Operationen:Die große Mode der Magen-Verkleinerungen

Schwerlastzimmer in Krankenhaus

Extrem stabil: Eine Krankenpflegerin führt im Evangelischen Krankenhaus in Witten ein Spezialbett für übergewichtige Menschen vor.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Immer mehr Deutsche lassen sich operieren, weil sie zu dick sind. Liegt das auch daran, dass die Kliniken an dem Eingriff gut verdienen?

Von Kim Björn Becker

Immer mehr Deutsche werden wegen krankhaften Übergewichts operiert, die Zahl der chirurgischen Eingriffe hat sich zwischen 2006 und 2014 versechsfacht. Das geht aus dem aktuellen Krankenhausreport der Barmer hervor, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Die Zahlen beziehen sich auf die etwa 8,4 Millionen Versicherten der zweitgrößten deutschen Krankenkasse. An ihnen wurden 2014 etwas mehr als 1000 Operationen wegen krankhafter Fettleibigkeit vorgenommen.

Bundesweit lag die Zahl der sogenannten bariatrischen Eingriffe, die im selben Jahr mit den gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet worden sind, bei mehr als 9000. OPs an Privatversicherten sind darin nicht enthalten. Nach Angaben der Deutschen Adipositas-Gesellschaft sind 37 Prozent der Deutschen übergewichtig, weitere 21 Prozent leiden an einer besonders starken Ausprägung, genannt Adipositas.

Den Zahlen der Barmer zufolge spielt es eine wichtige Rolle, in welcher Klinik der Eingriff am Magen stattfindet. Etwa 350 Krankenhäuser bundesweit sollen Magen-OPs gegen Fettleibigkeit anbieten, 44 davon wurden von der zuständigen chirurgischen Fachgesellschaft zertifiziert. Eine Zertifizierung setzt voraus, dass die Operateure bestimmte Eingriffe häufig vornehmen und dass eine spezielle Ausrüstung vorhanden ist.

Etwas mehr als die Hälfte aller bariatrischen OPs wurden laut Barmer in einem Adipositas-Zentrum durchgeführt. Dort wiederum war das Sterberisiko im Vergleich zu allen anderen Krankenhäusern um etwa 15 Prozent verringert (gemessen wird hier ein Zeitraum von sechs Jahren nach dem Eingriff); auch traten bestimmte Komplikationen seltener auf. Zudem hat die Spezialisierung offenbar positive wirtschaftliche Effekte, die Zusatzkosten der OP im Vergleich zur konventionellen Therapie seien dort um etwa 3800 Euro geringer als in anderen Krankenhäusern.

Bariatrische OPs

Wenn krankhaft Dicke durch eine Ernährungsumstellung nicht abnehmen und auch Medikamente nicht helfen, kann ein chirurgischer Eingriff vorgenommen werden. Lange Zeit legten die Ärzte ein Band um den Magen, um diesen künstlich zu verkleinern. Dieser Eingriff gilt inzwischen als überholt. Stattdessen werden heute bis zu 90 Prozent des Magens entfernt, übrig bleibt der sogenannte Schlauchmagen. Damit empfinden die Patienten meist viel schneller ein Gefühl der Sättigung und essen entsprechend weniger. Eine Alternative ist der sogenannte Magenbypass, dabei wird ein Stück des Magens abgetrennt und mit einer Dünndarmschlinge verbunden. Dies führt dazu, dass der Körper weniger Nährstoff der Nahrung aufnimmt. Beide Operationen werden in Deutschland in etwa gleich oft durchgeführt. SZ

Würden alle Patienten, die an Fettleibigkeit leiden, in einem solchen Zentrum operiert, könnten die Kassen um 15 Millionen Euro pro Jahr entlastet werden, rechnete die Barmer vor. Gleichwohl ist die Magen-Operation recht teuer: Im Vergleich zu Patienten, die nicht operiert werden, betragen die Zusatzkosten durch einen Eingriff in den ersten fünf Jahren nach der OP zwischen 8000 und 10 000 Euro. Auch sei die kurzfristige Sterberate etwas höher.

Barmer-Chef Christoph Straub sagte, dass Fettleibige sich oft viel von einem Eingriff am Magen versprächen. Dies gilt nicht nur im ästhetischen Sinne, sondern auch im medizinischen: Nach einer erfolgreichen OP sinkt das Risiko, an Diabetes und Bluthochdruck zu erkranken. Zugleich bezweifelt er, dass "wirklich immer die Patienten operiert werden, bei denen dies auch nötig ist". Ein chirurgischer Eingriff dürfe nur das letzte Mittel sein, wenn andere Therapien keinen Erfolg bringen.

Die OP ist üblicherweise bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 35 bis 40 angezeigt - Gesunde kommen auf einen Wert zwischen 18,5 und 25. Ein solcher Eingriff sei "alles andere als harmlos, sondern eine schwere, nicht rückgängig zu machende Operation an einem eigentlich funktionierenden Körper", sagte Straub.

Es gehe der Kasse, so der Vorwurf, allein darum, Magen-OPs "pauschal zu diffamieren"

Würden alle Patienten mit einem BMI von 40 und mehr operiert, kämen auf die gesetzliche Krankenversicherung zusätzliche Ausgaben in Höhe von 14 Milliarden Euro zu, hieß es. Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung machte Fettleibige für ihre Erkrankung indirekt selbst verantwortlich. Die Gründe für eine Adipositas "liegen dabei überwiegend in Faktoren, die von den Betroffenen selbst beeinflusst werden können - zu wenig Bewegung und eine zu energiereiche Ernährung". Zugleich sagte er, dass bariatrische Operationen für die Kliniken "lukrativ" seien. Dies ist für ihn der Grund für die zunehmende Zahl der Eingriffe. Das Institut mit Sitz in Essen war an der Erstellung des Barmer-Berichts maßgeblich beteiligt.

Die Kliniken widersprachen der Behauptung Augurzkys am Mittwoch entschieden. Georg Baum, Geschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, interpretiert den Bericht der Barmer als Versuch der Kassen, "den steigenden medizinischen Behandlungsbedarf der Bevölkerung in die Nähe von nicht notwendigen Leistungen zu rücken". Baum führte ins Feld, dass die Zahl der Adipositas-Patienten zwischen 2003 und 2013 um 22 Prozent angestiegen sei. Dies erkläre die zunehmende Zahl chirurgischer Eingriffe. Baum warf der Barmer zudem vor, die Krankenhäuser am Beispiel der Magen-OPs "pauschal zu diffamieren".

Darüber hinaus zeigt der Krankenhausreport, dass die Zahl der Klinikaufenthalte derzeit nicht weiter steigt. Zwar kletterte die Zahl der Aufenthalte mittelfristig von 204 auf 218 Fälle pro 1000 Versicherte, zwischen 2014 und 2015 sank der Wert aber leicht. Auch wird die oft kritisierte Verweildauer der Patienten im Krankenhaus derzeit nicht mehr kürzer, diese pendelt sich bei durchschnittlich 7,7 Tagen ein. Zwischen 2006 und 2014 sank der Wert kontinuierlich, vor zehn Jahren blieb der durchschnittliche Patient noch fast neun Tage in der Klinik.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: