Kein Organoid hat so viel Aufsehen erregt wie das erste Mini-Gehirn aus menschlichen Zellen. Wenn man den Forschern glaubt, war die sensationelle Entdeckung aber purer Zufall: Eigentlich drehte sich das Experiment darum, eine bestimmte Entwicklungsstufe von Nervenzellen aus embryonalen Stammzellen zu gewinnen. Plötzlich schwammen in der Zellsuppe milchige kleine Bällchen herum. Unter dem Mikroskop entdeckten die Wissenschaftler dann dunkle Flecken auf der Oberfläche der wenige Millimeter großen Klümpchen - sie erwiesen sich als pigmentierte Zellen, wie sie in der Netzhaut des Auges zu finden sind. Sie entstehen im Zuge der Embryonalentwicklung aus den Zellen des sehr jungen embryonalen Gehirns. Ein Querschnitt der Zellgebilde offenbarte schließlich, dass die Wissenschaftler tatsächlich ein kleines Gehirn geschaffen hatten: Es enthielt alle Schichten des Denkorgans, die sich nach einigen Wochen im Fötus formen. Zuvor war es zwar schon gelungen, dreidimensionale Modelle der Großhirnrinde zu gewinnen. Aber ein ganzes kleines Gehirn? Inzwischen haben die Wissenschaftler vom Institut für molekulare Biotechnologie in Wien ein Protokoll erarbeitet, um die Minihirne aus induzierten pluripotenten Stammzellen zu gewinnen. Damit können auch Patientenspezifische Organoide hergestellt werden. Zahllose Krankheiten des Denkapparats lassen sich mithilfe dieser Organoide untersuchen. Ein Punkt betonen die Wissenschaftler allerdings immer wieder: Die Minihirne entwickeln sich von Fall zu Fall recht unterschiedlich. Es ist auch umstritten, inwieweit diese Organoide wirklich dem angenommenen Entwicklungsstand eines etwa neun Wochen alten Fötus entsprechen. Dass ein solches Minihirn womöglich denkt oder fühlt, schließen aber alle beteiligten Forscher vehement aus - weil das Organoid weder Nervensignale von außen erhält, noch welche nach außen aussendet. Es ist auch ausgeschlossen, dass die Organoide irgendwann die Größe eines Säuglingsgehirns erreichen. Dem Organoid fehlt wie allen Mini-Organen die dafür nötige Blutversorgung. Die Gebilde erreichen deshalb eine Größe von etwa vier Millimetern und hören dann auf zu wachsen. Sie lassen sich allerdings viele Monate am Leben erhalten und untersuchen. Zu den Forschungsinteresse gehört dabei unter anderem, die Regenerationsfähigkeit des Gehirns. Es gilt inzwischen als sicher, dass auch das Gehirn eines Erwachsenen noch adulte Stammzellen enthält, die neue Nervenzellen bilden. Diese Quelle der Verjüngung wollen Forscher genauer beleuchten, um sie zum Beispiel durch Medikamente in ihrer Aktivität steuern zu können. Gerade für Krankheiten, die mit einem Niedergang von Neuronen im Gehirn verbunden sind, wie Alzheimer oder Parkinson, kann dies von Bedeutung sein. Andererseits gibt es gerade in der embryonalen Entwicklung des Gehirns Störungen, die noch schlecht erforscht sind. Dazu gehört die sogenannte Mikroenzephalie, bei der das Gehirn nicht richtig wächst. Die Wiener Forscher haben bereits damit begonnen, den Ursachen dieser schweren Erkrankung mithilfe der Organoide auf die Spur zu kommen.