Versicherung:Aus drei werden fünf

Die gesetzliche Pflegeversicherung steht vor einer umfassenden Reform. Was ändert sich für Betroffene und was bleibt gleich?

Von Kim Björn Becker

Wer zum ersten Mal einen Antrag auf Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung stellt, erhält in der Regel recht bald Besuch von einem Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK). Dieser Mitarbeiter, meist ein Pfleger oder Arzt, prüft anhand festgelegter Kategorien, welche Alltagsaufgaben noch bewältigt werden können. Im Ergebnis dieser Beurteilung steht eine Einstufung in eine von insgesamt drei sogenannten Pflegestufen - mit jeder Stufe gibt es mehr Geld beziehungsweise mehr Leistungen.

Eine halbe Million Menschen zusätzlich soll Leistungen erhalten

So lief das Verfahren zumindest bisher ab. Von 2017 an wird sich einiges ändern, dann tritt mit dem sogenannten Pflegestärkungsgesetz II die größte Reform der gesetzlichen Pflegeversicherung seit Jahren in Kraft. In Zukunft werden die MDK-Prüfer die Fähigkeiten von Alten und Kranken nicht mehr in 30 einzelnen Kategorien überprüfen, sondern in 77.

An die Stelle der drei Pflegestufen treten in Zukunft fünf sogenannte Pflegegrade - diese sollen nach Darstellung von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) eine präzisere Einstufung ermöglichen.

Kern der Reform ist eine Neuformulierung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, also der Frage, von wann an jemand Leistungen der Pflegeversicherung erhalten kann. Indem bisherige Hürden gesenkt werden, sollen nach Schätzungen des Gesundheitsministeriums etwa 500 000 Personen zusätzlich erstmals zu diesem Personenkreis gehören.

Davon wiederum sollen vor allem Demenzkranke profitieren - diese wurden in der Vergangenheit oft nicht ausreichend berücksichtigt. Man kann aber nicht sagen, dass Demenzpatienten bislang gänzlich durch das System gerutscht wären. Im Zusammenhang mit der Pflegereform 2008 wurde für Demenzkranke die Kategorie "eingeschränkte Alltagskompetenz" eingeführt.

Viele Pflegebedürftige können im Zuge der Reform nun mit mehr Geld beziehungsweise Leistungen rechnen. Allerdings bringen die Änderungen für Betroffene nicht nur Vorteile. Damit niemand, der bereits jetzt Pflege benötigt, durch das neue Gesetz schlechter gestellt wird, kündigte Gesundheitsminister Gröhe einen Bestandsschutz an. Eine gesonderte Begutachtung durch den MDK soll es nicht geben, stattdessen werden die alten Pflegestufen automatisch in das neue System der Pflegegrade übertragen.

Für Pflegebedürftige ist es die zweite Verbesserung in wenigen Jahren. Bereits zu Beginn dieses Jahres trat die erste Stufe der Pflegereform in Kraft, sie brachte Betroffenen bereits mehr Geld als bisher. Die zweite Stufe ist hingegen noch einmal deutlich teurer, sie soll von 2017 an etwa fünf Milliarden Euro pro Jahr kosten.

Um sie zu finanzieren, wird man den Beitragssatz zur Pflegeversicherung um 0,2 Prozentpunkte anheben. Allerdings stößt die Reform auch auf Kritik von Verbänden. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, kritisierte das Gesetz als unzureichend. Wie die Pflege in Zukunft "gesichert und finanziert werden kann", darauf gebe das Gesetz keine Antwort, sagte Brysch.

Adelheid von Stösser, Vorsitzende des Pflege-Selbsthilfeverbands, rügte, dass das neue Gesetz für Pflegekassen Anreize schaffe, Alte und Kranke im Zweifelsfall in die niedrigere - weil günstigere - Pflegestufe einzuordnen. "Das neue System ist genauso angelegt wie das frühere auch, nur dass man es anders etikettiert hat", sagte sie. Schon jetzt gebe es jedes Jahr mehr als 10 000 Widerspruchsverfahren gegen Begutachtungen des MDK.

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