Rehamedizin:Querschnittsgelähmter spürt die Finger eines Roboterarms

Roboterarm

Der Forscher Rob Gaunt bereitet mit Nathan Copeland den Test vor.

(Foto: UPMC/Pitt Health Sciences Media Relations OR UPMC/Pitt Health Sciences)

Nathan Copeland kann mit Hilfe in der Hirnrinde implantierter Elektroden und einer Metallhand Berührungen empfinden. Barack Obama gefällt das: Er gibt Nathan gleich mal eine fist bump.

Von Astrid Viciano

Vor zehn Jahren wurde Nathan Copeland aus seinem Leben geschleudert. Es war ein regnerischer Winterabend, als der Amerikaner mit seinem Auto in einen Unfall geriet, ihm seine Arme und Beine plötzlich nicht mehr gehorchten. Er war querschnittsgelähmt, im Alter von 18 Jahren. Ein Jahrzehnt später kann Nathan Copeland nun endlich wieder etwas spüren: Er spürt die Finger eines Roboterarms, berichtet ein Team um den Rehabilitationsmediziner Robert Gaunt von der University of Pittsburgh im Fachjournal Science Translational Medicine. Fast so, als wäre die Metallhand ein Teil seines Körpers.

Weltweit zum ersten Mal ist es Gaunt und Kollegen gelungen, einem querschnittsgelähmten Patienten über einen Roboterarm den Berührungssinn zurückzugeben. "Das endgültige Ziel ist es, ein System zu schaffen, dass genauso fühlt und sich bewegt wie ein natürlicher Arm", sagt Studienleiter Gaunt. Damit die Betroffenen spüren können, ob sie zum Beispiel gerade ein Stück Torte oder eine Coladose berühren und ihre Bewegungen entsprechend anpassen können. Erst dann können Roboterarme oder Prothesen es mit der Wendigkeit der menschlichen Hände aufnehmen. "Daher hat diese Arbeit große Beachtung gefunden", sagt Rüdiger Rupp, Leiter des Labors für Experimentelle Neurorehabilitation am Querschnittszentrum der Uniklinik Heidelberg.

Der Nervenreiz läuft über Kabel und Elektroden direkt ins Gehirn

Allein in Deutschland leben Schätzungen zufolge etwa 80 000 Querschnittsgelähmte. Laut Angaben der Deutschen Stiftung für Querschnittslähmung kommen jährlich fast 1800 Betroffene hinzu. Und bei fast der Hälfte von ihnen ist das Rückenmark so stark lädiert, dass sie weder Arme noch Beine bewegen können. Diese Patienten hoffen darauf, dass innovative Roboterarme ihnen das Leben erleichtern.

Bislang ging es den Forschern vor allem darum, Geräte zum Ersatz motorischer Funktionen zu verbessern. Sie pflanzten querschnittsgelähmten Patienten eine Art Chip in jenen Teil der Hirnrinde, der für die Bewegungen der Arme und der Hände zuständig ist. Die auf einer vier mal vier Millimeter großen Fläche sitzenden Elektroden messen gezielt die Aktivität von Nervenzellen, wenn sich der Patient eine bestimmte Bewegung vorstellt. Ein Computer übersetzt die elektrischen Signale dann mittels Algorithmen in Steuerbefehle für die Prothese.

Einige Studien machten Furore: Eine Kollegin von Reha-Mediziner Gaunt brachte vor vier Jahren einer Patientin bei, mit Hilfe eines Roboterarms Schokolade zu essen. Ein deutsch-amerikanisches Team um den Neurologen und Ingenieur Leigh Hochberg vom Massachusetts General Hospital ermöglichte es einer weiteren querschnittsgelähmten Frau, Kaffee mit einem Strohhalm aus einer Flasche zu trinken, ebenfalls mit Hilfe eines in der Hirnrinde implantierten Chips. Und anderen Kollegen des Studienleiters Gaunt gelang es im Jahr 2013, einen Roboterarm mit damals sieben, inzwischen sogar zehn unabhängigen Bewegungsmöglichkeiten zu entwickeln - eine enorme Vielfalt für die Patienten. "Diese neuen Entwicklungen sind sehr beeindruckend", sagt Rupp.

Auch US-Präsident Barack Obama zeigt sich begeistert von der neuen Technik. Er traf Nathan Copeland an der University of Pittsburgh und verpasste ihm gleich mal eine fist bump.

"Wir müssen uns gut überlegen, wem solche Implantate nutzen"

Nun aber setzten Gaunt und Kollegen Nathan Copeland noch zwei zusätzliche Chips in die Hirnrinde und zwar in jenen Bereich, der für die Wahrnehmung von Berührungen - vor allem Druck - zuständig ist. Oder zumindest hatten sie das so geplant. "Wir wissen inzwischen, dass sich die Hirnrinde bei querschnittsgelähmten Patienten im Laufe der Jahre neu organisiert", sagt Rupp. Bereiche, die früher für die Berührungen an den einzelnen Fingern zuständig waren, sind später vielleicht für andere Bereiche zuständig. So wollten Gaunt und Kollegen die Empfindungen eigentlich an den Fingerspitzen der Roboterhand auslösen. Als sie die entsprechenden Nervenzellen im Gehirn stimulierten, spürte Copeland sie dann vor allem an der Handinnenfläche. "Da haben die Kollegen noch viel Arbeit vor sich", sagt Rupp.

Zumal die mit den Elektroden beladenen Chips nicht lange halten. Immunzellen greifen den Fremdkörper an. Auch in der aktuellen Studie nahm zum Beispiel die elektrische Leitfähigkeit mit der Zeit ab. Und auch die Chips selbst können dem Gehirn schaden: Beim Einpflanzen der Elektroden gehen etwa 20 Prozent der Nervenzellen des Hirnbereichs zugrunde. "Wir müssen uns gut überlegen, wem solche Implantate nutzen", rät Rupp. Erst im Frühjahr hatte eine andere Forschergruppe über einen Patienten berichtet, der mit Hilfe eines implantierten Chips sogar seine eigene Hand wieder bewegen und mit einem Videospiel Gitarre spielen konnte. Allerdings gelang ihm das nur im Labor - denn die Forscher mussten das System täglich neu kalibrieren.

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