Symptom-Checker:Mehr Zufall als Diagnose

Husten, Halsschmerzen, Müdigkeit? Wer einen Symptom-Checker im Netz befragt, bekommt mit Pech die Diagnose: Diphterie. Die Tools führen in fast 70 Prozent aller Fälle in die Irre.

Von Werner Bartens

Vom leichten Unwohlsein bis zur Krankheit sind es nur wenige Klicks. Mehr als ein Drittel aller Erwachsenen in Europa konsultiert bei Beschwerden als erstes Dr. Google. Die populärste Patienteninformation in Großbritannien verzeichnet beispielsweise jeden Monat 15 Millionen Online-Besucher.

Harvard-Wissenschaftler haben jetzt populäre Online-Angebote, die sich unter dem Schlagwort "Symptom Checker" finden, getestet. Im British Medical Journal von diesem Donnerstag zeigen sie, dass die Genauigkeit der Diagnosen zu wünschen übrig lässt (Bd. 351, S. h3480, 2015). In vielen Fällen bekamen die Ratsuchenden zudem die Empfehlung, zum Arzt zu gehen, obwohl die Beschwerden von allein wieder verschwunden wären.

"Die Online-Suche kann hilfreich für Patienten sein, die wissen wollen, ob sie schnell zum Arzt müssen", sagt Ateev Mehrotra, der an der Studie beteiligt war. "Aber in vielen Fällen sollten Nutzer vorsichtig sein und die Informationen nicht für unumstößlich halten."

Das Ärzteteam um Hannah Semigran hat 23 medizinische "Symptom Checker" zu häufigen Beschwerden befragt. Dazu wurden 45 Patientengeschichten eingegeben, wie sie in Fachbüchern aufgeführt sind, um die typischen Symptome bei diversen Erkrankungen zu veranschaulichen. Die Beschwerdebilder wurden nach Dringlichkeit ausgesucht: 15 erforderten eine Notfallbehandlung, 15 weitere zumindest ärztliche Versorgung und bei 15 wäre es nicht nötig gewesen, den Arzt aufzusuchen.

Bei 34 Prozent der getesteten Symptomkomplexe gaben die Such-Algorithmen die richtige Diagnose an erster Stelle an. In 51 Prozent der Beispiele fand sich die treffende Erklärung unter den Top 3, in 58 Prozent unter den Top 20.

Allerdings ist es aus Sicht der Autoren wichtiger, dass die richtige Empfehlung für oder wider einen Arztbesuch gegeben wird. "Ein Patient mit Fieber, Kopfweh und steifem Nacken, der zunehmend verwirrt ist, muss nicht erfahren, ob er an Meningitis oder Enzephalitis leidet, sondern wissen, dass er schleunigst in die Notaufnahme sollte", sagt Mehotra. Immerhin 80 Prozent der Notfälle wurden von den Online-Diagnose-Diensten als solche erkannt. Bei harmlosen Beschwerden folgte hingegen zu oft die Empfehlung, trotzdem den Arzt aufzusuchen.

"Die Anwendung dieser Technologie wird eher noch zunehmen", sagt Hannah Semigran. "Es ist daher wichtig, auf Schwächen der Diagnose-Suche hinzuweisen, damit Patienten optimal behandelt werden." Die Genauigkeit der Diagnosen wurde an englisch-sprachigen Suchdiensten getestet. Ein kurzer Selbstversuch mit deutschsprachigen Anbietern lässt erahnen, dass die Ergebnisse hier ähnlich ausfallen würden. Nach Eingabe typischer Erkältungsbeschwerden wie Heiserkeit, Rachenentzündung, Schluckstörung, Husten und Müdigkeit gab der populärste Symptom-Checker als erste Verdachtsdiagnose Pfeiffersches Drüsenfieber an, gefolgt von Diphterie. Erst an dritter Stelle folgte die banale Erkältung.

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