Psycholinguistik:Die Sprache der Depression

20 year anniversary of Kurt Cobain's death

In Kurt Cobains Geburtsort Aberdeen im Bundesstaat Washington steht eine Statue des Sängers im örtlichen "Museum of History".

(Foto: Matt Mills Mcknight/dpa)
  • Eine neue Studie zeigt, dass Menschen mit Depressionen häufig Wörter wie "immer", "nie" oder "völlig" benutzen. Auch andere sprachliche Besonderheiten fielen den Forschern auf.
  • Als diagnostisches Tool taugt die Sprachanalyse jedoch derzeit nicht.

Von Kathrin Zinkant

Es sei besser auszubrennen, als allmählich zu verschwinden. So beendete Kurt Cobain seinen Abschiedsbrief, bevor er sich mit einer Schrotflinte in den Kopf schoss. Es war ein unerwarteter Suizid, obwohl der Sänger der Kultband Nirvana seit Jahren mit Drogenproblemen kämpfte. Hätte man an seinen Songs erkennen können, wie es um ihn stand? Texte, die nicht nur düster waren, sondern absolut in ihrer Sprache?

Never, everyone, everyday, the world? Eine neue Studie legt zumindest nahe, dass absolute Formulierungen ein starker Hinweis auf eine Depression und womöglich auch auf suizidale Gedanken sein können. Anhand von mehr als 6000 Beiträgen aus einschlägigen Online-Foren haben Forscher der University of Reading untersucht, wie absolute Formulierungen mit Depressionen zusammenhängen.

Im Fachblatt Clinical Psychological Science berichten die zwei Psychologen jetzt, dass Vokabeln wie "immer", "nie" oder "völlig" Anzeichen für eine affektive Störung sein können. Die Autoren hatten die Texte mit einer Analysesoftware auf 16 Wortgruppen hin untersucht und dabei ganz unterschiedliche Foren betrachtet. So schlossen sie Mütter- und Frauenforen genau so in ihre Analyse mit ein, wie Diabetes- und Asthmaforen, um generelle Sprachmerkmale im Vergleich mit den psychisch Erkrankten herauszufiltern. Insbesondere Menschen mit Angststörungen, Depressionen und Suizidgedanken betrachten die Welt demnach in Absolutheiten.

Ich, mein, mir: Die Fokussierung auf die eigene Person kann ein Alarmsignal sein

Das heißt nun allerdings noch nicht, dass jeder Mensch, der in Absolutheiten spricht, depressiv ist oder gar suizidal werden könnte. "Depressionen allein aufgrund von Sprachmerkmalen zu diagnostizieren, das ist derzeit noch nicht möglich", sagt Markus Wolf, Psychologe an der Universität in Zürich. Die Forschung sei noch experimentell, untersuche mit modernen Mitteln allerdings schon eine Reihe von sprachlichen Besonderheiten.

"Wer psychisch krank ist, denkt anders, bei Schizophrenen zum Beispiel ist das sehr deutlich - und das schlägt sich natürlich auch auf den sprachlichen Ausdruck der Gedanken nieder". Deshalb glaubt Wolf, dass Worte zumindest für die Prognose einer Depression aufschlussreich sein können - auch, wenn man den Erzählfokus betrachtet. So haben Wolf und Kollegen an 29 Patienten gezeigt, dass die häufige Rede vom "Ich" samt der Varianten "mein", "mir", "mich" zwar Depressionen nicht zuverlässig anzeigt. Der Selbstfokus aber sagt erstaunlich gut vorher, ob ein Depressiver acht Monate später immer noch oder wieder Symptome haben wird.

Gerade diese Patienten bedürfen einer besonderen Beachtung, da sie später oft versuchen, sich selbst zu töten - jeder zweite Fall einer Selbsttötung betrifft einen Menschen mit Depressionen. Die aktuellen Ergebnisse aus Großbritannien könnten vielleicht wirklich irgendwann helfen, Menschen mit einem Hang zum Suizid frühzeitig zu erkennen: Im direkten Vergleich nutzen suizidale Patienten laut Studie noch viel häufiger ein absolutes, dafür deutlich seltener ein von Angst, Traurigkeit und Einsicht besetztes Vokabular als nicht suizidale Depressive.

Die Autoren merken allerdings an, dass Internetforen als Datenquellen schwierig bleiben. "Man weiß nicht sicher, ob die Forumsteilnehmer eine bestätigte Diagnose haben", sagt auch Markus Wolf. Zudem etabliere sich in Foren oft ein gemeinsamer Sprachstil, der nicht mit der Krankheit zusammenhänge, sondern schlicht mit der Anpassung an den Ton der Community. Wie die Kollegen plädiert Wolf deshalb für prospektive Langzeitstudien, die den Sprachgebrauch vieler Patienten über größere Zeiträume direkt beobachten.

Trotzdem sehen die Autoren der neuen Studie einen Trend bestätigt, der sich auch schon im therapeutischen Alltag niederschlägt: Dass es bei der Bewältigung einer Depression nicht unbedingt darum gehen muss, Dinge positiv zu sehen. Sondern darum, das Ausmaß der Dinge realistisch zu betrachten - eine Situation statt "absolut ausweglos" vielleicht als "sehr schwierig" zu bewerten, zum Beispiel. Für manche ist das schon ein großer Schritt.

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