Sterben der Rehakliniken:Vom Krankenhaus direkt ins Pflegeheim

Diakoniewerk eröffnet geriatrische Rehabilitationseinrichtung, 2005

In der Münchner Maxvorstadt werden alte Menschen nach einem Bruch wieder fit gemacht

(Foto: Catherina Hess)

Ärzte sollen alles tun, damit Patienten nicht zum Pflegefall werden - so will es das Gesetz. Die Realität sieht leider anders aus: Die ersten Rehakliniken für ältere Menschen schließen bereits - aus Geldmangel. Schuld sind angeblich die Krankenkassen.

Von Nina von Hardenberg

Die Sehnsucht hängt schwer in den Fluren der Reha-Klinik in Esslingen. Es ist ein Heimweh nach selbstgekochtem Essen, nach dem kleinen Weg zum Bäcker. Sie begleitet die weißhaarigen Patienten bei ihren tastenden Schritten über den Linoleumboden, bei ihrem Kampf um Eigenständigkeit.

Eine 78-jährige Frau presst die Lippen zusammen, spannt alle Muskeln, aber es gelingt ihr nicht, aus dem Rollstuhl aufzustehen. Erst als der Arzt sie im Rücken stützt, kommt sie langsam hoch, steht schwankend da und lässt sich bald wieder in den Sitz fallen. "Wenn ich hier weggehe, komme ich ins Heim", sagt sie unglücklich. "Ein Grenzfall", sagt der Arzt. Allen kann eben auch er nicht helfen.

Vielen aber konnten sie beistehen in dieser Reha-Einrichtung, die sich früher als andere ganz den Krankheiten des Alters verschrieb und die mit ihren gut 100 Betten für betagte Patienten bis heute zu den größten in Baden-Württemberg gehört.

Auf eigenen Beinen aus der Reha

Die Menschen kamen nach Stürzen, Hüftbrüchen oder Schlaganfällen als Pflegefall - und viele verließen das Haus zu Fuß. Unglaubliche Fortschritte sind das, findet Chefarzt Martin Runge, aber: "Genutzt hat es nichts." Er sagt diesen Satz gleich mehrmals, wenn er die Leistungen der Klinik, die auch seine Lebensleistungen sind, herausstellt. Genutzt hat es nichts. Denn die Aerpah-Klinik in Esslingen bei Stuttgart wird Anfang 2014 geschlossen.

Es ist nicht die einzige Klinik dieser Art, die in diesen Tagen aufgibt. Rund um Stuttgart haben in den vergangen Monaten bereits drei der fünf sogenannten geriatrischen - also auf alte und gebrechliche Patienten spezialisierten - Reha-Kliniken geschlossen. Die Einrichtungen waren allesamt defizitär, weil die Krankenkassen seit Jahren die Tagessätze für die Behandlung der Patienten kaum erhöht hatten.

Auch in anderen Bundesländern schließen geriatrische Reha-Zentren oder bauen Betten trotz guter Auslastung ab. Denn die betagten Kranken sind für sie ein Minusgeschäft, bei dem sie zum Teil 35 Euro pro Tag und Patient draufzahlen. In Nordrhein-Westfalen wollen deshalb an diesem Freitag zehn der etwa 30 Einrichtungen des Landes gemeinsam ihre Vergütungsvereinbarung mit den Kassen kündigen. Damit aber droht der Verlust eines ganzen Versorgungszweigs, so sehen das jedenfalls die Kliniken.

Vom Krankenhaus ins Pflegeheim

"Reha vor Pflege" lautet ein Mantra der Gesundheitspolitik. Es bedeutet, dass Pflegeheime immer am Ende der Hilfskette stehen sollen. Ärzte müssen zunächst alles versuchen, damit Patienten alleine zurechtkommen. Tatsächlich wird dieser Anspruch schon heute kaum eingelöst. Immer öfter kehren betagte Patienten nach einer Krankenhausbehandlung nicht mehr nach Hause zurück.

2011 kamen 60 Prozent aller neuen Heimbewohner direkt aus dem Krankenhaus - drei Mal so viele wie noch 2003. Verantwortlich dafür sind unter anderem die Kliniken, die zunehmend auch gebrechliche Patienten operieren, die sich nur schwer erholen. Und die diese dann aus Kostengründen immer schneller entlassen, häufig ohne sich genug für eine Weiterbehandlung in der Reha einzusetzen. Doch auch die Kassen lehnen häufig Anträge ab. Wenn jetzt noch Reha-Einrichtungen aus Finanznot schließen, dürfte sich dieser Trend verschärfen.

Die Entwicklung ist widersinnig: Die Menschen werden immer älter. Die Reha-Kliniken aber, die sie nach Stürzen oder Krankheiten wieder fit machen, sind unterfinanziert und unrentabel. Es ist ein Lehrstück darüber, wie Geld an falscher Stelle gespart wird. Zum Leidwesen der Patienten und am Ende auch zum finanziellen Nachteil der Gesellschaft. Denn ein Patient, der nicht wieder auf die Beine kommt, landet im teuren Pflegeheim.

