Psychologie:Mitleid braucht Geschichten

13 emotionale Minuten lang berichtet US-Moderator Jimmy Kimmel über die dramatische Operation seines Sohnes. Ein Lehrstück in Sachen Öffentlichkeitsarbeit.

Kommentar von Sebastian Herrmann

Der Monolog dauert gute 13 Minuten, in denen dem Redner immer wieder die Stimme versagt. Er kämpft mit den Tränen, während er von der Geburt seines Sohnes Billy erzählt. Es war eine reibungslose Geburt, große Momente des Glücks, bis eine Schwester bemerkte, dass Billy blau anlief. Er bekam nicht genug Sauerstoff, Billy litt an einem Herzfehler. Die Euphorie implodierte zum Albtraum.

Der Säugling wurde am Herzen operiert, ein großer Eingriff an einem kleinen Menschen, der dem Jungen das Leben rettete - und seinen Vater, den US-Moderator Jimmy Kimmel, zu einer 13-minütigen Dankesrede in seiner Show veranlasste. Am Ende kulminierte sein Monolog in einem Moment, in dem er die Pläne von Präsident Donald Trump und der Republikaner angriff, Obamacare abzuschaffen. Niemand solle nachdenken müssen, ob er die lebensrettende Operation seines Babys überhaupt bezahlen kann. Doch das werde passieren, wenn Millionen Amerikaner durch das neue Gesetz ihre Krankenversicherung verlieren.

Wer Kimmels Monolog sieht und hört, kämpft rasch selbst mit den Tränen. Es sind Einzelfälle und Geschichten wie die des kleinen Billy, die Mitgefühl und Empathie auslösen. Das Schicksal eines einzelnen Menschen schlägt das Publikum in seinen Bann. Ein Unglück, das sehr viele Menschen auf einmal trifft, lässt Beobachter hingegen eher kalt. Wenn die Gegner von Trumpcare Statistiken veröffentlich, wie viele Millionen Amerikaner ihre Krankenversicherung verlieren werden, dann stecken hinter diesen Zahlen zwar unzählige tragische Schicksale, doch wir hören diese Geschichten nicht. Die Betroffenen haben kein Gesicht, niemand erzählt, wer diese Menschen sind, wie sie heißen und wie sich ihr Leben verändert.

Leid braucht ein Gesicht, um Helfer zu berühren. Zahlen lassen hingegen kalt

Um Menschen mitzureißen, um ihre Empathie zu wecken, müssen ihnen Geschichten erzählt werden. Es sind Einzelfälle und Anekdoten, die berühren, nicht Statistiken oder Zahlen. Das wissen Psychologen und das wissen auch Organisationen, die auf diese Weise um Spendengelder werben: Das Leid braucht ein Gesicht.

Darauf sollte die Politik stärker setzen, darauf müssten Aufklärer vertrauen - sie sollten Geschichten erzählen, die zu den Daten passen, die für eine Entwicklung stehen, statt etwa mit nüchternen Tortengrafiken zu hantieren. Dass Einzelschicksale ergreifen, demonstrierte übrigens ausgerechnet Präsident Trump: Angeblich waren es die Bilder toter syrischer Kinder, umgekommen durch einen Giftgasangriff, die ihn zum Vergeltungsschlag bewegten. Einzelschicksale bewegen sogar den Mann, dem sehr viele keine Regung zutrauen und der bald vielen seiner Landsleute die Krankenversicherung rauben wird. Hoffentlich werden die Betroffenen dem Mann im Weißen Haus ihre Geschichten erzählen.

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