Pflege:"Es ist skandalös, wenn jeder zehnte Heimbewohner fixiert wird"

Pflege-Grafik

Wie gut die Pflege in den Heimen ist: Ergebnisse des vierten Pflege-Qualitätsberichtes des MDS.

(Foto: SZ-Grafik: Hanna Eiden)

Alles gut in deutschen Altenheimen? Der jüngste Pflegebericht legt diesen Schluss nahe. Ein Heimleiter über den Sinn dieser Prüfungen und Missstände im Umgang mit den Ältesten.

Von Nina von Hardenberg

Helmut Wallrafen-Dreisow, ist Geschäftsführer der Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach, die mehrere Pflegeeinrichtungen betreibt.

Süddeutsche.de: Herr Wallraffen-Dreisow, der jüngste Pflegebericht des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) zeigt: Heimbewohner werden seltener als früher im Rollstuhl festgebunden oder mit Bettgittern am Aufstehen gehindert; sie liegen sich seltener wund und sind besser ernährt - alles gut in der Pflege?

Helmut Wallrafen-Dreisow: Sicher nicht, wenn immer noch mehr als jeder zehnte Heimbewohner fixiert wird, ist das skandalös. Bei uns in den Einrichtungen liegen wir bei zwei Prozent. Fixiert wird meistens aus Angst. Man muss sich klar machen, dass Fixierungen zwar Stürze vermeiden können. Dass aber trotzdem die meisten Menschen nicht gerne gefesselt werden. Es gibt gute Alternativen. Wir haben Betten, die sich bis auf den Boden runterfahren lassen. Die sind nur 200 Euro teurer als normale Betten. Wenn der Bewohner da rausfällt ist es nicht so schlimm, zumal wir Sensorenmatten unter den Bettteppich legen, die Alarm auslösen. Dann rollt man die Bewohner eben zurück.

Gibt es denn Fälle, in denen eine Fixierung unumgänglich ist?

Ja, bei bestimmten Krankheitsbildern. Aber grundsätzlich muss ich, wenn ein Bewohner immer wieder stürzt, erst mal andere Sachen versuchen. Manche Bewohner erhalten zehn verschiedene Medikamente, darunter acht, bei denen Schwindel und Sturzgefahr als Nebenwirkung angegeben ist. Wir haben in einer Studie untersucht, was für Mittel unsere Bewohner einnehmen. Ein Drittel erhielt mehr als 13 Präparate, die zum Teil schädliche Wechselwirkungen haben. Das liegt auch an unserem Gesundheitssystem. Der Hausarzt weiß nicht, was der Neurologe und der Zahnarzt verschreiben. Wir arbeiten jetzt mit einer Apotheke zusammen, die den Medikamentenmix bei unseren Bewohnern prüft.

Empfinden Sie denn die Kontrollen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen als Schikane oder Hilfe?

Die Zusammenarbeit ist deutlich besser geworden. Das ist ironisch, jetzt wo alle die Abschaffung des Prüfsystems fordern, machen sie eigentlich gute Arbeit. Trotzdem finde ich dass der MDK das Pferd von hinten aufsattelt. Sie prüfen das Ergebnis. Sie fragen nicht nach den Bedingungen unter denen gepflegt wird, nach dem Personalschlüssel zum Beispiel.

Sie hätten gerne einen besseren Personalschlüssel?

Ich hätte gerne überhaupt einen. Es gibt ja keinen. Es gibt nur Anhaltspunkte, wie viele Pfleger ein Heim pro Bewohner und Krankheitsgrad beschäftigen sollte. Und die sind in jedem Bundesland anders. Da ist seit 20 Jahren nichts passiert. Wir arbeiten in einer Branche, wo alles kontrolliert wird, der Personalschlüssel aber nicht. Das gleiche gilt für das Gehalt. Die IG Metall hat einen Flächentarifvertrag. Warum kann es den nicht auch für die Pflegebranche geben? Wer kein Geld für das Personal ausgibt, muss sich doch nicht wundern, wenn das Ergebnis dann nicht stimmt.

Also mehr Qualität durch bessere Bezahlung der Mitarbeiter?

Wenn wir zufriedene Mitarbeiter haben, wird das viele Probleme lösen. Wir haben für unsere Angestellten eine kostenlose psychologische Beratung eingeführt um Burn outs entgegenzuwirken. Und siehe da: Die Krankheitszahlen haben sich halbiert. Aber das hängt alles von unserem persönlichen Engagement ab. Sagen Sie mir mal ein Grund, warum eine Pflegefachkraft in einem Krankenhaus durchschnittlich 500 Euro mehr verdient als im Heim. Das kann mir doch keiner erklären. Nur im öffentlichen Dienst nicht. Die Krankenschwester im öffentlichen Krankenhaus verdient das Gleiche wie bei uns. Darum sage ich, erst Tariflohn, dann Qualitätsprüfung.

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