Unnötige Tests und Therapien:Weniger ist manchmal mehr

Keine Antibiotika bei leichten Atemwegsinfekten, keine Notfallambulanzen bei Asthmaanfällen und keine frei verkäuflichen Erkältungsmittel - eine US-Ärztevereinigung hat nun eine Liste mit unnötigen Tests und Therapien erstellt.

Werner Bartens

Jetzt ziehen sie die Notbremse. Unabhängige Ärzte wissen zwar schon länger, dass viele Untersuchungen und Behandlungen in der Medizin überflüssig sind. Doch so geballt wie in den Archives of Internal Medicine (online) vom Dienstag ist selten zu lesen, dass Medizin mehr schaden als nutzen kann.

Stethoskop

Laut der amerikanische Ärztevereinigung National Physicians Alliance sind viele Therapien und Tests unnötig und können daher vermieden werden.

(Foto: dpa)

Unter der Überschrift "Less is more" hat die amerikanische Ärztevereinigung National Physicians Alliance (NPA) für Allgemeinmedizin, Innere Medizin und Kinderheilkunde eine Liste erstellt, der Ärzte wie Patienten entnehmen können, welche Tests und Therapien unnötig sind. Das Ziel der Mediziner ist es, die Qualität der Versorgung zu verbessern und unnötige Belastungen oder Risiken für die Patienten selbst vermeiden zu helfen.

Die Ärzte berufen sich in ihren Empfehlungen, die im Folgenden kurz zusammengefasst sind, auf hochrangige Studien und Auswertungen der Fachliteratur durch unabhängige Gremien. "An Ärzte stellt es erhöhte Anforderungen, sich mit den wissenschaftlichen Grundlagen ihres Tuns auseinanderzusetzen - und Patienten müssen aus ihrer passiven Anspruchshaltung herauskommen", sagt Gerd Antes vom Deutschen Cochrane-Zentrum in Freiburg, das die Qualität klinischer Studien bewertet. "Beide Seiten können aber nur davon profitieren."

Bei Rückenschmerzen ist kein Röntgenbild, Kernspin oder CT innerhalb der ersten sechs Wochen nötig.

Davon ausgenommen sind Patienten mit Lähmungen oder mit schweren Grunderkrankungen wie einer Osteomyelitis. Kreuzschmerzen verschwinden in der Mehrzahl von allein wieder. Zudem hat die frühe Bildgebung keine Vorteile für den weiteren Verlauf des Leidens.

Bei gesunden, beschwerdefreien Erwachsenen sind keine Routineblut- oder Urintests nötig.

Bei jedem Arztbesuch automatisch die Laborwerte zu bestimmen ist überflüssig und führt nicht dazu, dass Krankheiten früher entdeckt oder besser behandelt werden. Bei älteren Patienten mit Bluthochdruck kann es hingegen sinnvoll sein, auf Typ-2-Diabetes und entgleisten Fettstoffwechsel zu testen.

Ein EKG ist bei symptomlosen Patienten ohne besonderes Risiko nicht nötig.

Dadurch verbessert sich der Verlauf und die Prognose bei womöglich verengten Kranzgefäßen nicht. Unklare Befunde sind jedoch so häufig, dass sie weitere invasive Untersuchungen nach sich ziehen, zu weiteren Fehldiagnosen und einer Übertherapie führen. Ärztegremien kommen daher zu dem Schluss, dass der Schaden den Nutzen überwiegt.

Erkältungsmittel nutzlos

Bei banalen Atemwegsinfekten sollte auf Antibiotika verzichtet werden.

Entzündungen der Nebenhöhlen sollten erst mit Antibiotika behandelt werden, wenn eitriger Ausfluss und starke Schmerzen länger als sieben Tage anhalten. Die meisten dieser Infektionen werden von Viren ausgelöst und reagieren nicht auf Antibiotika. Gleiches gilt für Halsentzündungen bei Kindern, die fast immer viral bedingt sind. Nur wenn Streptokokken nachgewiesen werden, sollten Antibiotika gegeben werden. Trotz dieser schon länger bekannten Empfehlungen halten sich mehr als die Hälfte der Ärzte nicht daran. Patienten leiden unter den Nebenwirkungen, die Antibiotika werden resistent und die Umwelt belastet.

