Psychische Erkrankungen:ADHS bis ins Alter

Wächst sich ADHS aus? Eher nicht, lautet das Ergebnis einer neuen Studie. Die Autoren warnen davor, die Erkrankung als "lästige und überbehandelte Kindheitsstörung" wahrzunehmen.

Von Christian Weber

Als Krankheit der Kinder und Jugendlichen ist die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bekannt und als häufigste Entwicklungsstörung anerkannt. Immer noch zu selten wird aber gefragt, was eigentlich mit den Betroffenen passiert, wenn sie erwachsen sind - wachsen sich die Störungen einfach aus? In den meisten Fällen leider nicht, lautet die Antwort von Medizinern und Entwicklungspsychologen um William Barbaresi vom Boston Children's Hospital, die in der Fachzeitschrift Pediatrics (online) eine der bislang wichtigsten Studien zu diesem Thema veröffentlicht haben.

Im Rahmen dieser prospektiven Studie wurden insgesamt 5700 Kinder, die zwischen 1976 und 1982 in der Stadt Rochester geboren worden waren, bis ins Erwachsenenalter hinein medizinisch beobachtet. Von diesen hatten 367 eine ADHS Diagnose erhalten, 232 von ihnen konnten im Erwachsenenalter erneut intensiv befragt werden.

Das Ergebnis fiel ernüchternd aus: Obwohl drei Viertel der ADHS-Betroffenen in ihrer Kindheit einschlägig behandelt worden waren, litt fast jeder Dritte von ihnen auch noch als Erwachsener unter dieser Störung. Bei 57 Prozent der Probanden diagnostizierten die Ärzte mindestens eine weitere psychische Erkrankung - am häufigsten waren Sucht, antisoziale Persönlichkeitsstörung, Hypomanie, generalisierte Angststörung und Depression. Sieben der 367 ADHS-Kinder waren zum Erhebungszeitpunkt gestorben, wobei drei von ihnen Suizid begangen hatten; zehn ADHS-Kinder saßen im Gefängnis.

Obwohl auch 35 Prozent der Teilnehmer einer Kontrollgruppe unter psychischen Störungen litten, halten die Studienautoren die Ergebnisse für alarmierend: "Wir leiden unter der Fehlwahrnehmung, dass ADHS nur so eine lästige und überbehandelte Kindheitsstörung sei", sagt William Barbaresi aus Boston. "Doch das könnte nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Wir müssen ADHS als eine chronische Krankheit betrachten, die ähnlich langfristig behandelt werden sollte wie Diabetes."

Dabei vermutet der Arzt, dass die neue Studie das Problem eher noch unterschätzt, da die Teilnehmer vor allem aus der Mittelschicht stammten, wo die Kinder eine gute Erziehung und medizinische Versorgung genossen, ein "Best-Case-Szenario", sagt Barbaresi. Er empfiehlt deshalb, von ADHS betroffene Kinder auch noch in der Pubertät medizinisch überwachen und behandeln zu lassen.

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