Organspenden:Eine Leber vom Staat

Die Wissenschafts-Akademie Leopoldina befürchtet eine "Abwärtsspirale" in der Transplantationsmedizin und will die Vergabe von Organen neu regeln: Statt der Bundesärztekammer solle der Staat entscheiden, wer leben darf.

Von Christina Berndt

Skandale, Misstrauen und Mangel an Organen: Die deutsche Transplantationsmedizin ist selbst zu einem Patienten mit ungewissem Schicksal geworden. Denn das Ansehen dieses atemberaubenden Fachgebiets hat seit dem Skandal um Manipulationen der Warteliste für Lebertransplantationen stark gelitten. Ist die Transplantationsmedizin überhaupt noch zu retten?

Es seien jedenfalls einschneidende Maßnahmen nötig, lautet das Fazit eines Diskussionspapiers über Zukunftsperspektiven der deutschen Transplantationsmedizin, das die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaften, am Mittwoch veröffentlichte. 28 Fachleute aus Medizin, Juristerei, Philosophie und Medien hatten sich Ende Februar in Berlin zusammengesetzt, um über die drängendsten Fragen zu diskutieren. "Die Transplantationsmedizin könnte in einen Abwärtsstrudel geraten", warnte Rüdiger Siewert, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Freiburg und langjähriger Leiter der Chirurgie am Münchner Klinikum rechts der Isar, zur Eröffnung des Symposiums. Es fand auf seine Initiative hin statt. "Es heißt immer, das System leide unter den kriminellen Machenschaften Einzelner und werde wieder sauber, wenn diese eliminiert würden", sagte Siewert. "Das System hat aber die Möglichkeiten zum Missbrauch überhaupt erst eröffnet und so eine sträfliche Fehlverteilung von Organen ermöglicht."

In dem Diskussionspapier, das eine elfköpfige Arbeitsgruppe unter Beteiligung von Siewert, der Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert von der Universität Münster, dem Heidelberger Medizinhistoriker Wolfgang Eckart, der Theologin Monika Bobbert aus Luzern und dem Düsseldorfer Philosophen Dieter Birnbacher verfasste, wird nun eine Neuordnung gefordert. Kern der Forderungen ist es, die Transplantationsmedizin, die sich derzeit im Wesentlichen in der Hand der Bundesärztekammer (BÄK) befindet, staatlich zu legitimieren und zu kontrollieren.

Wer ist krank genug für ein Organ? Wer ist schon zu krank? Dürfen Ärzte das entscheiden?

Transplantationsmedizin sei mehr als nur Medizin, schreiben die Autoren des Papiers. Schließlich betreffe sie grundlegende Fragen: Wer darf ein Organ bekommen? Wie krank muss er dafür sein? Soll mehr Wert darauf gelegt werden, akut bedrohtes Leben zu retten - oder mehr Wert darauf, dass die gespendeten Organe dem Empfänger möglichst viele Lebensjahre bescheren? Ist es richtig, dass Alkoholkranke sechs Monate trocken sein müssen, bevor sie Anrecht auf eine neue Leber haben - auch unter dem Risiko, dass sie in dieser Zeit versterben?

Organspende

Spenderorgane zu bekommen ist die eine Sache - ihre gerechte Verteilung ist das nächste Problem.

(Foto: Soeren Stache/dpa)

"Es wird suggeriert, es gehe allein um medizinische Kriterien", sagte der Philosoph Frank Dietrich von der Universität Düsseldorf auf dem Symposium. "Es sind in Wahrheit aber normative Kriterien." Deshalb sei eine parlamentarische Legitimation dringend erforderlich. "Die Verteilung von Organen, also die Frage, wer sterben muss, ist eine der schwerwiegendsten Fragen, die der Staat in Friedenszeiten zu treffen hat", sagte der Juraprofessor Thomas Gutmann von der Universität Münster. "Sie betrifft Grundrechte." Deshalb sei der Staat gefordert - und nicht die BÄK, die eine Vertretung der Ärzte und nicht der Bürger oder Patienten sei, und rechtlich nur ein Verein. "Die einzige Lösung ist die Einrichtung einer Behörde auf Bundesebene", so Gutmann. Dem schließt sich die Leopoldina im Wesentlichen an: Eine "(halb-)staatliche Stelle auf Bundesebene" müsse sich mit diesen Fragen befassen - auch "um das Vertrauen der Bevölkerung anhaltend zu sichern".

Nur wenige Experten setzten sich während des Symposiums dafür ein, dass der BÄK die zentrale Rolle vorbehalten bleiben solle. Ein staatliches Institut sei nicht die Lösung, sagte Bruno Meiser, Leiter des Transplantationszentrums am Münchner Klinikum Großhadern und Präsident der Organ-Verteilungsstelle Eurotransplant: "Die Fragen zur Verteilung von Organen sind in den Händen der ärztlichen Selbstverwaltung gut aufgehoben. Denn dazu ist vor allem medizinische Expertise nötig." Allerdings müsste die Arbeit professionalisiert werden: "Viele Richtlinien für Transplantationen sind veraltet", so Meiser. "Es dauert zu lange, bis aktuelle medizinische Erkenntnisse einfließen." Während dies in anderen Eurotransplant-Ländern in Monaten geschehe, brauche die BÄK Jahre dafür. Die neuesten Empfehlungen von Eurotransplant, die sie umgesetzt habe, stammten aus dem Jahr 2009.

Zudem gebe es seit dem Skandal um Wartelisten-Manipulationen zwar mehr Kontrolle im System. Bei der BÄK angesiedelte Kommissionen inspizieren regelmäßig alle Transplantationszentren. Auch hier seien aber Nachbesserungen nötig, etwa durch transparente Besetzung der Prüfergruppen. Das sieht auch die Leopoldina so: Es sei dringend notwendig, die Abläufe in der Transplantationsmedizin besser zu kontrollieren. Eine staatliche Institution könne zudem beitragen, "die bestehenden personellen und institutionellen Verflechtungen aufzulösen und Interessenkonflikte zu vermeiden".

Auch der Rechtsschutz der Patienten ist der Leopoldina wichtig: Wer von seinen Ärzten nicht auf die Warteliste für ein Spenderorgan aufgenommen werde, müsse die "Möglichkeit bekommen, diese Entscheidung durch eine unabhängige Instanz überprüfen zu lassen", heißt es in dem Papier - und zwar zeitnah. Denn bevor Gerichte ihre Zuständigkeiten erklärt haben und der Rechtsweg ausgeschöpft ist, können die Kranken sterben, wie dies jüngst im Fall des zweijährigen Muhammet Eren Dönmez geschehen ist.

Das Thema Transplantationsmedizin werde bei allem Bemühen komplex bleiben, folgert die Leopoldina. Allein die Fragen zur Verteilung der Organe würden "nie ganz und zu aller Zufriedenheit zu lösen sein". Umso mehr aber "bedarf es für die Akzeptanz solcher Kriterien einer offenen gesellschaftlichen Diskussion." Transparenz sei für die Transplantationsmedizin ohnehin "lebenswichtig". Denn sie sei ein zentraler Pfeiler des Vertrauens, ohne das es keine Organspenden geben kann - und damit auch keine Transplantationsmedizin.

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