Ein Abstrich am Gebärmutterhals ist bei Frauen unter 21 Jahren nicht nötig.

In jungen Jahren bilden sich die meisten Zellveränderungen von alleine zurück, deshalb führen Tests bei jungen Frauen nur zu Verunsicherung und unnötigen Folgeuntersuchungen. Erstaunlicherweise werden auch bei etlichen Frauen, denen aufgrund gutartiger Wucherungen die Gebärmutter entfernt wurde, Abstriche genommen. Das ist überflüssig, auch wenn bei der Operation ein Teil des Gebärmutterhalses erhalten geblieben ist.

Bei Frauen unter 65 Jahren und Männern unter 70 ist die Knochendichtemessung unnötig.

Es gehört zum normalen Alterungsprozess, dass die Knochen dünner werden - für sich genommen stellt das noch keine Gefährdung dar. Nur wenn bestimmte Risikofaktoren vorliegen, kann eine frühere Diagnostik und Therapie gerechtfertigt sein. Dazu gehören Knochenbrüche nach leichten Einwirkungen, langfristige Einnahme von Steroiden, Ernährung mit wenig Kalzium- oder Vitamin D, Alkoholismus, starker Nikotinkonsum und ein besonders graziler Knochenbau.

Fettsenkende Medikamente sollten nicht allen älteren Menschen verordnet werden.

Durch immer niedrigere Grenzwerte wurde die Mehrzahl der Erwachsenen zu behandlungsbedürftigen Patienten erklärt. Ist eine Therapie nötig, um die Lipide im Blut zu senken, erfüllen günstige Generika den gleichen Zweck wie überteuerte Markenprodukte.

Wenn Kinder auf den Kopf fallen und nicht bewusstlos sind, ist meist keine Bildgebung notwendig.

Werden dennoch Röntgen-, Kernspin- oder CT-Aufnahmen angefertigt, lassen sich selten Folgen des Sturzes entdecken - und wenn müssen sie zumeist nicht behandelt werden. Kritischer wird es, wenn die Kinder benommen sind, jünger als zwei Jahre, äußere Verletzungen aufweisen, der Sturz sich aus mehr als einem Meter Höhe ereignete oder andere Hinweise auf größere Verletzungen oder kognitive Einschränkungen vorliegen. Werden die Kinder schon frühzeitig Röntgenstrahlen ausgesetzt, steigt ihr Krebsrisiko übermäßig - von 1400 Kindern, bei denen ein Schädel-CT angefertigt wurde, bekommt eines später einen Tumor.

Mit Kortisonspray können Asthmaanfälle vermieden werden, Einweisungen in Notfallambulanzen und Kliniken sind nicht so oft nötig.

Bei wiederholten Episoden von akuter Atemnot können diese Medikamente notwendig sein. Werden Sprays nach Bedarf verwendet, muss der Arzt seltener aufgesucht werden.

Hustensäfte und Erkältungsmittel nutzlos.

Eltern und jugendliche Patienten sollten von Ärzten darauf hingewiesen werden, dass Hustensäfte und Erkältungsmittel nutzlos sind. Es gibt keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass die frei verkäuflichen Mittel gegen Husten oder Schnupfen helfen und die Dauer des Leidens verkürzen. Sie gehen lediglich mit Nebenwirkungen einher, in seltenen Fällen sogar mit tödlichen. Trotzdem nehmen in den USA zehn Prozent der Kinder jede Woche derartige Präparate gegen Erkältungskrankheiten ein.

Bei chronischer Mittelohrentzündung sollten Kinder nicht gleich ins Krankenhaus eingewiesen werden.

In den meisten Fällen heilt die Erkrankung innerhalb der ersten drei Monate von allein - ohne Nebenwirkungen und Komplikationen. Nur wenn die Kinder neurologische Auffälligkeiten zeigen, zusätzlich Sprach- oder Lernprobleme auftreten oder Verformungen des Trommelfells befürchtet werden, sollten klinische Experten hinzugezogen werden.

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