Reiseapotheke:Nicht ohne meinen Strumpf

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Traumverloren im kühlen Nass: Wer denkt schon an Giftquallen oder Harnblaseninfekte, wenn man sich mal treiben lassen kann?

(Foto: Abir Sultan/dpa)

In der Ferne lauern mit Sicherheit etliche Gesundheitsgefahren, aber muss man sich gegen jedes noch so kleine Risiko wappnen?

Von Kathrin Zinkant

Kürzlich wurde der Philosoph Slavoj Žižek gefragt, ob er sich denn auf den Urlaub freue. Doch Žižek freut sich nicht nur nicht darauf zu verreisen. Er hasst Urlaube. Insbesondere die, in denen er nicht arbeiten kann. Seiner Familie zuliebe simuliert er dennoch eine Art Freude, indem er sich in Vorbereitungen stürzt. Teil dieses emotionalen Eskapismus: die Zusammenstellung der Reiseapotheke.

Der durchschnittliche deutsche Reisende ist nun weder Philosoph noch hasst er Urlaube. Dennoch stopft auch er sich den Koffer voll mit Medikamenten, Verbandsmaterial, Zäpfchen. Das Reisen, es scheint vielen Menschen trotz der Vorfreude nicht geheuer zu sein. In der Apotheke lassen sich manche für einen Trip nach Thailand eine halbe Klinik einpacken. Notfallfoliendecke dazu, fertig ist das Sicherheitsgefühl für um die 100 Euro. Die Apotheken verdienen nicht schlecht, wenn Urlauber einkaufen - obwohl der Krempel meist ungenutzt wieder mit nach Hause fliegt.

Sicher, wer sich auf Reisen begibt, ist vielen Gefahren ausgesetzt. Es gibt Malaria und Zika, unsauberes Trinkwasser und verkeimte Lebensmittel. Man kann sich das Knie aufschürfen, den Arm brechen, Ausschlag bekommen, unter Übelkeit leiden oder Tage auf der Toilette verbringen. Vieles ist möglich. Doch das meiste wird unwahrscheinlich, besorgt man sich statt des Arztkoffers Informationen. Was ist in der Fremde zu beachten? Wo gibt es einen Arzt, wo Medikamente? Einfache Regeln helfen: Braten, Kochen, Schälen. Keine Mittagssonne, keine Eiswürfel. Aber es soll ja nicht nur so sicher sein wie zu Hause. Sondern ebenso bequem.

Man kommt als Reisender auch nicht mehr am Reisestrumpf vorbei. Genau genommen handelt es sich um Kompressions- oder Stützstrümpfe, die als hautfarbene Gewebeschläuche einst älteren Damen mit manifesten Gefäßleiden vorbehalten waren. Es gab sie auch nur im Sanitätshaus. Heute ist dem nicht mehr so, weil vor 16 Jahren eine 28-jährige Britin nach einem 20-Stunden-Flug auf dem Flughafen von Heathrow zusammenbrach. Sie starb an einer Lungenembolie, ausgelöst durch ein Blutgerinnsel. Der Thrombus hatte sich vermutlich in einer Beinvene gebildet.

Der Fall machte weltweit Schlagzeilen, schürte Ängste - und schuf einen neuen Markt für enge Kniestrümpfe. Denn wenn sich Millionen Flugreisende vor Thrombosen fürchten, können sie ihr Blut verdünnen. Oder Stützstrümpfe tragen, die den Blutstau in den Venen verhindern und mittlerweile in vielen Farben erhältlich sind. Für das meist komplett überflüssige Medizinaccessoire opfern Reisende gern einen Zwanziger und streifen ihn dann selbst auf Flügen von Berlin nach München fügsam über die Unterschenkel.

Sicher ist eben sicher, selbst wenn ein erhöhtes Thromboserisiko nicht einmal für Langstreckenflüge nachgewiesen werden konnte. Das Schicksal der jungen Britin teilen in der Regel nur Menschen, die auch jenseits von Luftfahrzeugen in solchen Strümpfen herumlaufen sollten und sie deshalb vom Arzt verordnet bekommen. Überhaupt, der Arzt. Was könnte er einem alles ersparen oder erklären, wenn man nur hinginge und sich beraten ließe. Aber das ist ja keine Kassenleistung. Und würde einem am Ende noch die Vorfreude auf den Urlaub verderben.

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