Organspende-Skandal:Warum nicht eine Niere kaufen?

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In Europa gibt es viel zu wenig Organspender. Jedes Jahr sterben deshalb tausende Menschen - allein in Deutschland sind es etwa 3000. Es ist Zeit, darüber nachzudenken, ob der Organhandel legalisiert werden sollte.

Slavenka Drakulic

Ein Anruf teilte an diesem Morgen mein Leben in zwei Hälften, in ein Leben vor und ein Leben nach der Nierentransplantation. Es war der 16. Februar 1986, ein kalter, stürmischer Tag, als mich dieser Anruf erreichte, er kam vom New England Deaconess Hospital in Boston. Ich war 37 Jahre alt, geschieden, mit einer Tochter im Teenageralter. Sechs Jahre lang hatte ich im damaligen Jugoslawien mit Hilfe einer Hämodialysemaschine überlebt, bei der das Blut aus dem Körper gepumpt, gereinigt und wieder zurückgepumpt wird. Ich fragte mich, ob es für mich jemals eine Transplantation geben würde.

Achtzehn Jahre später, 2004, erhielt ich einen weiteren Anruf, diesmal vom Rhode Island Hospital. Mein Körper hatte die erste Niere abgestoßen; vier weitere Jahre hatte ich gewartet, gebunden an die Maschine - und jetzt die nächste Chance! Zudem eine sehr ungewöhnliche: Diesmal erhielt ich eine Niere von einem lebenden, nicht verwandten Spender, der dies aus altruistischen Gründen tat.

Ich war geschockt, als ich dies erfuhr. Eine unbekannte Person gibt ihre Niere einer Fremden? Wieso? Später, nach der Operation, traf ich meine Spenderin - Christine Swenson, eine junge Krankenschwester und Mutter von zwei Kindern.

Ich fragte sie, was sie dazu bewegt hatte, ein Organ zu spenden. Christine sagte, sie hätte gar keinen besonderen Grund gehabt - außer dem Wunsch, jemandem zu helfen. Die Menschen neigen automatisch dazu anzunehmen, dass die Gründe für einen solchen Akt besonderer Wohltätigkeit nur das Geld oder der Glaube sein können. Keines von beiden aber traf auf Christine zu. Ich habe dann ein Buch über Menschen wie sie geschrieben; seitdem weiß ich, dass dies ganz gewöhnliche Leute sind. Gerade deshalb ist, was sie schenken, so kostbar.

Warum gibt es nicht genügend Organe zum Transplantieren? Warum sind Menschen zum vorzeitigen Tod verurteilt, weil sie zu lange auf ein Organ warten müssen? Als jetzt in Deutschland der Skandal um gefälschte Patientendaten aufkam, brachte der Spiegel die Geschichte eines illegalen Organhandels. Beide handelnden Personen dieser Geschichte, die Käuferin und die Verkäuferin, sind Opfer.

Die israelische Einwanderin Vera Shevdko, die ihre Niere für 8100 Euro an eine ältere Deutsche namens Walter verkaufte, ist ein Opfer der Armut; es fällt leicht, mit ihr zu sympathisieren. Aber auch Frau Walter, die Käuferin, ist ein Opfer, in der gleichen Weise, wie ich Opfer war, Opfer eines ineffizienten Gesundheitssystems. Wenn man Monat um Monat lebt, ohne jede Chance auf eine Transplantation - würde man da nicht auch nach anderen Lösungen suchen, selbst nach illegalen?

Ich glaube, es gibt keinen Patienten, der auf einer solchen Warteliste steht und nicht irgendwann erwogen hat, ein Organ zu kaufen. Die Manipulationen an den Wartelisten selbst in respektablen deutschen Kliniken beschreiben das Ausmaß des Problems. Seit Organe nur hirntoten, durch Maschinen am Leben erhaltenen Menschen oder lebenden Spendern entnommen werden dürfen, gibt es zu wenig Organe.

