Soziale Netzwerke:Die Food-Spione

Soziale Netzwerke: Bei Instagram zählt meist nicht der Nährwert, sondern die Inszenierung.

Bei Instagram zählt meist nicht der Nährwert, sondern die Inszenierung.

(Foto: Jessy Asmus)

Wenn Jugendliche auf Instagram und anderen sozialen Netzwerken Food-Fotos posten, sind selten gesunde Lebensmittel dabei. Wie die Industrie davon profitiert.

Von Berit Uhlmann

Die Homemade Cookies werden fotografiert, gesnappt und schnell bei Instagram gepostet, dann verschwinden Smartphone und Teenager wieder in ihrem Zimmer. Eltern mögen sich geehrt fühlen, wenn ihre Backkünste auf diese Weise gewürdigt werden. Doch die Food-Fotografie hat eine Kehrseite. Etwas überspitzt ausgedrückt sieht sie so aus: Der Teenager liegt den halben Tag auf der Couch und beschäftigt sich dabei ständig mit Bildern hochkalorischer und überzuckerter Lebensmittel - zur Freude der Industrie.

Für diese Sicht spricht eine Studie skandinavischer Forscher, die untersucht haben, was 14-Jährige im sozialen Netzwerk Instagram veröffentlichen. 85 Prozent posteten Fotos von Lebensmitteln; darauf in absteigender Reihenfolge: Gebäck und Desserts, Limonaden, Schokolade, Eis und Bonbons. Die Früchte auf Platz sechs stimmten die Ernährungswissenschaftler ein wenig optimistisch. Doch das Gesamtbild ist ernüchternd: Zwei Drittel der Fotos zeigten Speisen und Getränke, die reich an Kalorien und arm an Nährwert sind.

Wie uns Fett das Leben schwer macht

Fett ist ein Grundbaustein unserer täglichen Ernährung. Zu viel Fett ist ungesund, zu wenig ist es aber auch. Ein Schwerpunkt zu Fastfood, Speckrollen und Avocados. Alle Texte finden Sie hier.

Auf fast der Hälfte der Fotos waren Lebensmittel regelrecht in Szene gesetzt und ließen den Markennamen deutlich erkennen. Man kann diese Bilder als Zurschaustellung eines echten oder herbeigesehnten Lifestyles werten, doch sie zeugen auch von Manipulationsversuchen der Industrie. Denn viele der Fotos waren mit einem Titel oder Hashtag versehen, die sie als Teil einer Hersteller-Kampagne auswiesen. So ging die Hälfte aller Coca-Cola-Bilder auf eine Aufforderung des Konzerns zurück, individuell gestaltete Flaschen zu präsentieren. "Mit anderen Worten", so die Studienautoren: "Die Jugendlichen werben mit."

Für die Firmen ist dies nicht nur preiswert, sondern vermutlich auch besonders effektiv. Teenager orientieren sich bei ihrer Essensauswahl an Gleichaltrigen. Ein Überblicksartikel liefert Hinweise darauf, dass Jugendliche vor allem dann ungesunde Speisen wählen, wenn auch ihre Freunde bei Fastfood und Süßwaren zuschlagen. Der Griff zu Fett, Zucker und Salz scheint ansteckend zu sein. Dass dies auch für Onlinekontakte gilt, legt eine Studie aus den Niederlanden nahe. In dem Experiment bedienten sich Teenager in ähnlichem Maße aus einer Süßigkeitenschale, wie ein Gleichaltriger, den sie über eine Videokamera sahen. Teens mit Selbstwertproblemen glichen ihre Nascherei besonders an das virtuelle Gegenüber an.

Wenn Jugendliche Vorlieben bereitwillig im Netz kundtun, beeinflussen sie nicht nur andere. Sie stellen den Herstellern auch riesige Zielscheiben auf. Wozu dies führen kann, haben Forscher aus Arizona erkundet, indem sie Facebook-Profile für zwei Teenager erfanden und je fünf Lebensmittelmarken likten. Pro Woche bekam jeder der fiktiven Jungs mehr als 70 Werbebotschaften. Dabei umfasst die Werbung mehr als Bilder und Sprüche, wie australische Gesundheitswissenschaftler zeigten. Sie werteten die Netzaktivitäten der drei beliebtesten Lebensmittelmarken aus und zählten binnen zweier Monate 21 verschiedene Aktionen. Fast alle richteten sich an Jugendliche und forderten zum Mitmachen auf - durch Spiele, Fotowettbewerbe, Treue-Aktionen und Abstimmungen, die allesamt geeignet waren, weitere Informationen über die Kunden zu sammeln.

Der Teenager postet traurige Emojis? Das könnte als Anlass für Bonbon-Werbung dienen

Solche Daten ermöglichen Marketing in einer nie da gewesenen Präzision, warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Der Konzern Unilever analysierte nicht nur, welche seiner Eissorten Kinder mögen, sondern korrelierte die Präferenzen auch mit dem Wetterbericht des jeweiligen Tages. Der Hersteller kann so tagesgenaue Vorlieben erkennen und nutzen. Die Ortungsfunktion auf dem Smartphone erlaubt es Fast-Food-Ketten, ihre Produkte genau dann anzupreisen, wenn sich ein Jugendlicher gerade in der Nähe einer Filiale aufhält. Ebenso ist es möglich, Gefühle und Stimmungen der Kinder auszunutzen. Tränenreichen Emojis, emotionalen Schlüsselwörtern oder Misserfolg in einem Online-Spiel könnte Werbung für ein Trostbonbon folgen.

Es mag sein, dass viele Heranwachsende immun gegen die Verlockungen der Werbung sind, aber die neuen Marketing-Techniken erlauben es, die Empfänglichsten unter ihnen zu identifizieren und gezielt zu verführen. Anders als der klassische TV-Spot ist die individuell aufs Smartphone geschickte Werbung für die Regulierungsbehörden weniger offensichtlich. Und Eltern sorgen sich zwar um Cybermobbing, Sex und Gewalt im Netz, doch ahnen sie wohl nicht, dass "Jugendliche Unmengen von verborgenen digitalen Marketing-Techniken ausgesetzt sind, die Lebensmittel mit hohem Fett-, Zucker- und Salzgehalt bewerben", sagt Zsuzsanna Jakab von der WHO. So lautet der Rat an Mütter und Väter, sich die Situation bewusst zu machen, die die WHO so beschreibt: Kinder und Jugendliche sind heute einem "gewaltigen Echtzeit-Experiment" mit ihrer Ernährung ausgesetzt.

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