Untersuchung zum Organspende-Skandal:Zwischen kriminell und hoppala

Organspende

In Bayern sind neue Ungenauigkeiten in der Transplantationsmedizin bekannt geworden. Doch nicht alle sind gravierend.

(Foto: dpa)

Erste Ergebnisse der Untersuchungskommission zu Lebertransplantationen in Bayern sickern durch: In vier von fünf Transplantationszentren gab es Auffälligkeiten.

Von Christina Berndt

Noch feilen die Experten an ihrem Bericht. Aber die Ergebnisse sickern bereits durch. In mehr als 60 Fällen hat es demnach zwischen 2007 und 2012 Auffälligkeiten bei Lebertransplantationen an bayrischen Universitätskliniken gegeben. Zu diesem Schluss kommt eine Kommission unter Leitung des Wiener Chirurgieprofessors Ferdinand Mühlbacher, die alle rund 900 Lebertransplantationen überprüft hat, die es in dieser Zeit an den fünf bayrischen Zentren gab. Nur an einem Klinikum fand die Kommission, die im Auftrag des bayerischen Wissenschaftsministers tätig ist, keine Auffälligkeiten: in Würzburg, wo allerdings nur 13 Lebern verpflanzt wurden.

Wie erwartet hat die Kommission am Klinikum rechts der Isar der TU München sowie in Regensburg in größerer Zahl Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe der lebenswichtigen Organe entdeckt. Dort hatte die Transplantations-Task-Force der Bundesärztekammer (BÄK) bereits vor Monaten festgestellt, dass aufgrund falscher Angaben an die Organ-Vermittlungsstelle Eurotransplant zahlreiche Lebern an Patienten vergeben wurden, die nicht an der Reihe waren. Daher mussten Patienten an anderen Kliniken länger auf ein Organ warten - manche dürften deshalb verstorben sein. Mit 22 Unregelmäßigkeiten am Rechts der Isar (wo 163 Lebern verpflanzt wurden) und 26 Fällen (unter 368 Lebern) in Regensburg bestätigt die Mühlbacher-Kommission in etwa die Ergebnisse der Task Force.

Weiterhin fand die Kommission auch in Erlangen bei drei Patienten unkorrekte Angaben, die sich mit Erkenntnissen der Task Force decken. Diese drei Fälle seien aber als "Schusseligkeit" zu werten, sagt ein Mitglied der Task Force. Es sei "kein unlauteres Verhalten" zu erkennen. Neu sind zwölf Fälle, die die Mühlbacher-Kommission unter den 270 Lebertransplantationen am Klinikum Großhadern der Universität München fand. In neun dieser Fälle geht es um Krebspatienten (siehe Hintergrund am Ende dieses Textes), zwei Fälle dürften als versehentliche Falschangabe gewertet werden, und eine Röntgenaufnahme ist nicht aufzufinden. Von den Prüfern der Task Force bekommt Großhadern erst an diesem Mittwoch Besuch.

Allerdings sind sich die Kommissions-Mitglieder nur mühsam einig über die Bewertung ihrer Entdeckungen geworden, wie aus dem Gremium verlautet. Auch stimmt das Votum nicht vollständig mit der Bewertung der Task Force überein. Die meisten seiner Funde beurteilt Ferdinand Mühlbacher nicht als schwerwiegend. Es handele sich fast ausnahmslos um Regelverstöße, die nur als Ordnungswidrigkeit zu ahnden seien. "Es gibt drei Kategorien", sagt er. "Das eine sind kriminelle Fälle, das andere medizinische Hoppalas und das dritte das Übertreten von Regeln, die ohnehin Schmarrn sind." Vorsätzliche Manipulationen der ersten Kategorie habe es nur drei gegeben, die sich alle am Rechts der Isar ereigneten, so Mühlbacher. Hier wurden Dialysen angegeben, die gar nicht nötig waren, und Blutproben mit Urin gepanscht.

Streitfall Alkoholiker

Anders als die Task Force hat Ferdinand Mühlbacher für die zahlreichen Organ-Vergaben an Alkoholkranke, die noch nicht sechs Monate trocken waren, Verständnis. Das seien zwar Richtlinienverstöße. "Hier braucht es aber dringend ein Update für die Regeln", sagt er. Niemand könne sagen, ab welchem Datum ein Alkoholkranker trocken sei. Ähnliches gelte für die Krebsfälle am Klinikum Großhadern. Es sei sinnvoll, Patienten mit einer Leberzirrhose, bei denen sich ein Krebsherd bildet, möglichst bald zu transplantieren und nicht zu warten, bis der Tumor gewachsen ist.

In seinem Bericht, den er bis Ende April vorlegen will, wird es aber längst nicht nur um Unregelmäßigkeiten, deren Bewertungen und die sich daraus ergebenden Empfehlungen für neue Richtlinien gehen. Mühlbacher wird sich auch zur Struktur der Transplantationsmedizin in Bayern äußern, wo es im Verhältnis zur Einwohnerzahl so viele Leberzentren gibt wie in keinem anderen Bundesland. Aus Sicht mancher Ärzte erhöht das den Konkurrenzdruck, verleitet zu Manipulationen und verschlechtert die chirurgische Qualität.

