Nahrungsergänzungsmittel:Die Mineralien-Sage

Schweizer Käse

Wer Milchprodukte zu sich nimmt, braucht keine Zusatzpräparate.

(Foto: Christoph Ruckstuhl/dpa)

Kalzium-Präparate schützen nicht vor Knochenbrüchen und Osteoporose. Eine normale Ernährung reicht zur Vorbeugung.

Von Werner Bartens

Das viele Kalzium muss gar nicht sein. Millionen von Senioren und solchen, die es mit heilen Knochen werden wollen, schlucken Mineralien und Ergänzungspräparate. Sie achten zudem darauf, dass sie genügend Käse, Milch und andere kalziumhaltige Lebensmittel zu sich nehmen, getreu dem Motto: Wehret dem Mangel, denn Kalzium macht die Knochen hart und schützt vor Brüchen und Osteoporose. Diese weit verbreitete Glaubenslehre scheint sich indes als Spuk herauszustellen. Gleich zwei große Studien im British Medical Journal von diesem Mittwoch zeigen, dass vermehrte Kalzium-Zufuhr das Skelettsystem kaum oder gar nicht schützt.

Neuseeländische Ärzte um Mark Bolland haben die Untersuchungen geleitet. In einer Meta-Analyse werteten sie aus, wie sich mehr Kalzium in der Nahrung und durch Zusatzpräparate auf die Knochendichte auswirkt (Bd. 351, S. h4183, 2015). Die Analyse von 59 Studien mit insgesamt fast 14 000 Teilnehmern erbrachte ernüchternde Ergebnisse.

Die Knochendichte stieg durch Zugabe der vermeintlich härtenden Substanz gerade mal zwischen 0,7 und 1,8 Prozent. Es machte keinen Unterschied, ob geringe oder hohe Mengen Kalzium zugeführt wurden und wie intensiv sich die Probanden an eine Diät hielten, die reich an Milchprodukten war. "Es ist unwahrscheinlich, dass dieser minimale Anstieg zu einer klinisch signifikanten Verminderung der Knochenbrüche führt", sagt Bolland.

In der zweiten Untersuchung analysierten die Ärzte, ob sich durch mehr Kalzium in der Nahrung Knochenbrüche verhindern ließen (Bd. 351, S. h4580, 2015). Eine Meta-Analyse der gründlichsten Studien mit mehr als 44 000 Teilnehmern zeigte keine Erfolge. Zwar wurde in einigen Studien behauptet, dass sich mit Hilfe von Kalzium-Präparaten die Bruchgefahr geringfügig verringern ließe.

Diese Untersuchungen wiesen jedoch methodische Mängel auf, sodass Bolland und seine Mitarbeiter vermuten, dass sogar dieser minimale Schutzeffekt nicht vorhanden ist, sondern auf einer eigenwilligen Interpretation der Daten beruht. Einzig eine Untersuchung mit hochbetagten und schlecht ernährten Heimbewohnern zeigte, dass sich ihr Zustand mit Kalzium-Zusätzen verbesserte. Am Fazit für Senioren allgemein ändert diese Ausnahme jedoch nichts: "Milchprodukte verhindern keine Brüche und die Beweise dafür, dass Kalzium-Präparate die Knochen schützen, sind schwach und uneinheitlich."

Die Präparate können Nebenwirkungen haben

Die meisten älteren Menschen in westlichen Ländern nehmen täglich zwischen 700 und 900 Milligramm Kalzium zu sich. 1000 bis 1200 Milligramm werden aber von manchen Fachgesellschaften empfohlen, sodass kalziumhaltige Zusatzpräparate zum Einsatz kommen. In einigen Ländern wie den USA nehmen zwischen 30 und 50 Prozent aller älteren Frauen Ergänzungsmittel. Deren Verwendung ist nicht ungefährlich. Bei mehr als 1000 Milligramm, die durch Supplemente zugeführt werden, drohen kardiale Probleme durch verkalkte Kranzgefäße, Nierensteine und Magen-Darm-Beschwerden.

Die DVO, der Dachverband der deutschsprachigen Knochenexperten, rät ab dem 60 Lebensjahr auf ausreichend Bewegung zu achten und Immobilisierung zu vermeiden, um Osteoporose und Brüche zu verhindern. Ausreichende Kalorienzufuhr ist ebenso wichtig wie eine ausgewogene Ernährung, in der Milchprodukte ihren Stellenwert haben.

"Viele Menschen glauben, dass sie sich mit Kalzium-Zusatzpräparaten im Alter etwas Gutes tun", sagt Felix Beuschlein, Stoffwechselexperte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Aber der aktuelle Forschungsstand zeigt, dass dies nicht nötig und nicht günstig ist. Die reine Kalzium-Substitution bringt zudem gar nichts, wenn nicht genügend Vitamin D vorhanden ist." Auf ausreichend Aufenthalt in der Sonne sowie Vitamin-D-haltige Lebensmittel wie Innereien, Fisch, Eier und Milchprodukte ist deshalb auch zu achten.

Karl Michaelsson von der schwedischen Universität Uppsala warnt im British Medical Journal davor, ältere Menschen flächendeckend krankzureden, indem Grenzwerte verändert werden (Bd. 35, S. h4825, 2015). Statt bis zu 1200 Milligramm Kalzium am Tag als Ziel zu erklären, wie dies etwa die Osteoporose-Vereinigung der USA proklamiert, gebe es gute Gründe, dass 700 bis 800 Milligramm ausreichend sind - und die werden fast immer mit der normalen Nahrung zugeführt. "Legt man die hohen Werte zugrunde, ist nahezu jeder über 50 erhöhten Risiken ausgesetzt", sagt Michaelsson. "Die Mehrzahl der Leute wird keinen Nutzen davon haben, wenn sie mehr Kalzium zu sich nimmt. Diese Massen-Medikation ist fragwürdig. Es wird Zeit, die kontroversen Empfehlungen zu überdenken."

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