Der Arzt Runge hat die Reha-Medizin in Esslingen mit aufgebaut. Er hat erlebt, wie sich die Politik in Baden-Württemberg in den Neunzigerjahren für die alten Menschen starkmachte, wie in jedem Landkreis Reha-Kliniken entstanden. "Es funktioniert", sagt er. Patienten kehrten nach einer Reha deutlich häufiger in ihre eigene Wohnung zurück. Was nicht funktioniert habe, sei die Finanzierung. Runge klappt die Akte einer Patientin auf, die ein teures Antibiotikum bekommt. Zum Teil decke die Vergütung nicht einmal die Medikamentenkosten, sagt er.

Kassen am längeren Hebel

Das Problem der Reha-Zentren ist überall das Gleiche. Sie bekommen seit Jahren immer kränkere und damit in der Versorgung teurere Patienten, auch weil die Akutkrankenhäuser die Patienten immer schneller entlassen. Gleichzeitig gelingt es ihnen aber nicht, bei den Kassen eine höhere Vergütung durchzusetzen. Denn die Kassen sind im Reha-Geschäft in einer einmalig mächtigen Verhandlungsposition. Sie allein dürfen "Art, Dauer, Beginn und Durchführung der Leistung . . . sowie die Rehabilitationseinrichtung" bestimmen, heißt es dazu in Paragraf 40 des Sozialgesetzbuchs V. Ist ein Haus zu teuer, dann schickt man die Kranken eben woanders hin.

In Esslingen waren sie einst stolz darauf, ein Modellprojekt für das Wohnen im Alter zu sein. Chefarzt Runge führt durch den Siebzigerjahre-Bau, der sich schubladenartig über acht Stockwerke an den steilen Hang drückt. Es gibt hier altersgerechte Wohnungen, ein Pflegeheim, eine Berufsschule für Altenpflege und sogar eine Kapelle mit einem eigenen Seelsorger. Die Reha-Klinik für Altersmedizin habe gut zu diesem Rundum-Angebot gepasst. Heute ist der Bau in die Jahre gekommen. Gleichzeitig sind die Ansprüche gestiegen. "Wo ist der Park", ist eine Frage, die Patienten schon mal stellen. Die Klinik müsste investieren. Doch auch hierfür fehlt das Geld.

"Erpressung"

"Erpressung" nennt der Chefarzt der Reha-Abteilung am Diakonie-Werk München-Maxvorstadt, Christian Ullrich, die Verhandlungstaktik der Kassen. Er sitzt im Keller der Münchner Klinik und diskutiert mit Vertretern der Krankenhausgesellschaft, wie sich Kliniken besser wehren können. In München hatten sie große Hoffnung in eine zu Jahresbeginn eingerichtete Schiedsstelle gesetzt, die zwischen Kassen und Reha-Zentren vermitteln soll.

Doch nach den ersten Schiedssprüchen sind alle enttäuscht. Denn der Richter muss laut Gesetz zu einem Urteil kommen, das nicht nur den Kliniken eine angemessene Vergütung sichert, sondern auch die Kassen nicht übermäßig belastet. "Unsere Tagessätze sind so eklatant zu niedrig, dass die Schiedsstelle uns gar nicht helfen kann", sagt Ullrich. Nötig wäre vielmehr eine politische Entscheidung, die die Kassen zu höheren Vergütungen verpflichtet. Hoffnung immerhin gibt es in Bayern: Das Gesundheitsministerium hat einen Runden Tisch eingerichtet, Kassen und Kliniken sollen ausrechnen, was die Versorgung der Patienten wirklich kostet, und darüber diskutieren, wie das bezahlt werden kann.

Nötig wäre aber auch ein gesellschaftliches Bekenntnis, finden die Ärzte. Die Menschen hingen immer noch an dem Bild der heilenden Medizin. Wo aber Ärzte nicht heilen, sondern nur helfen könnten, wo sie ihre Patienten vielfach nur lehren könnten, mit der Behinderung zu leben und wo ein Erfolg schon sei, wenn ein alter Mensch vom Bett an den Rollator komme, da wolle eben keiner so genau hinschauen. Auch deswegen fehle es der Geriatrie bis heute an Anerkennung.

"Wenn wir zumachen, geht das beste Drittel der Patienten direkt nach Hause, ein Drittel schafft vielleicht eine normale orthopädische Reha, aber die anderen kommen ins Heim", warnt Chefarzt Runge. Er steht immer noch bei der Patientin im Rollstuhl, die ihn in ein Gespräch verwickelt hat. Ihre Enkelin werde ihr Haus erben, erzählt sie. "Ich hab' sie gern, sie soll's haben." Aber ein riesen Abschied sei es schon. Man dürfe nicht an den Dingen hängen, rät ihr der Arzt. Ein bisschen sagt er das wohl auch zu sich selbst.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: