Wie lange Antibiotika schlucken?:Antibiotika immer "bis zum Ende" nehmen?

Wie lange Antibiotika schlucken?: Indikatorkulturplatte zum Nachweis von resistenten Bakterien.

Indikatorkulturplatte zum Nachweis von resistenten Bakterien.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)
  • Ärzte aus Großbritannien rufen dazu auf, die alte Empfehlung, wonach Antibiotika immer "bis zum Ende" genommen werden sollten, fallenzulassen.
  • Im British Medical Journal argumentieren sie, dass es keine Belege für den Nutzen dieses Ratschlags gibt und Patienten dadurch nur unnötigen Gefahren ausgesetzt würden.
  • Im Kampf gegen wenige, "professionelle" Keime aber müssten Antibiotika und Virostatika weiterhin durchgängig genommen werden.

Von Werner Bartens

Die Empfehlung hat sich Ärzten und auch vielen Laien eingeprägt: Antibiotika sollten immer aufgebraucht oder zumindest so lange genommen werden, wie der Doktor sie verordnet. Das klingt ja auch logisch: Werden die Medikamente nicht die empfohlenen fünf, sieben oder gar zehn Tage lang eingenommen, entwickeln die noch nicht abgetöteten Bakterien Resistenzen - und bei der nächsten Verschreibung sind die Keime unempfindlich und die Medikamente helfen nicht mehr.

Längst sind Antibiotika-Resistenzen zu einem großen Problem in der Medizin geworden. In manchen Fällen sind auch die Reserve-Antibiotika machtlos, die für besonders resistente Keime zurückgehalten worden sind. Ärzte aus Großbritannien rufen nun jedoch dazu auf, die alte Empfehlung, wonach Antibiotika immer "bis zum Ende" genommen werden sollten, fallen zu lassen. Im British Medical Journal argumentieren sie, dass es keine Belege für den Nutzen dieses Ratschlags gibt und Patienten dadurch nur unnötigen Gefahren ausgesetzt würden. "Antibiotika länger zu nehmen, erhöht das Risiko, dass sich Resistenzen bilden", schreiben Martin Llewelyn von der Universität Brighton und weitere Infektionsexperten. "Die alte Empfehlung ist schlicht inkorrekt und beruht nicht auf seriöser Wissenschaft."

Der Hauptirrtum bestehe demnach in der Annahme, dass sich resistente Keime durch "gezielte Selektion" bilden - das heißt, dass die Mehrzahl der Bakterien durch die Antibiotika zwar getötet wird, ein paar aufgrund spontaner Mutationen unempfindliche Erreger jedoch überleben und sich in der Folge weiter ausbreiten. Diesen resistenten Erregern kann dann die nächste Behandlung mit Antibiotika nichts anhaben. Aus Sicht der englischen Mikrobiologen trifft dieser Mechanismus aber nur auf ein paar wenige "professionelle" Keime zu, etwa die Erreger von Tuberkulose, Malaria, Typhus, Aids oder Tripper. Gegen diese Keime müssten Antibiotika und Virostatika deshalb auch weiterhin durchgängig genommen werden.

Harmlose Keime töten - und übrig bleiben die resistenten Exemplare

Die Mehrheit der Resistenzen bilde sich aber aufgrund "kollateraler Selektion": Die große Gefahr in Kliniken seien demnach resistente Erreger, die zu Spezies gehören, die meist keine Krankheiten verursachen und zur harmlosen Besiedlung von Haut, Schleimhäuten und Darm gehören. Es sind Alltagskeime wie Escherichia coli sowie die unter dem Akronym ESKAPE bekannten Enterococcus faecium, Staphylococcus aureus, Klebsiella, Acinetobacter, Pseudomonas und Enterobacter. Wenn von diesen Erregern durch eine lange Behandlung mit Antibiotika nur noch die resistenten Exemplare übrig bleiben, stellen sie eine Bedrohung für Patienten dar.

"Es entspricht genau meinem Vorgehen als Hausarzt, Antibiotika nur so lange zu verordnen, wie es den Patienten schlecht geht", sagt Michael Kochen, langjähriger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin. "Die WHO empfiehlt aber das Gegenteil, und in den Beipackzetteln steht es auch anders." Kochen findet die Argumentation der Briten schlüssig, der sich bereits etliche Fachkollegen angeschlossen haben.

Sie treibt nur die Sorge um, ob medizinischen Laien die differenzierte Sicht zu vermitteln ist, wonach es meist angeraten wäre, Antibiotika abzusetzen, sobald sich die Beschwerden bessern - während es in seltenen Fällen wie Tuberkulose eben doch wichtig ist, die Medikamente "bis zum Schluss" zu nehmen. "Es geht ja bei der Behandlung nicht darum, alle übrig gebliebenen Keime abzutöten", sagt Kochen. "Vielmehr muss der Körper in die Lage versetzt werden, aus eigener Kraft mit den übrig gebliebenen Keimen fertig zu werden."

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