Da taucht die schlichte Frage auf: Warum gibt es hier keinen legalen Markt? Die bekannt gewordenen Fälle von Korruption und illegalem Handel zeigen, was ohnehin jeder weiß: Diesen Markt gibt es längst. Aber es ist ein Schwarzmarkt, unkontrolliert, in privater Hand. Wäre es nicht sinnvoll, ihn zu legalisieren?

Ich finde diese Frage legitim. In den vergangenen zehn Jahren ist viel über dieses Thema geschrieben worden, vor allem in den USA. Den Kern der Kontroverse traf ein scharfer Text von Sally Satel, die, selber Ärztin und Transplantationspatientin, Befürworterin eines legalisierten Organmarktes ist. Sie fragte: Ist es wirklich ethisch besser zu sterben, während man auf ein Organ wartet, als eines zu kaufen?

Die Argumente gegen die Vermarktung von Organen sind wohlbekannt; sie betreffen vor allem die Armen, denn sie wären die wahrscheinlichsten Spender. Die Befürworter eines Organmarktes antworten, dass diese Menschen, wenn der Markt vom Staat kontrolliert wird, Kompensationen in Form von freier Bildung oder kostenloser Gesundheitsvorsorge erhalten könnten.

Inzwischen ist auch das Internet zur Quelle für Organe geworden. Die Website www.matchingdonors.com zum Beispiel bringt Spender und Empfänger zusammen. Allerdings müssen beide ein rechtlich bindendes Dokument unterschreiben, das festlegt, dass kein Geld gezahlt oder ein anderer Vorteil gewährt wird; erst dann kann die Operation erfolgen.

Könnte es einen Spendermarkt innerhalb des europäischen Gesundheitssystems geben? Zunächst einmal wäre dies gegen unsere humanistische Tradition und gegen den Grundsatz der hier etablierten Medizin, dass alle gleichermaßen von ihr profitieren sollen, nicht nur die Reichen. Es würde das Ende jener Traditionen und Ideale bedeuten, die Europa von anderen Teilen der Welt unterscheidet.

Andererseits wäre auch der Preis des Nichtstuns hoch. Allein in Deutschland sterben jedes Jahr 3000 Menschen, während sie auf eine Transplantation warten. Auf jeden Fall also braucht es größere Anstrengungen, um die bestehenden Möglichkeiten besser zu nutzen. Mehr Investitionen in die Transplantationsmedizin verringern die Chancen des Schwarzmarkts.

Aber sie erfordern auch zusätzliche Anstrengungen der gesamten Gesellschaft. Die jedoch wird es nur geben, wenn allgemein bekannt ist, dass die Alternative zur Organspende ein miserables, von Maschinen abhängiges Leben ist - und der viel zu frühe Tod vieler Patienten.

Ein neuer Gesetzentwurf in Deutschland hat nun zwei wichtige Änderungen zum Inhalt: Es ist nicht mehr nötig, vor einer Organspende die Angehörigen des Verstorbenen um Erlaubnis zu fragen, und die Wartezeit eines Patienten soll künftig mit dem ersten Tag seiner Dialyse beginnen. Dies könnte die Wartelisten beträchtlich verkürzen; notwendig wäre auch eine strengere Kontrolle, um Korruption zu vermeiden.

Man sollte allerdings auch nicht den Einfluss der Pharmalobby unterschätzen, die von der Existenz der teuren Dialyse lebt. Die Hämodialyse kostet 80.000 Euro pro Jahr, eine Transplantation die Hälfte.

Wenn du die Niere erhalten hast, fragt niemand, was danach geschieht. Ist dein Leben lang, glücklich? Viele Behandlungen und mühevolle Prozeduren sind notwendig, damit das Organ nicht wieder abgestoßen wird.

Hier immerhin halten die Deutschen einen bemerkenswerten Rekord: Wer erst einmal eine Niere hat, ist in ziemlicher Sicherheit. Das ist ein großer Erfolg. Als Patientin, die zwei Transplantationen hinter sich hat, weiß ich das nur zu gut.

Die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulic, 63, beschrieb ihre Erfahrungen mit Organspendern 2006 in dem Buch "Leben Spenden". Übersetzung: M. Drobinski

© SZ vom 30.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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