Übergewicht und Lebenserwartung:Nützliches Fett

Viele Menschen stören sich an überschüssigen Pfunden. Doch Übergewicht und sogar geringe Fettleibigkeit erhöhen offenbar die Lebenserwartung. Das zeigt eine Übersichtsstudie mit fast drei Millionen Teilnehmern weltweit.

Von Katrin Blawat

Gut ein Drittel aller Erwachsenen in Deutschland haben Übergewicht, so berichtet es das Statistische Jahrbuch 2012. Mühelos ließe sich an dieser Zahl ein großes Lamento festmachen, von der Verfettung der Gesellschaft bis zur geringeren Wertschätzung von Lebensmitteln.

Es geht aber auch weniger schwarzmalend. Denn dieses Drittel der Bevölkerung kann hoffen, etwas länger zu leben als jene Hälfte der Deutschen, die laut gängiger Definition normalgewichtig sind. Wissenschaftlich untermauern lässt sich diese Hoffnung durch die bislang wohl umfangreichste Studie, die den Zusammenhang von Body-Mass-Index (BMI) und Sterblichkeit untersucht hat (Jama, Bd. 309, S. 71, 2013).

97 Studien mit insgesamt etwa 2,9 Millionen Teilnehmern aus Amerika, Europa, Asien und Australien haben die Autoren um Katherine Flegal von den Centers for Disease Control in Maryland systematisch ausgewertet. Die eingeschlossenen Studien berichteten von 270.000 Todesfällen.

Darauf basierend verglichen die Forscher die Sterblichkeit von Übergewichtigen und Fettleibigen mit der von Normalgewichtigen. Dabei nutzten sie die Definitionen der Weltgesundheitsbehörde (WHO). Sie stuft Menschen mit einem BMI von 25 bis 29,9 als übergewichtig ein, von 30 und mehr als fettleibig. Als Normalgewicht gilt ein BMI von 18,5 bis 24,9. Der BMI errechnet sich, indem man das Gewicht in Kilogramm durch das Quadrat der Körpergröße in Metern teilt.

Den Forschern zufolge war die Sterblichkeit unter den Übergewichtigen am geringsten - sie lag sechs Prozent unter jener der sogenannten Normalgewichtigen. Nicht einmal in der ersten Stufe der Fettleibigkeit (BMI 30 bis 34,9) war die Sterblichkeit erhöht, sondern um fünf Prozent geringer. Von einem BMI von 35 an jedoch war das Sterberisiko deutlich gestiegen, es lag 29 Prozent über dem der Normalgewichtigen.

Kein Freibrief für ungehemmte Völlerei

Von ähnlichen Ergebnissen hatten bereits Autoren früherer Studien berichtet. Diese hatten zum Teil allerdings ausschließlich Schwerkranke eingeschlossen. Diese Patienten könnten von einem höheren Gewicht profitieren, da es dem Körper zusätzliche Reserven verschafft, mit deren Hilfe der Körper womöglich besser mit der Krankheit fertig wird.

Einige Experten halten es auch für denkbar, dass sich das Körperfett selbst schützend auf das Herz auswirken könnte. Ähnliches gilt vielleicht auch für gesunde Erwachsene, vermuten die Autoren der aktuellen Studie. Unter deren fast drei Millionen Teilnehmer befanden sich sowohl gesunde als auch kranke Menschen.

Flegal und ihre Kollegen vermuten jedoch nicht, dass ihre Ergebnisse erheblich anders ausgefallen wären, hätten sie sich ausschließlich auf eine der beiden Gruppen beschränkt. Schließlich können auch Menschen ohne chronische Leiden an einer Infektion erkranken oder sich einer Operation unterziehen, die den Körper stark fordern. Als weitere Erklärung führen sie an, dass mollige Menschen vielleicht häufiger einen Arzt aufsuchen und Krankheiten bei ihnen daher eher behandelt werden.

Als Freibrief für ungehemmte Völlerei kann die Studie dennoch nicht dienen. Das liegt vor allem daran, dass die Forscher allein den BMI als Maß für die Körperfülle herangezogen haben. Diese Art der Kategorisierung ist weit verbreitet, vielen Fachleuten zufolge aber wenig aussagekräftig, solange man nicht auch andere Faktoren betrachtet. Die Verteilung des Fettes zum Beispiel. Ein dicker Bauch gilt als riskanter für das Herz als ausladende Hüften - im BMI drückt sich dieser Unterschied jedoch nicht aus. Hinzu kommt, dass auch viele Sportler mit muskulösem Körper es auf einen BMI bringen, der sie übergewichtig erscheinen lässt.

"Den BMI zu bestimmen, ist nur der erste Schritt hin zu einer umfassenden Risikobewertung", schreiben Steven Heymsfield und William Cefalu vom Pennington Biomedical Research Center in Baton Rouge (Louisiana) in einem begleitenden Kommentar.

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