Psychische Erkrankungen:Flucht macht krank

Flüchtlinge überqueren einen Fluß zwischen Griechenland und Mazedonien. (Foto: Yannis Kolesidis/dpa)

Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen müssen, entwickeln häufiger psychotische Leiden, als jene, die freiwillig auswandern.

Von Hanno Charisius

Menschen, die aus ihrem Heimatland fliehen müssen, haben ein deutlich höheres Risiko, psychische Krankheiten zu entwickeln, als Landsleute, die freiwillig auswandern. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung schwedischer und britischer Forscher, die das Erkrankungsrisiko von Flüchtlingen in Schweden untersuchten. Von 100 000 Vertriebenen entwickeln nach den Daten 126 pro Jahr eine psychotische Störung wie etwa Schizophrenie. Unter den freiwilligen Migranten liegt die Quote bei 80 pro 100 000 und Jahr, unter den einheimischen Schweden bei 39. Männer seien häufiger betroffen als Frauen, schreiben die Forscher im Fachblatt British Medical Journal.

Tatsächlich könnte die Zahl der kranken Flüchtlinge sogar noch größer sein, spekulieren die Wissenschaftler, die das schwedische nationale Patientenregister ausgewertet haben. Die Zahlen zeigen, wie stark traumatisierende Erfahrungen die psychische Gesundheit beeinflussen, betont Anna-Clara Hollander, Studienleiterin und Psychologin vom Karolinska-Institut in Stockholm. Darauf sollte bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen gezielt eingegangen werden.

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Die hohen Erkrankungszahlen verwundern die Psychiaterin Meryam Schouler-Ocak von der Berliner Universitätsklinik Charité überhaupt nicht. Sie behandelt traumatisierte Flüchtlinge und kennt aus der Praxis, "was die Kollegen in ihrer Studie so eindrucksvoll mit Statistik belegen". Menschen, die freiwillig in ein anderes Land auswandern, hätten Zeit, sich darauf vorzubereiten und seien nicht dem enorm hohen Stress von Flüchtlingen ausgesetzt, die ihre Heimat ohne Ziel und ohne Plan verlassen. Diese Zusatzbelastung mache sie anfälliger für psychische Leiden.

© SZ vom 17.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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