Seuchen:Wird Zika zur neuen Geschlechtskrankheit?

Seuchen: Plakate in Singapur warnen die Einwohner vor Insektenstichen. Sie gelten als die Hauptüberträger der Infektion.

Plakate in Singapur warnen die Einwohner vor Insektenstichen. Sie gelten als die Hauptüberträger der Infektion.

(Foto: Roslan Rahman/AFP)
  • Unter amerikanischen Gesundheitsexperten wird die Frage immer lauter, ob die Zika-Gefahr wirklich nur von Mücken ausgeht.
  • Neue Studien legen nahe, dass Zika viel häufiger als bislang angenommen beim Sex übertragen wird.
  • Im Gegensatz zu ihren amerikanischen Kollegen zeigen sich deutsche Experten wenig begeistert von der Sex-Hypothese.

Von Kathrin Zinkant

Jetzt also Singapur. Eine weitere Stadt, die den Kampf gegen das Zika-Virus aufnehmen muss. Noch vor Monaten trieb der Erreger vornehmlich in Brasilien sein Unwesen. Inzwischen breitet sich das Virus im US-Bundesstaat Florida aus. Und nun haben die Gesundheitsbehörden von Singapur 41 Fälle von Zika-Ansteckungen gemeldet. Die Infektionen waren durch eilige Tests am Sonntag entdeckt worden. Tags zuvor hatte man die erste Zika-Erkrankung bei einer 47-jährigen Frau diagnostiziert. Die Patientin war zuvor nicht im Ausland gewesen.

Noch am Wochenende wurden in der Millionenstadt 19 mögliche Moskitobrutstätten trockengelegt, in denen sich der Überträger des Virus, die Gelbfiebermücke, vermehren könnte. Denn wer sich infiziert, erkrankt zwar nur milde oder sogar gar nicht. Doch mittlerweile gilt als ausgemacht, dass Zika bei Ungeborenen zu schweren Schädel- und Hirnfehlbildungen führt. Auf das Risiko dieser Mikrozephalie weisen zumindest Politiker wie Gesundheitsexperten in den betroffenen Regionen hin, wenn sie Geld für Gegenmaßnahmen fordern. Zika, das ist nun fast weltweit zu beobachten, bedeutet Krieg.

Entsprechend wächst die Angst, und sie wächst nicht nur in Singapur, Brasilien oder im Süden der USA, wo Schwangere flüchten und Flugzeuge Insektizide versprühen. Es wird weitere Übertragungen geben, in weiteren Mückengebieten der Welt. Und zugleich wird unter amerikanischen Gesundheitsexperten die Frage immer lauter, ob die Zika-Gefahr wirklich nur von Mücken ausgeht. Oder ob Zika nicht viel häufiger als bislang angenommen beim Sex übertragen wird.

Letzteres legen neue Studien nahe, die den sexuellen Übertragungsmechanismus an Patienten oder experimentell an Versuchstieren verfolgt haben. Bei zwei männlichen Patienten war das Virus noch 180 Tage nach der Erkrankung in der Samenflüssigkeit nachweisbar. Forscher der Yale University in New Haven fanden an Mäusen zudem heraus, dass sich der Erreger leicht in die Vagina einnistet. Die US-Gesundheitsbehörden zeigen sich besorgt. Und in der New York Times warnte die angesehene Gesundheitsethikerin Kelly McBride Folkers davor, dass Zika die "Geschlechtskrankheit des neuen Jahrtausends" werden könne.

Für Epidemiologen ergäbe sich daraus eine andere Situation, als mit den Mücken allein: Tiere folgen dem Menschen nicht überall hin. Sie benötigen einen Lebensraum, in dem sie sich vermehren können. Florida und andere südliche US-Bundesstaaten bieten Aedes aegypti ein solches Biotop, wohl fühlt sich die Mücke in Indien, Südostasien, südlich der Sahara in Afrika - und in Südamerika. In Europa aber konnte man sich vor der Gelbfiebermücke und vor dem Zika-Virus weitestgehend sicher fühlen. Bisher. Wenn sich der Erreger häufig auch beim Sex überträgt, ändert sich das. Früher oder später wären auch Schwangere und ihre ungeborenen Babys in Deutschland gefährdet - es würde ausreichen, dass immer wieder Fälle aus Südamerika oder anderen Gebieten mit Zika-Ausbrüchen ins Land verschleppt und dann beim Sex weitergereicht würden.

