Vaginalgele in der Aids-Prävention:Vom Sperma unterwandert

Vaginalgele weckten einst große Hoffnung, Frauen einen selbstbestimmten Schutz vor einer HIV-Infektion zu bieten. Doch unerwarterweise bewährten sich die Cremes in der Praxis nicht. Warum, haben Wissenschaftler jetzt endlich klären können.

Von Kathrin Zinkant

Ein selbstbestimmtes Leben ist für die weibliche Bevölkerung Afrikas eher die Ausnahme. Leider gilt Ähnliches auch für ein selbstbestimmtes Überleben. Denn vor dem Immunschwächevirus HIV schützen zwar Kondome. Ob sie benutzt werden, hängt aber vom männlichen Partner ab. In keiner Region der Welt hat sich der Aids-Erreger deshalb so stark unter Heterosexuellen verbreitet wie in Afrika. Nirgends sonst hoffte man so sehr, dass ein Schutz speziell für Frauen die Verbreitung von HIV eindämmen würde.

Mikrobizide, die sich unauffällig als Gel in der Vagina der Frau anwenden lassen, entwickelten sich vor 20 Jahren zum Inbegriff dieser Hoffnung. Labortests versprachen durchschlagende Effekte. Fast ein Dutzend klinischer Studien wurde lanciert. Doch mit den Resultaten hatte niemand gerechnet: Wie sich vor wenigen Jahren zeigte, schützen die Mikrobizide nicht. Und niemand hatte eine plausible Erklärung dafür. Bis jetzt.

Wie Forscher um den Virologen Jan Münch von der Universitätsklinik Ulm in der aktuellen Ausgabe von Science Translational Medicine berichten, ist es tatsächlich das männliche Sperma selbst, das den Schutz des Gels unterwandert. Die Samenflüssigkeit enthält nämlich Eiweißaggregate, sogenannte Fibrillen aus Amyloid P, an die das HI-Virus sich anheftet, um besonders infektiöse Cluster zu bilden.

Der Effekt ist bereits seit 2007 bekannt. Es kam zunächst aber niemandem in den Sinn, dass der SEVI (semen-derived enhancer of virus infection) genannte Proteinkomplex auch jede antivirale Wirkung der Mikrobizide vollständig kompensieren würde. Denn in den Labortests war die Wirkung der Gele lediglich an Zellen in Anwesenheit von HI-Viren, aber nie in der Gegenwart von Samenflüssigkeit geprüft worden. Damit waren die Teilnehmerinnen fast aller Mikrobizid-Studien mindestens ungeschützt in die klinischen Tests gegangen. Eine Nachlässigkeit?

Den Wissenschaftlern ist jetzt immerhin klar, wie sie die Gele richtig testen können

"Es ist auf den ersten Blick sicher schwer nachzuvollziehen", sagt Jan Münch, der vor sieben Jahren auch den SEVI-Effekt entdeckt hatte. "Man muss aber wissen, dass Samenflüssigkeit toxisch auf Zellen wirkt und sich deshalb gar nicht so einfach für solche Tests einsetzen lässt."

Seine Arbeitsgruppe war mehr oder minder zufällig auf einen Zusammenhang zwischen SEVI und den enttäuschenden Mikrobiziden gestoßen. Mittlerweile hat Münchs Gruppe einen Test entwickelt, der es ermöglicht, die Samenflüssigkeit in die präklinische Prüfung der Gele mit einzubeziehen. "Wir behandeln das Virus mit dem Sperma vor, trennen es und behandeln viele Zellen", erklärt Münch. Das schwäche den toxischen Effekt. Dann lässt sich prüfen, ob die Zellen in der Petrischale vor einer Infektion schützen - oder nicht.

Die Ergebnisse der Forscher legen darüber hinaus auch eine Weiterentwicklung der Mikrobizide nahe. Zum einen könnten die Gele durch Substanzen ergänzt werden, die den SEVI auflösen und damit die Infektiosität der Viren wieder vermindern. "Es wäre außerdem sinnvoll, potente Medikamente aus der HIV-Therapie in die Gele zu mischen", sagt Münch. Ein solches Mikrobizid gibt es bereits. Es enthält das HIV-Therapeutikum Tenofovir, das auch als Tablettenprophylaxe eingesetzt wird. Erste Tests des Medikaments in einer Vaginalcreme waren vielversprechend verlaufen. Diese Erfolge konnten jedoch bislang nicht wiederholt werden.

Zum selbstbestimmten Überleben gehört vielleicht doch mehr als das richtige Mikrobizid. Für Wissenschaftler ist aber wenigstens klar, wie sie die Wirkung der Gele nun vernünftig prüfen können - bevor sie mit klinischen Studien an Menschen beginnen.

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