Burn-out in Unternehmen:Warum wir schon lange ausgebrannt sind

Schon vor 20 Jahren erkrankten Menschen, weil sie den Leistungsdruck nicht aushielten - damals allerdings war das noch keine klare Diagnose. Heute ist das Tabu weg und die Akzeptanz höher, dass Menschen wegen des Arbeitsdrucks krank werden können. Doch damit geht es keinem Angestellten besser.

Sibylle Haas

Für die Psychotherapeutin Dagmar Ruhwandl sind unsere Vorfahren schuld. Zumindest sind Jäger und Sammler mit dafür verantwortlich, dass so viele Menschen heute vor Erschöpfung nicht mehr weiter können. Es ist so etwas wie der genetische Fingerabdruck, der sich da zeigt. Das klingt absurd? Die Burn-out-Expertin Ruhwandl findet das ganz und gar nicht: "Informationen sind grundsätzlich etwas Positives. Sie haben die Menschen einst vor Angriffen geschützt oder ihnen bei der Jagd geholfen", erklärt sie. "Signale haben das Überleben unserer Vorfahren gesichert. Und das prägt uns bis heute."

Das Problem ist nur, dass der moderne Mensch ein Vielfaches mehr an Informationen bekommt und verarbeiten muss als seine Vorfahren. "Der Reflex jedoch ist geblieben", sagt Ruhwandl. Jeder Ton oder jedes Blinken des Smartphones signalisiert den Menschen etwas Gutes. "Das läuft unbewusst ab. Deshalb fällt es uns so schwer, darauf nicht zu reagieren", erklärt die Therapeutin. Und deshalb leiden so viele Menschen an der unbändigen Flut an Informationen. Wer immer auf dem Sprung ist, immer bereit ist zu reagieren, der steht unter Druck und kann sich nicht erholen. Die ständige Erreichbarkeit durch Laptop und Smartphone lässt die Menschen nicht zur Ruhe kommen. Sie werden krank.

Seit Jahren verweisen Mediziner und Arbeitspsychologen auf diesen verhängnisvollen Zusammenhang. "Die digitalen Medien sind Ausdruck von mehr Komplexität und einer schnelleren Arbeitswelt", sagt Stressforscher Michael Kastner, Inhaber des Lehrstuhls für Organisationspsychologie an der Technischen Universität Dortmund. "Die Menschen haben das Gefühl, die Dinge nicht mehr im Griff zu haben. Dieser Kontrollverlust macht krank", sagt Kastner. Hirnforscher Manfred Spitzer von der Universität Ulm spricht sogar von "digitaler Demenz": Menschen, die sehr viel Zeit mit Computer und Internet verbringen, können sich nicht nur schlecht konzentrieren, sondern sie sind vermehrt matt, abgeschlagen und motivationslos.

In dieser Woche schreckten Meldungen gleich von zwei Krankenkassen auf. "Der Krankenstand war 2011 so hoch wie zuletzt vor 13 Jahren", berichtet der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK). Psychische Erkrankungen liegen erstmals an dritter Stelle, nach Rückenleiden und Atemwegserkrankungen. Doch nicht nur das: Wer seelisch leidet, ist auch länger krank. Die Fehlzeiten bei psychischen Krankheiten betragen laut BKK 37 Tage. Ein durchschnittlicher Krankheitsfall dauert dagegen nur 13 Tage. Ähnliche Ergebnisse veröffentlichte das Wissenschaftliche Institut der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK). Danach waren im vorigen Jahr die Fehlzeiten wegen Burn-outs elfmal so hoch wie 2004. Die Zahl psychischer Erkrankungen hat sich in den zurückliegenden 15 Jahren verdoppelt.

Dagmar Ruhwandl beschäftigt sich seit 1997 mit Burn-out, dem Gefühl des Ausgebranntseins. Sie ist auch an der Technischen Universität in München als Lehrbeauftragte tätig und sagt: "Psychische Erkrankungen gab es schon vor 15 oder 20 Jahren. Das stand aber nicht auf der Krankschreibung, sondern dort stand vielleicht Rückenleiden." Heute sei das Tabu weg und die Akzeptanz viel höher, dass Menschen wegen des Arbeitsdrucks krank werden können. Das sei mit ein Grund für den drastischen Anstieg von Burn-out-Erkrankungen, aber eben nicht der hauptsächliche. Dass der Leistungsdruck in den Firmen durch Globalisierung und Digitalisierung enorm gestiegen ist, weiß Ruhwandl aus ihrer Arbeit. Sie schult Führungskräfte darin, wie man den Beginn eines Burn-outs bei Mitarbeitern erkennt und wie man die Belegschaft schützt.

Der Gesundheitsschutz von Arbeitnehmern treibt auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) um. "Die Technik werden wir ebenso wenig abschaffen wie die Globalisierung oder das Internet. Trotzdem liegt es nicht nur im ureigenen Interesse der Arbeitgeber, dass ihre Leute verlässlich vom Job abschalten, weil sie sonst auf Dauer ausbrennen", mahnt sie. Auch das Arbeitsschutzgesetz verlange mit seinem "knallharten Strafenkatalog", dass jeder Chef "Körper und Geist seiner Mitarbeiter aktiv schützt" - werktags genauso wie am Wochenende. Das bedeute etwa "glasklare Regeln, zu welchen Uhrzeiten muss ich erreichbar sein und wann bekomme ich dafür meinen Ruheausgleich. Wann muss ich Mails checken und wann ist es okay, dass ich mich später darum kümmere", so von der Leyen.

Einige Firmen haben schon vor längerem reagiert. Autohersteller Volkswagen schloss eine Betriebsvereinbarung über den Umgang mit E-Mails: Der Server wird nach Dienstschluss heruntergefahren. Und bei der Deutschen Telekom untersagt eine Richtlinie den Chefs, Mails an Mitarbeiter außerhalb der Arbeitszeit zu schreiben. Therapeutin Ruhwandl findet das gut: "Das ist eine vorübergehende Schutzfunktion, bis die Menschen gelernt haben, den Umgang mit den digitalen Medien selbst zu steuern."

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