Toxikologie:Gift aus dem Aquarium

Krustenanemone

Krustenanemonen gibt es in vielen exotischen Farben. Sie sind bei Meerwasser-Aquarianern beliebt.

(Foto: CC BY-SA 2.0, Aaron Gustafson)
  • Krustenanemonen können ein starkes Gift absondern, das beim Menschen eine ganze Reihe schwerer Symptome hervorruft.
  • Die Giftinformationszentren warnen, dass auch in Deutschland zunehmend Vergiftungsfälle registriert werden.

Von Berit Uhlmann

Die meisten Opfer sind Männer im mittleren und fortgeschrittenen Alter, die ahnungslos ihrem Hobby nachgehen. In ihren Meerwasseraquarien haben sie sich verträumte Landschaften erschaffen, mit Krustenanemonen, die auf Steinen sitzen und sanft mit den Tentakeln winken. Doch wenn der Aquarianer eine dieser Schönheiten aus dem Becken hebt, kann ihm eine Menge Übel zustoßen: Atemnot, Herzrasen, Fieber, Schüttelfrost, Husten, Übelkeit, Muskelkrämpfe, Taubheitsgefühle, geschwollene Hände, Kopfschmerzen, ein fauliger oder metallischer Geschmack im Mund.

Krustenanemonen sehen aus wie Blumen, zählen aber zu den Nesseltieren und sind seit einiger Zeit bei Aquarianern in Mode. Nur ist offenbar nicht allen Haltern bewusst, dass einige Arten ein starkes Gift absondern. Das sogenannte Palytoxin kann bei Berührungen über die Haut aufgenommen werden. Manche Betroffenen berichteten, dass die Tiere ihnen das Gift "entgegengespritzt" hätten; in anderen Fällen gelangte die Substanz über die Atemwege in den Organismus. Denn die Anemonen haben eine weitere unangenehme Eigenart. Im Aquarium neigen sie zum Wuchern. Um sie zu dezimieren, übergießen die Halter sie bisweilen mit brühend heißem Wasser. In dessen Dampf steigt dann das Toxin auf. Nicht nur die über den Wassertank gebeugten Menschen, sondern auch meterweit entfernte Mitbewohner können auf diese Weise Vergiftungserscheinungen erleiden, wird in der Fachliteratur gewarnt.

Eine Sammlung von Fallberichten, die italienische Forscher im Jahr 2016 veröffentlichten, legt nahe, dass die meisten Symptome innerhalb von zwei Tagen wieder abebben. Todesfälle haben die Wissenschaftler nicht beschrieben. Dennoch beunruhigen die giftbildenden Geschöpfe in den Wohnzimmern mittlerweile auch deutsche Experten.

"Wir beobachten seit einigen Jahren vermehrte Palytoxin-Vergiftungen", sagt Martin Ebbecke, Leiter des Giftinformationszentrums-Nord, das für die Regionen Niedersachsen und Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen zuständig ist. 46 Fälle hat er seit 2000 gezählt - mit steigender Tendenz. Etwa die Hälfte der Betroffenen musste im Krankenhaus überwacht werden. Ebbecke hat das Bundesinstitut für Risikobewertung von den Fällen informiert. Die Behörde bestätigt, dass auch die sieben weiteren deutschen Giftinformationszentren einen Trend zu mehr Palytoxin-Vergiftungen beobachten. Doch Zahlen für ganz Deutschland fehlen - ebenso wie landesweite Richtlinien für den Kauf und Umgang mit den Tieren.

Die schillernden Wesen kann jeder erwerben. Im Internet werden sie unter Namen wie "Bali Cracker" ""Blueberry Pie" und "Alien Explosion" gehandelt. Gelegentlich veröffentlichen die Anbieter einen Hinweis zur Giftigkeit, oft aber fehlt jegliche Warnung. In Aquaristik-Foren ist die Gefahr aus dem Glasbecken ein Thema, der Ton der Beiträge reicht von unbekümmert bis ängstlich.

Aus der allgemeinen Unsicherheit heraus ist wohl auch der Zwischenfall zu erklären, über den die Augsburger Allgemeine vor einigen Monaten berichtete: Nachdem ein Aquarienfreund einer Anemone zu nahe gekommen war und sich beim Giftnotruf Rat holte, rückte ein großes Aufgebot an Feuerwehr, Polizei und Krankenwagen vor dem Haus des hustenden Mannes vor. Rettungskräfte in Atemschutzmasken eskortierten ihn ins Krankenhaus. Dort stellten sich seine Beschwerden als mild heraus. Bei seiner Frau aber hinterließ die Erfahrung längeres Unwohlsein: "Wir müssen jetzt den Spott aushalten".

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