Doch im Gegensatz zu ihren amerikanischen Kollegen zeigen sich deutsche Experten wenig begeistert von der Sex-Hypothese. "Es gibt bislang überhaupt keine Daten, die eine solche These stützen", sagt die Diagnostik-Expertin Daniela Huzly vom Institut für Virologie am Universitätsklinikum in Freiburg. Und Christian Drosten, ein international anerkannter Experte für neue Erreger an der Universität Bonn, nennt McBrides Hypothese schlicht "groben Unfug".

Was Drosten noch mehr stört, ist die Geschwindigkeit, mit der gute Forscherteams jetzt qualitativ mittelmäßige Studien über Zika veröffentlichen. Tatsächlich ist die Zahl der Zika-Publikationen von 36 im vergangenen Jahr auf 1100 im noch laufenden gesprungen. Zu den hastig angefertigten Studien gehört Drostens Ansicht nach auch die Arbeit der Yale-Wissenschaftler zur vaginalen Übertragung des Zika-Virus (Cell 2016, Bd. 166, S. 1).

Die Forscher setzten für die Arbeit auch künstlich immungeschwächte Mäuse ein. Zwar konnten sie das Virus bis in die Föten der trächtigen Weibchen verfolgen. Einen Nachweis, dass das Virus sich in gesunden Mäusen vermehrt und dort Schäden am Fötus anrichtet, erkennt Drosten in der Studie aber nicht. "Sicherlich hat man das Virus im Fötus nachgewiesen", sagt Drosten. Damit seien die wichtigen Fragen aber nicht geklärt: "Ist das Virus noch infektiös? Reicht die Menge aus, um einen Menschen oder das Ungeborene krank zu machen?". Ähnliches gelte für die Samenflüssigkeiten von infizierten Männern, in denen Spuren des Virus sogar Monate nach der Erkrankung zu finden sind.

Daniela Huzly hält sogar eine noch viel grundlegendere Frage für ungeklärt. "Es gibt noch immer keine überzeugenden Belege dafür, dass das Zika-Virus für den starken Anstieg von Schädelfehlbildungen bei Neugeborenen verantwortlich ist", sagt die Ärztin. Zwar habe man einen Anstieg der Fälle in Brasilien beobachtet. Bislang sei aber nur für einen Bruchteil der Erkrankungen gesichert, dass die Frauen während ihrer Schwangerschaft an Zika erkrankt waren. Zudem gebe es nur eine einzige Studie aus Kolumbien, die Schwangere begleitet und einen möglichen Zusammenhang direkt untersucht hat. Eine Infektion im letzten Schwangerschaftsdrittel hatte hier keinerlei Folgen für das Kind. Resultate für die ersten zwei Schwangerschaftsdrittel stehen noch aus.

Solche prospektiven Studien fehlen für andere Länder bisher vollständig. Huzly hält es zudem für sehr wahrscheinlich, dass andere Ursachen im Spiel sind. Mikrozephalie kann durch eine ganze Reihe von Krankheiten im Fötus ausgelöst werden. Dazu gehören Syphilis, Röteln, das Cytomegalievirus und Toxoplasmose. Auch ohne Zika haben zwei von 1250 Neugeborenen einen zu kleinen Schädel und ein unterentwickeltes Gehirn. Und in Brasilien kommen jährlich drei Millionen Babys zur Welt. Dort ist also ohnehin mit 4800 Mikrozephalien pro Jahr zu rechnen. Nach der aktuellen Meldestatistik der WHO sind für Brasilien derzeit 1835 Fälle gemeldet, von denen nur wenige sicher gemeinsam mit Zika aufgetreten sind.

Die Kritik der Experten sollte deshalb zu denken geben. Auch bei der Weltgesundheitsorganisation wachsen die Zweifel an der Gefahr, ist aus informierten Kreisen zu vernehmen. In den USA aber geht der Kampf weiter. Die Arzneimittelbehörde will künftig sämtliche Blutspenden der Vereinigten Staaten auf Zika testen.

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