Zucker:Ein völlig sinnloser Stoff

Zucker mag den Gaumen erfreuen, doch für den menschlichen Körper ist er nutzlos und unter Umständen schädlich. Dabei liegt die Gefahr weniger im Schokoriegel. Vor allem gezuckerte Getränke sind für die epidemische Fettleibigkeit verantwortlich.

Christina Berndt

Der Bösewicht ist gar nicht die Schokolade, es ist die Limonade. Beide enthalten in großer Menge jenes harmlos erscheinende kleine, aber kalorienreiche Molekül, das Wissenschaftler C12H22O11 nennen und gewöhnliche Leute schlicht Zucker. Und dennoch: Dick machen überraschenderweise vor allem die flüssigen Kalorien aus der Limo, während die feste Nervennahrung weniger ins Gewicht fällt. Das haben vor wenigen Tagen gleich drei hoch angesehene Studien im New England Journal of Medicine belegt. Sie liefern dem New Yorker Bürgermeister Bloomberg damit Schützenhilfe für seine ungeliebte 16-Unzen-Regel.

Es sind tatsächlich die Softdrinks und nicht die Schokoriegel, die Menschen dick machen, folgerten die Wissenschaftler. Wer selten Softdrinks konsumiert, wird selbst dann nicht so leicht übergewichtig, wenn er Gene in sich trägt, die das Dickwerden begünstigen. Das zeigte eine Gruppe um Lu Qi von der Harvard School of Public Health im Versuch an mehr als 30.000 Erwachsenen. Und Wissenschaftler von der Universität Amsterdam übten einen gemeinen Anschlag auf 600 normalgewichtige Schulkinder aus: Eineinhalb Jahre lang wurden 300 der Kleinen täglich von ihren Eltern mit einem Viertelliter Limonade versorgt, die anderen 300 bekamen Diätlimonade. Wer die echte Limo bekam, legte in dieser Zeit ein gutes Kilogramm mehr zu.

Warum machen gerade die süßen Getränke dick? "Der Grund ist wahrscheinlich, dass Zucker in der Flüssigkeit nicht so satt macht", sagt Gerhard Rechkemmer, Präsident des Max-Rubner-Instituts, dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel. "Die Energie wird deshalb zusätzlich zum normalen Bedarf konsumiert." Die Kalorien, die nicht gebraucht werden, speichert der Körper als Fett. Ein Gutteil der modernen Übergewichts-Epidemie geht nach Ansicht von Wissenschaftlern deshalb auf die süßen Getränke zurück. Und diese Epidemie breitet sich weiterhin aus: 67 Prozent der Männer in Deutschland und 53 Prozent der Frauen gelten nach der Nationalen Verzehrstudie zufolge schon als dick.

Unsere Vorfahren trafen nur selten auf wirklich süße Nahrung, wir aber können uns täglich an Lebensmitteln dieser Geschmacksrichtung laben, und tun es meist mit Hingabe. "Wir sind darauf programmiert, Süßes zu essen", sagt der Ernährungswissenschaftler Rechkemmer. "Diese Vorliebe scheint dem Menschen angeboren zu sein." Süß ist in der Natur im Gegensatz zu bitter ein Zeichen, dass ein Lebensmittel nicht giftig ist. Wohl deshalb fallen bei den meisten Menschen alle Hemmungen, wenn es um Süßes geht. Der Psychologe Anthony Sclafani vom Brooklyn College in New York glaubt sogar, Zucker mache süchtig. "Er erzeugt im Gehirn die gleichen Aktivitätsmuster wie Drogen", sagt er.

Nur weil Ärzte, Wissenschaftler und staatliche Stellen den modernen Menschen immer wieder klarmachen, dass das ständige Konsumieren von Zucker nicht gut für sie sei, greifen sie zunehmend auch zu Diätprodukten, die mit Zuckerersatzstoffen gesüßt werden. "In den vergangenen zehn bis 20 Jahren hat der Zuckerkonsum in Deutschland nicht zugenommen", sagt Rechkemmer. 36 Kilogramm davon konsumiert jeder Deutsche pro Jahr. Das ist zwar längst nicht so viel wie in den USA, dort werden 58 Kilogramm pro Kopf und Jahr verspeist. Diese 36 Kilo sind aber immer noch doppelt so viel, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt.

Sind Süßstoffe eine Alternative?

Dabei findet sich Zucker nicht nur in Produkten, die jedermann direkt damit in Verbindung bringt. Zunehmend enthalten auch Wurst, Brot, Tomatensoße und sogar Salzstangen jene Geschmackskomponente, die den menschlichen Gaumen so sehr erfreut. So enthalten 100 Gramm Nutella zwar stolze 60 Gramm Zucker, aber auch Ketchup bringt es auf 30 Gramm und Rotkohl aus dem Glas schon auf 10 Gramm.

Abgesehen von der Gaumenfreude ist Zucker reichlich sinnlos. "Wir brauchen ihn überhaupt nicht", sagt Rechkemmer. Zwar benötige das Gehirn den Zucker Glucose, der Teil des gewöhnlichen Haushaltszuckers ist. Die Glucose lasse sich jedoch ebenso gut aus nährstoffreicheren Lebensmitteln wie Nudeln, Reis und Kartoffeln gewinnen.

Zucker: Softgetränke enthalten viel Zucker, machen aber nicht satt. Damit steigt die Gefahr, dick zu werden.

Softgetränke enthalten viel Zucker, machen aber nicht satt. Damit steigt die Gefahr, dick zu werden.

(Foto: AP)

Aber ist Zucker - abgesehen davon, dass zu viel von ihm dick macht - auch per se ungesund? "Nein", sagt Rechkemmer, "nur für die Zähne." Zucker schade nur dann, wenn Menschen Süßigkeiten anstelle von nährstoffreichen Lebensmitteln zu sich nehmen und deshalb eine Unterversorgung an Vitaminen und Mineralien erleiden. Das gilt für Erwachsene ebenso wie für Kinder. "Zehn Prozent der Kalorien in einer optimierten Mischkost dürfen ruhig durch Süßigkeiten gedeckt werden", sagt die Ernährungswissenschaftlerin Mathilde Kersting vom Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund.

Wer es trotzdem süßer mag, als es seine Kalorienbilanz erlaubt, kann bedenkenlos zu Süßstoff greifen. "Bei ordnungsgemäßem Gebrauch" sei nicht von Nebenwirkungen auszugehen, sagt Rechkemmer. Die früher kursierenden Vorwürfe, dass synthetische Süßstoffe wie Saccharin und Aspartam krebserregend seien, sind vom Tisch. "Das waren Studien an Ratten mit gigantischen Mengen Süßstoff", sagt Andreas Pfeiffer vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung. Ein Mensch müsste Tausende Süßstoffpillen essen, um eine vergleichbare Menge zu sich zu nehmen.

Einen erheblichen Nachteil haben die Süßstoffe, zu denen auch das aus einer ultrasüßen, subtropischen Pflanze gewonnene und vor knapp einem Jahr zugelassene Stevia-Extrakt gehört, aber doch: Feine Zungen erleben neben dem süßen Kick einen metallischen oder manchmal auch bitteren Beigeschmack.

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