Tatsächlich ist diese an den fünf bayerischen Zentren höchst unterschiedlich: Nach Würzburg, wo ein Jahr nach der Transplantation noch alle 12 Patienten lebten, kann Großhadern die besten Ergebnisse vorweisen: 82 Prozent der dortigen Organempfänger überstanden das erste Jahr nach dem Eingriff. In Regensburg waren das nur 73 Prozent der Erwachsenen, am Rechts der Isar 70 Prozent.

Am schlechtesten sind die Ergebnisse in Erlangen mit 62 Prozent. Der Leiter der dortigen Chirurgie, Werner Hohenberger, begründet dies mit dem Zustand der Kranken. An seinem Klinikum habe es besonders viele hochdringliche Patienten gegeben. Bei ihnen seien die Ergebnisse zwangsläufig schlechter. Gleichwohl ist die Überlebensrate ein wichtiges Kriterium, wenn es knappe Organe zu verteilen gilt. Noch dazu wurden an den bayerischen Zentren unterschiedlich viele Organe pro Patient verbraucht. So war die Rate der nötigen Neutransplantationen bei Erwachsenen in Regensburg mit rund 19 Prozent am höchsten, in Erlangen und am Rechts der Isar lag sie bei etwa 15 Prozent und in Würzburg und Großhadern nur bei rund acht Prozent.

Auch aus Sicht der BÄK sollte sich die Diskussion jetzt mehr auf die Überprüfung von Qualität und Richtlinien konzentrieren. 19 der 24 deutschen Leber-Transplantationszentren hat die Task Force inzwischen besucht. Weitere Unregelmäßigkeiten wurden im Jahr 2013 nicht gefunden. "Nach Göttingen, Regensburg, Rechts der Isar und Leipzig sind keine Aktivitäten mehr erkennbar gewesen, wo man absichtlich und in großem Stil Richtlinienverstöße feststellen konnte, die den Zweck hatten, unlauter Organe zu akquirieren", heißt es aus der Task Force.

Zahl der Organspenden geht weiter zurück

Gegen die verantwortlichen Ärzte ermitteln Staatsanwaltschaften wie in Braunschweig, wo in Kürze Anklage gegen den seit drei Monaten in U-Haft sitzenden Arzt erhoben wird, der für die Manipulationen von Göttingen und Regensburg verantwortlich sein soll. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Totschlag vor, weil er wissentlich in Kauf genommen habe, dass andere Patienten sterben, denen er die lebensrettenden Organe zugunsten seiner Patienten vorenthalten habe. Der Mediziner selbst bestreitet die Vorwürfe.

Derweil geht die Zahl der Organspenden weiter zurück - vor allem in Bayern. Im ersten Quartal 2013 gab es hier nur noch 18 Spender. Im Vorjahr waren es 46. "Wenn das so weiter geht", sagt ein Arzt resigniert, "müssen wir nicht mehr über neue Strukturen nachdenken. Dann brauchen wir gar keine Transplantationszentren mehr."

Hintergrund: Tumore und Richtlinien

Knapp 30 Seiten umfassen die Richtlinien für Lebertransplantationen, an die sich Ärzte zu halten haben. Und will man Fachleuten glauben, dann steht viel "Schmarrn" darin. Wie etwa ist es zu interpretieren, dass ein Patient mit Leberkrebs nur transplantiert werden darf, wenn er "einen Tumor zwischen 2 und 5 cm bzw. bis zu 3 Tumoren kleiner als 3 cm Größe" hat? Was ist dann mit einem 1,5 Zentimeter großen Krebsherd? Dass dieser Fall mit dem zweiten Halbsatz abgedeckt sei, finden die Ärzte am Klinikum Großhadern, die deshalb sechs Patienten mit einem einzelnen kleinen Tumor operiert haben.

So hätten auch die Erfinder dieser Kriterien gehandelt, sagt der Großhaderner Chirurgie-Chef Karl-Walter Jauch: "Es ist doch Unsinn zu warten, bis der Krebs wächst." Die Mühlbacher-Kommission hat sich hingegen darauf geeinigt, dass der zweite Halbsatz der Mailand-Kriterien nur gilt, wenn mehrere Tumorherde vorliegen. "Es sind verschiedene Sichtweisen eines medizinischen Dilemmas", meint der Ärztliche Direktor in Großhadern, Burkhard Göke. Er betont, dass mit moderner Diagnostik auch kleine Herde sicher als Krebs erkannt werden könnten. Die Patienten seien sterbenskrank gewesen. "Indem man den Blick auf diese Fachdiskussion lenkt, darf nicht der Eindruck entstehen, überall sei manipuliert worden", warnt Göke. "Schaden nehmen sonst die Patienten, die vergeblich auf ein Organ warten. Das mitansehen zu müssen, ist eine Tragödie."

Alles zum Organspende-Skandal lesen Sie hier. Über die Organspende informiert Sie unser Ratgeber.

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