Organspende-Skandal:Göttinger Arzt bleibt in U-Haft

Im Göttinger Transplantations-Skandal greift die Justiz hart durch: Der Hauptverdächtige muss vorerst im Gefängnis bleiben. Dagegen kommt ein als "Leberpapst" bekannt gewordener Essener Chirurg vorzeitig frei.

Von Christina Berndt

Auch unter Halbgöttern in Weiß gibt es schwarze Schafe. Aber kann man sie eigentlich angemessen für ihre Taten bestrafen? Darüber zerbrechen sich Juristen schon seit Langem die Köpfe - umso stärker, seit vier deutsche Universitätsklinika in Transplantationsskandale verwickelt sind.

Während manche Strafrechtler der Meinung sind, dass den verantwortlichen Ärzten letztlich kaum mehr als eine Ordnungswidrigkeit anzulasten ist, greift die Staatsanwaltschaft Braunschweig durch: Sie hatte schon im Januar den mutmaßlichen Hauptverantwortlichen für die Leber-Schiebereien von Göttingen in seiner Wohnung verhaften lassen. Der Beschuldigte bestreitet die Vorwürfe, doch eine erste Beschwerde gegen den Haftbefehl beim Landgericht blieb erfolglos. Nun hat auch das Oberlandesgericht Braunschweig die Beschwerde des Arztes als unbegründet zurückgewiesen.

Es bestehe ein dringender Tatverdacht wegen versuchten Totschlags in acht Fällen, bestätigte der 1. Strafsenat. Angesichts der Schwere der Tat bestehe Fluchtgefahr, schon deshalb müsse der 45-jährige Arzt in Haft bleiben. Der frühere Leiter der Transplantationschirurgie am Uniklinikum Göttingen wird beschuldigt, von 2009 bis 2011 falsche Patientendaten an die Organ-Vermittlungsstelle Eurotransplant gemeldet zu haben; dadurch rückten seine Patienten auf der Warteliste für Spenderlebern nach oben. Außerdem habe er mehrere Alkoholkranke auf die Warteliste gesetzt und dabei "planmäßig unbeachtet" gelassen, dass diese nicht die erforderlichen sechs Monate abstinent gelebt hatten, so die Richter.

Zwangsläufig habe der Arzt auf diese Weise die Behandlung anderer lebensbedrohlich erkrankter Patienten verzögert - womöglich bis zu deren Tod, so der Senat weiter. Er halte es für "dringend wahrscheinlich", dass der Chirurg dies billigend in Kauf genommen und daher mit Tötungsvorsatz gehandelt habe. Anhaltspunkte, wonach er für seine Dienste Geld genommen hat, gibt es allerdings nicht.

Keine Hinweise auf Geldflüsse in Göttingen

Die Richter betonten, dass die "beim Beschuldigten offenbar vorhandene Vorstellung, einem Patienten mit besserer Lebenserwartung zulasten eines Menschen mit geringerer Lebenserwartung helfen zu dürfen" der Rechtsordnung widerspreche. Die Auswahl der Empfänger sei eben nicht Aufgabe der Ärzte. Über die Zuteilung habe allein Eurotransplant zu entscheiden. Gegen die Untersuchungshaft sind nun keine weiteren Rechtsmittel mehr möglich. Der Chirurg muss einsitzen, bis sein Prozess wohl im Juli beginnt.

Ein anderer Chirurg kommt dafür vorzeitig auf freien Fuß. Der Essener "Leberpapst" Christoph Broelsch wird nach eineinhalb Jahren im Gefängnis bald auf Bewährung entlassen, verkündete das Landgericht Essen. Der 68-Jährige, der auch als Leibarzt von Johannes Rau galt und der den ehemaligen Bundespräsidenten zweimal operiert hatte, war im März 2010 zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden - wegen Nötigung, Bestechlichkeit, Betrugs und Steuerhinterziehung.

So habe der ehemalige Direktor der Klinik für Allgemein- und Transplantationschirurgie der Universität Essen gegenüber Patienten Behandlungen als besonders dringlich dargestellt; auch habe er betont, dass nur er sie durchführen könne. Die Kranken überwiesen daraufhin "Spendengelder" an Broelsch, insgesamt 158.000 Euro. Zudem hinterzog der als vermögend geltende Chirurg Steuern in Höhe von 40.000 Euro.

Wesentliche Gründe für die Haftentlassung des Arztes, der früher gerne blaue Jacketts mit goldenen Knöpfen trug und im Gefängnis in der Tischlerei arbeitete, sind sein außergewöhnlich gutes Betragen im Vollzug, Einsicht in sein Fehlverhalten, der besonders große Verlust seiner Reputation und die Prognose, dass keine weiteren Straftaten zu erwarten seien. Im Prozess im Jahr 2010 war das Strafmaß dagegen auch deshalb recht hoch angesetzt worden, weil es dem Starchirurgen damals nach Einschätzung der Richter an Einsicht fehlte.

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