht bereit: "Wir suchen Leute", erzählte ein früherer McKinsey- Chef einmal dem Wirtschaftsmagazin Fortune, "die erstens sehr intelligent, zweitens unsicher und von dieser Unsicherheit getrieben, und drittens ehrgeizig sind." Was er da lieferte, war das Psychogramm des "insecure overachiever" - jenes Typen, der nie zur Ruhe kommt, obwohl ihm immer ein bisschen mehr gelingt als anderen.

Diese Unsicherheit kann man psychologisieren, wie der Harvard-Psychiater Steven Berglas, der gerne erklärt, dass die "unsicheren Über-Erreicher" unter zu wenig Anerkennung von ihren Eltern leiden. Genauso gut lässt sich die permanente Unrast aber als der Hunger des ehemaligen Tellerwäschers beschreiben, der auch dann unstillbar bleibt, wenn er inzwischen in teuren Restaurants speist. Oder als natürliche Reaktion junger und ehrgeiziger Leute, die sich mit erfahrenen Vorständen auseinandersetzen. Verständlich wäre eine motivierende Unsicherheit auch für die erste Frau in einem von Männern dominierten Management, oder eben für einen Einwanderer.

Das soll natürlich nicht heißen, dass die paar tausend Jobs, die einige wenige Top-Beratungsunternehmen in Deutschland zu vergeben haben, die Probleme dieses Landes lösen könnten. Allerdings wird immer wieder behauptet, die Unternehmen hätten von ihren Beratern inzwischen gelernt. Vielleicht ja auch, dass es klug ist, Außenseitern eine Chance zu geben, sich innen zu bewähren? Damit Organisationen - und Gesellschaften - nicht stagnieren, müssen sie einen solchen Aufstieg zulassen. Sei es aus warmen Gefühlen oder für kaltes Geld. Am Besten wäre wahrscheinlich eine Kombination aus beidem. Jedenfalls genießt der Beraterfreund gerade eine wunderbar warme Segnung seiner neuen deutschen Heimat: Er ist in Elternzeit.

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