Rückenschmerzen:Röntgen ohne Nutzen

Eine Röntgenaufnahme der Wirbelsäule hat bei Rückenschmerzen keinerlei Vorteile. Dennoch nimmt die Zahl der Aufnahmen kontinuierlich zu - auch weil die Patienten zufriedener sind, wenn sie sich ein Bild machen können.

Von Werner Bartens

Du sollst dir kein Bild machen. Dieses Gebot wäre ein gutes Motto für viele Ärzte, wenn Patienten mit Rückenschmerzen zu ihnen kommen. Die Realität sieht anders aus. Kreuzschmerz ist der häufigste Grund für Arztbesuche in Deutschland. Ist die Pein nicht mehr auszuhalten, wird beim Doktor meist als Erstes eine Aufnahme der Wirbelsäule angefertigt. Dabei widerspricht dies den Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften. "Eine routinemäßige Bildgebung wird übereinstimmend abgelehnt", heißt es in der Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz lapidar. Als Ausnahme gilt Kreuzweh, das mit Blasen- oder Mastdarmlähmung einhergeht, zu starken neurologischen Ausfällen in den Beinen führt oder bei Verdacht auf einen Tumor.

Die meisten Bilder verbessern weder Diagnose noch Behandlung

"Die Tendenz zu immer mehr Aufnahmen bei Rückenleiden ist ungebrochen", sagt Marcus Schiltenwolf, Leiter der Schmerztherapie an der Orthopädie der Uniklinik Heidelberg. "Dabei haben die Patienten nichts davon." Die Diagnose wird nicht genauer und die Behandlung nicht spezifischer, wenn bei Patienten mit unkomplizierten Rückenschmerzen ein Bild der Knochenkette gemacht wird. Etliche Studien zeigen, dass es Kranken nicht besser geht und sich ihre Prognose nicht verändert, wenn sie Röntgen oder Kernspin über sich ergehen lassen. Doch obwohl diese Einsicht seit Jahren verbreitet wird, nimmt die Bildgebung weiter zu, wie Daten der Abrechnungsstellen der Krankenhäuser wie auch der Kassenärztlichen Vereinigungen zeigen. "Allein von 2004 bis 2008 ist die Zahl der Röntgen- und Kernspinaufnahmen um 88 Prozent gestiegen", sagt Orthopäde Schiltenwolf. "Diese Entwicklung hält bis heute unvermindert an."

Der Heidelberger Arzt macht zwei Aspekte dafür verantwortlich: Der Technikglaube von Ärzten wie Patienten, der damit einhergeht, dass einem Bild mehr vertraut wird als allen Beteuerungen der Ärzte. Dabei gibt es in kaum einem Bereich der Medizin so große Unterschiede zwischen Befinden und Befund: Beim einen sind die Schmerzen unerträglich, aber seine Wirbelsäule sieht blendend aus. Der Nächste hat keinerlei Beschwerden, auch wenn die Röntgenaufnahme anderes vermuten lassen würde.

Zudem haben Befragungen gezeigt, dass Patienten zufriedener sind, wenn sie eine Röntgenaufnahme bekommen und dann noch eine zur Kontrolle. "Medizinisch ist das nicht nötig, aber so werden aus Patienten Kunden gemacht", sagt Schiltenwolf. "Der Kranke fühlt sich gut, und der Arzt fühlt sich auch gut, denn er hat ja seine Patienten zufriedengestellt. So schaukelt sich das gegenseitig hoch."

Die Patienten sind zufriedener, wenn Aufnahmen gemacht werden. Obwohl es nichts bringt

Eine aktuelle Studie im Fachblatt Jama zeigt, dass die Aufnahmen auch bei älteren Patienten mit Rückenschmerzen meist überflüssig sind (Bd. 313, S. 1143, 2015). Von Senioren nahmen Ärzte bisher an, dass bei ihnen Röntgen und Co. eher gerechtfertigt sind, weil sich in höherem Alter Tumoren, Entzündungen und andere bedrohliche Leiden häufiger zunächst mit Schmerzen im Kreuz manifestieren.

Bei mehr als 5000 Teilnehmern zeigte sich jedoch, dass jene, bei denen früh die Wirbelsäule geröntgt oder mit Kernspin untersucht wurde, nichts davon hatten. "Den Älteren, die mit Rückenschmerzen zum Arzt kamen und sich einer Bildgebung unterzogen, ging es ein Jahr später auch nicht besser als der Gruppe ohne Röntgenbild oder Kernspin", sagt Jeffrey Jarvik, der Leiter der Studie.

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