Schweinegrippe:Warum die Grippeimpfung Narkolepsie begünstigen kann

Lesezeit: 2 min

Ein Impfstoff gegen die Schweingegrippe löst bei manchen Menschen offenbar die Schlafkrankheit aus. Die Betroffenen streiten um Entschädigung. Nun scheint es eine Erklärung für das Phänomen zu geben.

Von Hanno Charisius

Ein Protein in einem Impfstoff gegen die Schweinegrippe ist womöglich die Ursache dafür, dass seit 2009 vermehrt Menschen an Narkolepsie erkrankt sind. In den Jahren 2009 und 2010 ließen sich Millionen Menschen gegen den Grippeerreger H1N1 impfen, der eine weltweite Pandemie ausgelöst hatte. Nach der Grippewelle erkrankten dann ungewöhnlich viele Kinder und Jugendliche, die mit dem Impfstoff Pandemrix immunisiert worden waren, an Narkolepsie. Die unheilbare Krankheit führt zu extremer Müdigkeit am Tage, die in plötzliche Zusammenbrüche münden kann.

Bei Kindern, die den Impfstoff Focetria bekommen hatten, stieg die Zahl der Narkolepsie-Diagnosen hingegen nicht an. Insgesamt bekamen fast 31 Millionen Menschen in der EU Pandemrix, bis Januar 2015 waren mehr als 1300 Narkolepsiefälle an die Aufsichtsbehörde EMA gemeldet worden, die mit dem Impfstoff in Verbindung stehen könnten. Ein Team um den Virologen Lawrence Steinman von der Stanford University glaubt jetzt, die Ursache für diese Erkrankungswelle gefunden zu haben.

Im Fachblatt Science Translational Medicine beschreiben die Forscher, dass die Immunabwehr von Menschen durch Bestandteile von Pandemrix wahrscheinlich fehlgeleitet wurde und nicht nur die Krankheitserreger attackierte, sondern auch Zellen im Gehirn, die das Schlafverhalten steuern. Betroffen sind aber wahrscheinlich nur die wenigen Menschen, die wegen einer besonderen genetischen Variante in ihrem Erbgut ohnehin ein leicht erhöhtes Risiko haben, an Narkolepsie zu erkranken. Pro 100 000 Einwohnern leiden in Deutschland bis zu 50 Menschen an Narkolepsie.

Steinman und seine Kollegen verglichen die Impfstoffe Pandemrix und Focetria und entdeckten, dass Pandemrix sehr viel mehr von einem Virusprotein enthält, das die menschliche Immunabwehr auf den Erreger ausrichten soll, als der Konkurrenzwirkstoff. Die genaue Analyse dieses Proteins ergab, dass es in seiner Struktur Molekülen gleicht, die auf Zellen im Gehirn sitzen, die das Schlafen und Wachen eines Menschen steuern.

Das durch den Impfstoff mobilisierte Immunsystem greift in einigen Fällen dann auch Hirnzellen an. Damit fanden die Forscher den ersten Beleg für die seit Längerem diskutiere Hypothese der "molekularen Mimikry". Steinman folgert, dass bei der Impfstoffentwicklung zukünftig genauer auf solche molekularen Verwechselungsmöglichkeiten geachtet werden sollte, die das Immunsystem fehlleiten könnten.

Für Deutschland hat das Paul-Ehrlich-Institut bislang 51 Verdachtsfälle erfasst, in denen ein Zusammenhang zwischen Impfung und Narkolepsie bestehen könnte. 27 davon sind Kinder und Jugendliche. So allarmierend der Fall sei, solle er nicht als Rechtfertigung dafür dienen, auf Schutzimpfungen für Kinder zu verzichten, warnt der Neuroimmunologe Hartmut Wekerle, vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried in einem Kommentar.

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: