Rechtsstreit in Australien:Contergan-Opfer einigt sich mit Vertriebsfirma

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Weil ihre Mutter während der Schwangerschaft ein Schlafmittel mit Contergan nahm, kam eine Australierin ohne Arme und Beine auf die Welt. 50 Jahre später bekommt sie von der Vertriebsfirma Geld als Wiedergutmachung. Ein Musterfall - aber nicht für Deutschland.

In Australien hat ein Contergan-Opfer nach Angaben seiner Anwälte eine hohe Wiedergutmachung erstritten. Die 50 Jahre alte Lynette Rowe wurde ohne Arme und Beine geboren. Ihre Mutter hatte während der Schwangerschaft ein Schlafmittel mit dem Contergan-Wirkstoff Thalidomid eingenommen. Rowe, die eine Sammelklage eingereicht hatte, einigte sich am Mittwoch nach Auskunft ihrer Anwälte außergerichtlich mit der Vertriebsfirma des Mittels von der deutschen Pharmafirma Grünenthal.

Diese Übereinkunft ermögliche Einigungen in mehr als 100 weiteren Fällen, hieß es. Die Eltern der Klägerin sprachen australischen Medienberichten zufolge von "mehreren Millionen Dollar" Wiedergutmachung, die auch für ihre weitere Pflege benötigt würden. Der Wirkstoff Thalidomid wurde unter verschiedenen Namen vermarktet, in Deutschland hieß das Medikament Contergan.

Die im Rollstuhl sitzende Rowe hatte Grünenthal, die australische Vertriebsfirma Distillers Company Biochemicals sowie den britischen Konzern Diaego Scotland verklagt, der die Vertriebsfirma 1997 übernommen hatte. Die außergerichtliche Einigung wurde mit Diaego erzielt, ein Übereinkommen mit dem früheren Contergan-Produzenten Grünenthal stehe noch aus, berichteten australische Medien.

Das Unternehmen kündigte an, sich weiter juristisch zu verteidigen, da es davon überzeugt sei, "stets verantwortlich bei der Entwicklung von Thalidomid" gehandelt zu haben. Alle Aktivitäten seien mit dem damaligen Stand der Wissenschaft im Einklang gewesen.

"Es ist großartig, dass mein Fall auch anderen helfen wird", sagte die australische Klägerin laut einer Mitteilung. "Man braucht keine Arme oder Beine, um die Welt zu verändern."Ihr Anwalt Peter Gordon rief die Herstellerfirma dazu auf, die Verantwortung zu übernehmen. Der Wirkstoff Thalidomid sei nicht ausreichend getestet worden und habe nicht als völlig unbedenklich verkauft werden dürfen, heißt es in der Klage. Schon Jahre bevor Grünenthal 1961 das Mittel vom Markt genommen habe, sei der Wirkstoff Thalidomid mit Missbildungen bei Neugeborenen in Verbindung gebracht worden.

Auch der Opferverband "Untersuchungsausschuss Conterganverbrechen" sieht das Aachener Unternehmen nach dem Vergleich in der Pflicht: "Wenn schon ein Lizenznehmer von Contergan bereit ist, eine solche Vergleichssumme zu zahlen, was muss dann der Hauptschuldige des Conterganverbrechens, die Firma Grünenthal und dessen Eigentümer, leisten?", fragte Verbandssprecher Stephan Nuding.

Deutsche Conterganopfer haben keine Möglichkeit, gegen Grünenthal zu klagen. Mit Gründung der Contergan-Stiftung 1972, die die Rentenansprüche der Opfer regelt, waren alle etwaigen Forderungen nach Schadenersatz gegen den Contergan-Hersteller erloschen. Contergan hatte Ende der 50er Jahre einen der größten Arzneimittelskandale ausgelöst. Weltweit kamen 10.000 Kinder mit schweren körperlichen Missbildungen zur Welt, 5000 von ihnen in Deutschland.

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